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18 Juni 2021

"Neue Führung bedeutet, Menschen auf schwierige Situationen vorzubereiten"

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Bodo Janssen im Interview

Von heute auf morgen mussten die Hotels der Upstalsboom-Kette in den Lockdown gehen. Dennoch zieht Hotelier Bodo Janssen in seinem neuen Buch eine positive Bilanz: Jetzt bewähre sich, worauf in seinem Unternehmen seit zehn Jahren hingearbeitet wurde. Im Interview spricht er über neue Aspekte der Führung.

Haufe Online Redaktion: Herr Janssen, in Ihrem Buch schreiben Sie: "Krisen sind genauso unbequem wie wertvoll. Denn wir sind beweglicher und selbstbewusster geworden und gestärkt daraus hervorgegangen." Welche Einsichten haben Sie während der Coronapandemie gewonnen?

Bodo Janssen: Die zentrale Erkenntnis war, dass mein persönlicher Entwicklungsstand in Wirklichkeit sehr weit entfernt davon ist wie ich glaubte. Ich habe mich vorher intensiv mit der menschlichen Entwicklung beschäftigt. In der Pandemie habe ich erfahren, dass Themen, von denen ich glaubte, ich hätte sie für mich schon geklärt, wieder hochkommen. Das zeigt, dass es in der persönlichen Entwicklung nicht nur darum geht, etwas zu erreichen, sondern auch darum, den Entwicklungsstand zu halten. Eine andere Erkenntnis war, dass das, worauf wir zehn Jahre lang im Unternehmen hingearbeitet haben, sich in dieser schwierigen Zeit positiv ausgewirkt hat. Wir alle standen vor einer völlig neuen Situation. Als ich dann erleben durfte, dass die Mitarbeitenden voller Vertrauen waren und bereit, Verantwortung zu übernehmen, war ich extrem dankbar dafür. Es gab durchaus einige Menschen, die uns als "Schönwetterpiloten" bezeichnet haben oder unsere Art der Unternehmensführung "Sozialromantik" genannt haben. Aber wir haben gesehen, dass wir Persönlichkeiten haben, die resilient sind und verstehen, mit schwierigen Situationen umzugehen.

Haufe Online Redaktion: Was können Sie daraus für Führungskräfte und Personalmanager ableiten?

Janssen: Ich glaube, der Führungsanspruch entwickelt sich weiter. Im Kontext von New Work sprechen viele Menschen über Methoden. Diese waren sicherlich richtig, um in normalen Zeiten miteinander zu arbeiten. Aber in einer solchen Herausforderung, wie wir sie in den vergangenen Monaten erlebt haben, interessiert es die Mitarbeitenden herzlich wenig, ob wir einen Tischkicker haben oder ob wir agil arbeiten, sondern sie brauchen Unterstützung, wie sie mit dieser Situation umgehen können. Das ist für mich ein neuer Teil der Führung: Menschen darauf vorzubereiten, schwierige Situationen meistern zu können. Denn ich glaube, dass die Anzahl der schwierigen Situationen in Zukunft eher zu- als abnimmt.

New Leadership: Führung in die Eigenverantwortung

Haufe Online Redaktion: Im Buch beschreiben Sie eine neue Führung, bei der es nicht nur um das Gestalten neuer Methoden oder eines attraktiven Arbeitsumfelds geht, sondern auch darum, Menschen aus der Abhängigkeit eines Unternehmens heraus in die Eigenverantwortung zu führen. Sehen Sie es als Aufgabe der Führungskraft an, den Mitarbeitenden zu helfen, eine Arbeit zu finden, in der sie ihre eigenen Wünsche, Hoffnungen und Begabungen ausleben können?

Janssen: Es ist die Frage, welchen Anspruch ich an die Wirksamkeit meines Unternehmens habe. Ich kann natürlich sagen: "Das ist nicht meine Aufgabe." Aber wenn ich dann in eine Situation komme, wie wir sie in den vergangenen Monaten hatten, und die Mitarbeitenden weglaufen oder umfallen, ist mir als Unternehmer nicht geholfen. Wenn ich jedoch diese Verantwortung übernehme und etwas dafür tue, dass die Menschen gut vorbereitet sind, brauche ich mich jetzt nicht in die Reihe derjenigen einzureihen, die jammern, weil es ihnen schlecht geht. Für mich ist es immer eine Frage: Was braucht es im Moment? Ich will ein anderes Beispiel dafür geben: Wenn ich gesunde Beschäftigte brauche, kann ich natürlich als Unternehmer sagen: "Es ist nicht meine Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Mitarbeitende nicht nur körperlich, sondern auch psychisch und sozial gesund sind." Aber wenn ich dann darunter leide, dass sie ausfallen, tangiert es mich sehr wohl. Wir haben uns entschieden, uns sehr stark dafür einzusetzen und deshalb liegt unsere Krankheitsquote bei unter zwei Prozent.

