31 März 2023
Chaotisches Start-up oder hierarchischer Grosskonzern: Welche Unternehmenskultur passt zu mir?
Die Generationen Y und Z haben nicht nur hohe Ansprüche an den Beruf selbst, sondern auch an die Unternehmenskultur. Doch die Suche nach der richtigen Firma gestaltet sich häufig gar nicht so einfach. Was es dabei zu beachten gilt.
Lena * hat gekündigt, ohne eine neue Arbeitsstelle zu haben. Die nächste Stelle soll die richtige sein. Und deshalb möchte sie sich dieses Mal Zeit nehmen für die Jobsuche. Bis anhin war ihr Sicherheit wichtiger. Daher hat sie schon öfter eine Stelle angenommen, bei der sie sich tief im Inneren nicht sicher war, ob sie ihr dann auch wirklich gefallen würde.
Lena ist 30 Jahre alt und hat Betriebswirtschaft studiert. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zuerst in der Verkaufsabteilung einer internationalen Unternehmensberatung, danach in der Kommunikationsabteilung einer Verwaltung und schliesslich bei einem mittelgrossen Unternehmen in der Medizinaltechnikbranche. Doch so richtig zu Hause fühlte sie sich in keiner dieser Firmen.
Wie ihr geht es vielen Vertreterinnen und Vertretern der Generationen Y und Z. Denn für sie ist bei einem Job die Unternehmenskultur ebenso wichtig wie der Aufgabenbereich. Und das ist auch richtig so – auch aus Unternehmenssicht. Denn wer sich in einer Firma wohlfühlt, der bleibt; auch wenn ihm sein Aufgabenbereich nicht zu hundert Prozent gefällt. Nachfolgend die wichtigsten Fragen und Antworten zur Unternehmenskultur.
Welche verschiedenen Unternehmenskulturen gibt es?
Unternehmenskultur ist ein diffuser Begriff und schwierig greifbar. Oftmals muss man Kultur zuerst erleben, bevor man beurteilen kann, ob sie einem zusagt oder nicht. Dabei könnte man sich viel Zeit und Energie sparen, wenn man bereits bei der Stellensuche wüsste, ob die Bank oder doch eher der Industriebetrieb besser zu einem passt.
Diese Problematik haben Wissenschafter bereits in den 1980er Jahren erkannt. Seither haben sie verschiedene Modelle entwickelt, um Unternehmenskultur fassbarer zu machen. Die Forscher Robert E. Quinn und Kim S. Cameron unterscheiden in ihrem Modell aus dem Jahr 2006 vier Kulturtypen:
- Klan: In Organisationen mit einer Klan-Kultur herrscht eine freundliche, fast schon gemütliche Arbeitsatmosphäre. Die Mitarbeitenden sehen sich als Grossfamilie, und Vorgesetzte werden als Mentoren wahrgenommen. Die Mitarbeitenden engagieren sich überdurchschnittlich, und häufig entwickeln sich auch abseits der Arbeit Freundschaften.
- Anti-Bürokratie: In dieser Kultur ist Innovation und Risikobereitschaft wichtig. Daher ist das Arbeitsumfeld dynamisch und kreativ. Mitarbeitende in einer Anti-Bürokratie-Kultur sind gefordert, immer wieder neue Ideen einzubringen und über etablierte Herangehensweisen hinauszudenken.
- Hierarchie: Regeln und Strategien sind in der Hierarchie-Kultur essenziell. Entsprechend handelt es sich dabei um gut koordinierte Organisationen mit etablierten Prozessen. Allerdings macht das die Unternehmen oft auch schwerfällig und bürokratisch.
- Markt: Unternehmen mit Markt-Kultur streben einen hohen Grad an Wettbewerbsfähigkeit an. Der Gewinn treibt die Mitarbeitenden an. Häufig handelt es sich um schnelle Organisationen mit geringer Arbeitsplatzsicherheit. Wer keinen Gewinn erwirtschaftet oder keine Erfolge vorzuweisen hat, ist seinen Job schnell los.
Lassen sich Unternehmen und Branchen bestimmten Kulturtypen zuordnen?
Das gestaltet sich schwierig. Denn auch innerhalb einer Branche gibt es verschiedene Kulturen, weil sie unter anderem auch von der Unternehmensgrösse abhängen. In Konzernen braucht es zum Beispiel mehr Hierarchiestufen als in kleinen und mittelgrossen Unternehmen.
In jeder Firma findet man zudem Merkmale von verschiedenen Kulturen. So sind Blaulichtorganisationen wie Spitäler oder Feuerwehren oftmals eine Mischung aus Hierarchie- und Klan-Kultur. Einerseits muss bei einem Notfall klar sein, wer wem was sagt. Denn schliesslich geht es um Leben und Tod.