Haufe Online Redaktion: Wie kann Führung in die Eigenverantwortung in der Praxis umgesetzt werden? Können sie Beispiele aus Ihrem Unternehmen nennen?

Janssen: Wenn ich über Eigenverantwortung spreche, spreche ich über zwei Dinge: Vertrauen und Verantwortung. Das ist nichts, was man einfach anschalten kann. Wenn ein Team in eine Krise kommt und die Führungskraft sagt: "Jetzt müsst ihr alle vertrauen", würden die Teammitglieder lachen. Nur weil die Führungskraft das will, vertrauen sie nicht oder sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die Führungskraft muss Gründe dafür liefern, dass die Mitarbeitenden vertrauen können, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Das haben wir bei uns im Unternehmen im Alltag insofern kultiviert, dass Menschen Aufgaben übernehmen können und dass sie Fehler machen dürfen. Begehen sie einen Fehler, machen sie die Erfahrung, dass das nicht schlimm ist, sondern dass sie sich dadurch weiterentwickeln können.

Bedingungsloses Interesse als Voraussetzung für Vertrauen

Haufe Online Redaktion: Welche weiteren Faktoren führen zu Vertrauen und Engagement?

Janssen: Ein weiterer Faktor ist, dass wir bedingungsloses Interesse entgegenbringen – nicht nur für Leistung, sondern insbesondere auch für den Menschen selbst und dafür, was er in seiner Freizeit macht. Ich denke an unseren Spüler Frank, dem ich seinerzeit in der Küche beim Kartoffelschälen begegnet bin. Ich interessierte mich dafür, was er macht, wenn er nicht gerade spült oder Kartoffeln schält, und erfuhr, dass er gern fotografiert. An diesem Thema bin ich drangeblieben und er hat sich zu einem Fotografen für unser Unternehmen entwickelt. Er hat eine eigene Fotoausstellung bei uns und unterstützt uns auch mit Bildern für unser Unternehmen. Wenn ich klassisch vorgegangen wäre, hätte ich gefragt: "Wie viel Geld pro Teller brauchst du mehr, damit du schneller und sauberer spülst?" Das wäre die klassische Vorgehensweise per Karotte. Stattdessen habe ich ihn ganz anders angesprochen. Er spült immer noch für uns. Aber zusätzlich übernimmt er Aufgaben, die ihm persönlich wichtig sind. Das bringt ihn stark mit uns und unserem Unternehmen in Verbindung.

"Wichtig ist, zu erkennen, dass wir keinen Einfluss darauf haben, ob Menschen sich weiterentwickeln wollen oder nicht."

Haufe Online Redaktion: Ist es möglich, alle Beschäftigte dafür zu begeistern, dass sie sich persönlich weiterentwickeln wollen? Manche sind ganz glücklich damit, acht Stunden lang Kartoffeln zu schälen und den Kopf freizuhaben für die Dinge, die ihnen nach Feierabend wichtig sind.

Janssen: Wichtig ist, zu erkennen, dass wir keinen Einfluss darauf haben, ob Menschen sich weiterentwickeln wollen oder nicht. Das steht nicht in meiner Macht. Aber ich kann Menschen dazu einladen, ermutigen oder inspirieren, in ihre Entwicklung zu investieren. Wenn sie das nicht wollen, ist das nicht schlimm. Wir brauchen auch die Menschen, die gute Arbeit für gutes Geld leisten wollen und mehr nicht. Diese ist bei uns genauso anerkannt wie diejenigen, die unser Unternehmen dafür nutzen, sich in ihrer Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Ebenfalls wichtig ist – und das erfordert ein bisschen Demut – sich einzugestehen, dass man nicht alle mitnehmen kann. Der Versuch, alle Menschen mitzunehmen gleicht dem Versuch, das stürmische Meer zu beruhigen. Das ist nicht möglich. Ich bekomme von Unternehmern häufig die Frage gestellt: "Wie kann ich alle erreichen?" Das geht nicht. Es ist wichtig, das für sich anzunehmen.

Haufe Online Redaktion: Der Titel Ihres Buchs ist "Eine Frage der Haltung". Derzeit wird viel darüber diskutiert, dass es nicht genügt, eine Haltung zu haben, sondern dass es auch darauf ankommt, zu handeln. Kommen in Ihrem Buch das Handeln und die Handlungskompetenz nicht zu kurz?

Janssen: Im Buch erzähle ich die Geschichte, wie wir täglich mit der Pandemie umgegangen sind und welche Verhaltensweisen bei allen Beteiligten dazu geführt haben, dass sie stärker aus dieser Zeit herausgekommen sind als sie hineingeraten waren. Der Titel ist "Eine Frage der Haltung". Aber mit der Haltung allein ist noch nichts gewonnen. Die Haltung ist Grundvoraussetzung für das Verhalten, das sich daraus ergibt und erschließt. Ich würde sagen, letztendlich sind in meinem Buch 90 Prozent Verhalten aufgezeigt.

Die besondere Macht der Pause

Haufe Online Redaktion: Das Buch ist sehr persönlich. Sie schildern nicht nur Ihre eigenen Erfahrungen in der Krise, sondern auch Rituale aus dem Klosterleben, auf die Sie in dieser Zeit zurückgegriffen haben, zum Beispiel "Pausen bestimmen den Tag". Inwiefern haben Ihnen diese Rituale durch die Lockdown-Zeiten geholfen?

Janssen: Das Ritual, das ich besonders schätze, ist das der Stille – der Pause und Reflexion – weil die Entwicklung eines Menschen in der Pause entsteht. Bei Sportlern wächst der Muskel nicht in dem Moment, in dem sie trainieren, sondern in den Zeiten, in denen sie pausieren. In der Pandemie hat sich die Möglichkeit intensiviert, noch strukturierter und mit mehr Pausen durch den Tag zu gehen. Für mich persönlich sind zum Beispiel die Dienstreisen weggefallen und ich konnte eine Tagesstruktur gestalten, wie ich sie sonst im Kloster gelebt habe: "Ora et labora". Wir wissen aus der Psychologie, dass dieses Abwechseln von Tätigkeit und Ruhe uns hilft, mental im Gleichgewicht zu bleiben. Dieser Zeitgewinn innerhalb der Pandemie war – bei all dem damit verbundenen Leid – ein Geschenk, das zu einer starken Entwicklung geführt hat.

Haufe Online Redaktion: Entschleunigung und Meditieren hilft enorm, sich auf die persönlichen Belange zu fokussieren und bringt einen großen Nutzen für die Weiterentwicklung der eigenen Person. Aber besteht dabei nicht die Gefahr, zu stark egozentrisch zu denken oder zu agieren?

Janssen: Zu viel von einem ist immer schlecht. Die Benediktiner sprechen vom sogenannten "discretio" – dem Einhalten des rechten Maßes. Machen wir zu viel Sport, werden wir krank. Machen wir zu wenig Sport, werden wir krank. Es geht letztendlich um ein Gleichgewicht und nicht nur darum, Selbstoptimierung zu betreiben, damit es einem selbst gut geht. In der Meditation entsteht ein Bewusstsein für das, was mich umgibt. Ein Beispiel: Gestern habe ich während der Meditation über Mitgefühl nachgedacht. Dabei erkannte ich für mich, dass Mitgefühl bedeutet, dankbar zu sein für die Chance, anderen Menschen helfen zu können. Würde ich andere unterstützen, um mich selbst gut darzustellen, wäre das kein Mitgefühl. Es ist immer eine Frage der Haltung: Mit welchem Motiv mache ich etwas? Meditiere ich nur, um mich selbst zu optimieren und nur auf mich zu schauen, oder meditiere ich, um die Fähigkeit zu entwickeln, für andere da zu sein?

"Wenn eine Person rein aus Gründen der Karriere Führungskraft werden will, wird sie keine gute Führungskraft."

Haufe Online Redaktion: Gilt das auch für das Thema Führung?

Janssen: Ja, das zeigt sich auch in der Mitarbeiterführung: Liegt mein Motiv, Menschen zu führen, darin begründet, meinen eigenen Interessen näher zu kommen? Oder ist mein Motiv ein ehrliches Interesse an der Entwicklung anderer Menschen? Wenn eine Person rein aus Gründen der Karriere Führungskraft werden will, wird sie keine gute Führungskraft. Das Motiv ist Karriere und nicht Menschen zu führen. Deshalb haben wir bei uns im Unternehmen Karriere und Führung entkoppelt. Karriere hat bei uns nichts mit Führung zu tun.

 

Zum Interviewpartner:

Bodo Janssen, heute CEO der Upstalsboom Hotel + Freizeit GmbH, studierte einst BWL und Sinologie und stieg im Anschluss ins elterliche Hotelunternehmen ein. Viele Krisen prägten seinen Weg, unter anderem seine achttägige Entführung im Jahr 1998 und der Flugzeugabsturz seines Vaters. Als eine Mitarbeiterbefragung vernichtende Ergebnisse brachte, beschloss er, für eineinhalb Jahre ins Kloster zu gehen. Nach dieser inneren Einkehr leitete er einen Paradigmenwechsel ein. Zusammen mit Pater Anselm Grün schrieb er das Buch "Stark in stürmischen Zeiten". Soeben erschien sein neuestes Buch "Eine Frage der Haltung".