Andererseits ist der Umgang in den Abteilungen in Spitälern oft sehr familiär. Stationszimmer und Pausenräume werden mit Pflanzen und Porzellanfigürchen dekoriert, und oftmals ist man auch fernab von der Arbeit miteinander befreundet. Man kann sich aber auch auf dem Spitalgang anschreien, wenn man nicht gleicher Meinung ist. Auch das ist ein Merkmal einer familiären Umgebung.
Startups ordnet man häufig der Anti-Bürokratie-Kultur zu. Das kann sich aber ändern, sobald sie mehrere hundert oder gar Tausende Mitarbeitende wie Google und Apple zählen. Wenn Startups eine gewisse Grösse erreicht haben, zeichnen sie sich eher durch eine Klan-Kultur und klare Strukturen aus als durch eine klassische Anti-Bürokratie-Kultur.
Innerhalb eines Unternehmens können aber auch Subkulturen entstehen. «So findet man bei den Banken im Handel und im Investment Banking oft eine Markt-Kultur vor. Da geht es um Wettbewerb, um Geschwindigkeit und vor allem um einen möglichst hohen Gewinn», sagt Daniela Frau, Diversity-Beauftragte an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Dozentin für Führungs- und Personalthemen.
Im Private Banking und Wealth Management hingegen erlebe man eher eine Hierarchie-Kultur. Darauf lasse die Affinität zu Titeln wie Account-Manager oder Relationship-Manager schliessen. Branchenfremden Personen ist oft schleierhaft, was diese Titel bedeuten. In der Finanzbranche profiliert man sich aber durch die Erlangung solcher Titel. Die Mitarbeitenden feiern das jeweils in jährlichen Beförderungsritualen.
Wieso inszenieren sich heute viele Unternehmen als agile, innovative Organisationen mit flachen Hierarchien?
Weil es angesagt ist. Das heisst aber noch lange nicht, dass alle Unternehmen, die das von sich behaupten, auch wirklich flache Hierarchien haben und agil und innovativ sind. Sie vergessen häufig, dass sich nicht alle Menschen in einer Anti-Bürokratie-Kultur wohlfühlen. Wie jede andere Kultur hat auch sie ihre Nachteile. Denn wo es einen grossen Gestaltungsspielraum gibt, herrschen oft auch chaotische Zustände.
«Leider werden Menschen, die hierarchische Strukturen mögen, heute oft belächelt», sagt Sita Mazumder, Professorin für Business und IT an der Hochschule Luzern. Dabei gebe es viele Angestellte, die sich Struktur und einen sicheren Arbeitsplatz wünschten. «Nicht alle wollen innovativ sein und selbständig arbeiten. Es ist legitim, wenn jemand einen Nine-to-five-Job haben möchte und den Fokus eher auf das Privatleben legt», sagt auch Daniela Frau.
Welche Rolle spielt Unternehmenskultur
bei der Karriereplanung?
Kultur ist bereits bei der Berufswahl ein entscheidender Punkt. «Häufig sind die jungen Menschen sehr darauf fokussiert, den richtigen Beruf zu wählen. Dabei wäre es ebenso wichtig, sich zu fragen, in welcher Art Betrieb man sich wohlfühlt», sagt Michèle Rosenheck, Direktorin des Laufbahnzentrums der Stadt Zürich.
Um Erfahrungswerte zu sammeln, empfiehlt Rosenheck, nach der Lehre einen ganz anderen Arbeitskontext auszuprobieren. Das muss nicht gleich ein anderer Beruf sein, sondern kann auch der Wechsel von einem kleinen in ein grosses Unternehmen oder in eine völlig neue Branche sein.
Wer mit dem gewählten Beruf nicht (mehr) zufrieden ist, wendet sich am besten an die Laufbahnberatung. Dort werden unter anderen auch Wertetests durchgeführt. Denn oftmals geschieht während der beruflichen Laufbahn ein Wertewandel. «Häufig merken die Leute in der Laufbahnberatung, dass ihnen der Beruf grundsätzlich gefällt, sie aber im Unternehmen unzufrieden sind», so Rosenheck.
Wie finde ich im Vorstellungsgespräch heraus, ob die Unternehmenskultur zu mir passt?
Stellensuchende können nur die sichtbaren Aspekte einer Unternehmenskultur beurteilen. Den grösseren Teil der Kultur muss man erleben. Er ist von aussen nicht sichtbar. Dennoch befinden sich sowohl in der Stellenausschreibung als auch im Bewerbungsgespräch Hinweise auf die Unternehmenskultur:
Stellenausschreibung/Online-Auftritt
- Ist das Inserat eher in einem formellen oder einem lockeren Schreibstil verfasst?
- Werden auch Frauen und Minderheiten angesprochen, oder wird das generische Maskulinum verwendet?
- Was macht die Website für einen Gesamteindruck?
- Finden sich auf der Website des Unternehmens Verhaltensgrundsätze und ein Leitbild?
- Befinden sich auf der Website Videos, in denen sich das Unternehmen und seine Mitarbeitenden vorstellen? Wirken sie eher werberisch oder authentisch?
Bewerbungsgespräch
- Wird man geduzt oder gesiezt?
- Wie verhalten sich die Mitarbeitenden vor Ort? Grüsst man sich auf den Gängen? Wie sind die Büros eingerichtet?
- Was hat der Vorgesetzte für ein Führungsverständnis, welche Führungskultur lebt er? Welche Sitzungskultur pflegt das Team?
- Wie laufen Beurteilungs- und Jahresgespräche ab?
- Gibt es Stellen, an denen ich meine Ideen einbringen kann?
- Ist es möglich, im Unternehmen einen Schnupper- oder Probearbeitstag zu machen?
- Wie sind die Büroräumlichkeiten gestaltet? Handelt es sich um Grossraum- oder Einzelbüros? Sind die Bürotüren offen oder geschlossen?
Was ist von Bewertungen von Mitarbeitenden auf Plattformen wie Kununu zu halten?
Die wohl mit Abstand bekannteste Plattform für Arbeitgeberbewertungen ist Kununu. Möchte man etwas über die Kultur eines Unternehmens erfahren, lohnt es sich, die Bewertungen auf Kununu anzuschauen. Sita Mazumder warnt aber auch vor solchen Bewertungsplattformen: «Oftmals geben Leute eine Bewertung ab, die unzufrieden waren mit dem Arbeitgeber. Daher sind solche Plattformen meist nicht repräsentativ.»
Im Jahr 2019 hat Kununu den sogenannten Kulturkompass eingeführt, um die Kultur von Unternehmen besser zu verstehen. Damit das gelingt, wählen die Bewerter aus 160 Werten diejenigen aus, die für das Unternehmen passend sind. Die Nutzer der Plattform sehen dann, wie ein Unternehmen in den vier Feldern Work-Life-Balance, Umgang miteinander, Führung und strategische Richtung im Vergleich zum Branchendurchschnitt abschneidet.
Was mache ich, wenn ich merke, dass eine Unternehmenskultur nicht zu mir passt?
«Erfahrene Arbeitnehmer sollten nach drei Monaten Probezeit wieder kündigen, wenn sie merken, dass ihnen die Unternehmenskultur oder der Job nicht zusagt und sie sich es leisten können», sagt Daniela Frau. Laut einer Auswertung des Personalsoftware-Anbieters Softgarden verlässt ein Sechstel aller neuen Mitarbeitenden den Job nach neunzig Tagen wieder. «Jüngere Menschen müssen hingegen oft mindestens sechs Monate bei einem Unternehmen bleiben, um die Kultur beurteilen zu können», so Rosenheck.
Gibt es Generationenunterschiede bei den Ansprüchen
an die Unternehmenskultur?
Die Erwartungen der Generationen Y und Z an die Unternehmenskultur sind im Vergleich zu jenen der Babyboomer ganz klar gestiegen. Babyboomer haben sich, oftmals ohne grosse Ansprüche zu stellen, in Job und Firma eingefügt. Das Bedürfnis nach Sicherheit war bei ihnen grösser als der Wunsch nach Selbstverwirklichung.
Daniela Frau beobachtet ausserdem, dass Menschen mit mehr Berufserfahrung oft nicht mehr die gleich hohen Ansprüche an Kultur haben wie unerfahrenere. Sie können schneller einschätzen, ob die Kultur zu ihnen passt. Dadurch sei der Aufgabenbereich tendenziell wichtiger. Dazu werde auch eine nicht vollständig passende Unternehmenskultur in Kauf genommen.
«Ich kann mir auch vorstellen, dass die Unternehmenskultur für Mitarbeitende, die viele repetitive Aufgaben haben, wichtiger ist. Oftmals muss dann die Unternehmenskultur den nötigen Inhalt bieten, den die Arbeit womöglich nicht hat», so Daniela Frau.
* Name von der Redaktion geändert.
Über die Autorin
Isabelle Wachter ist Volontärin bei NZZ
Quelle: NZZ Neue Zürcher Zeitung