Quelle: haufe.de

04 Dezember 2020

Warum versuchen wir immer noch, Mitarbeitende zu dressieren?

Posted in Führung, Leadership

Warum versuchen wir immer noch, Mitarbeitende zu dressieren?

Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, ihre Mitarbeitenden sich gegenseitig bewerten zu lassen. Dazu gehören beispielsweise Google, Amazon, Zalando oder auch die Schweizer Postfinance (hier geht es zum XING-Beitrag von Roger Lötscher zum neuen Powercoins-System der Postfinance). KollegInnen, die sich gegenseitig bewerten – ist das jetzt gut und basisdemokratisch? Oder sind solche Bewertungssysteme ein perfides Mittel, um das gegenseitige Verhalten zu manipulieren?

Ich finde, die eigentliche Frage bei solchen Bewertungs- und Feedbackinstrumenten ist eine andere. Sie lautet: Was soll mit so einem Belohnungssystem wirklich bewirkt werden? Ist das ein System, das nur dem Unternehmen dient, oder wird damit die Weiterentwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert?

Manipulation und Dessur

Ich kenne Amazon beispielsweise nicht von innen, aber ich schätze es als Unternehmen ein, dem vor allem daran gelegen ist, dass die Mitarbeiter mehr fürs Unternehmen tun. Nach dem Motto: „Glückliche Kühe geben mehr Milch.“ Solche Zwecke fallen für mich grundsätzlich in die Kategorie der Manipulation und der Dressur – und das lehnen wir bei Upstalsboom ab.

Egal welches Instrument man benutzt oder welchen Führungsstil man pflegt: Meiner Überzeugung nach ist es wichtig, dass man die Verletzungen, die ein Mensch in sich trägt, also das unbewusste Verhalten, das er an den Tag legt, nicht für sich ausnutzt. Wenn jemand in der Kindheit wenig Anerkennung erfahren hat und im Beruf nach Wertschätzung sucht, und ich nutze diese Schwäche aus, damit er Höchstleistungen für mich erbringt, und führe ihn dadurch vielleicht in den Burn-out und zerstöre möglicherweise sogar seine Familie – dann halte ich das für verwerflich.

Ab wann verheize ich jemanden?

Personalverantwortliche müssen sich daher immer die Frage stellen: Ab wann leidet ein Mensch und sein soziales Umfeld durch meine Führungsinstrumente? Mit anderen Worten: Ab wann verheize ich jemanden?

Natürlich gibt es noch eine Art Metaebene, die über jedem Manager und jeder Managerin – und deren Führungsstil – steht. Auf dieser Ebene dreht es sich dann um die Frage: Dient das Unternehmen, dient die Wirtschaft insgesamt dem Menschen? Oder muss der Mensch dem Unternehmen dienen? Ist also der Mensch nur Mittel zum Zweck?

Der Sinn unseres Unternehmens besteht beispielsweise darin, dass sich die Menschen psychisch, physisch und sozial wohlfühlen. In diesem Umfeld wollen wir mit Feedback nicht die Mitarbeitenden zu mehr Leistung anspornen, sondern Verhaltensweisen fördern, die dazu beitragen, dass die Menschen bei uns körperlich und geistig fit werden oder bleiben und dann zu einer starken Gemeinschaft beitragen.

Es geht darum, bedingungsloses Interesse zu zeigen

Ich bin nämlich der Überzeugung, dass Höchstleistungen auch ohne Bewertung entstehen können. Darin hat mich auch ein Erlebnis bestärkt, das ich vor drei, vier Jahren in unserem Hotel auf Usedom hatte. Nach meinem Abendessen bin ich in die Küche gegangen und habe der Crew beim Kartoffelschälen geholfen. Ich mache das regelmäßig, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Damals unterhielt ich mich mit diesem Spüler namens Frank über sein Hobby und seine große Leidenschaft, die Fotografie. Ein paar Wochen später überreichte er mir einen selbst gemachten Fotokalender. Die Bilder waren nicht gut, aber ich habe bedingungsloses Interesse gezeigt und ihm Feedback gegeben und ihn in seiner Leidenschaft bestärkt.

Ein Jahr später bekam ich noch einen Kalender von Frank – und konnte sofort sehen, dass er eine wahnsinnige Entwicklung gemacht hatte. Wir haben ihn dann für unsere Drucksachen Bilder machen lassen – und mittlerweile hat er eigene Fotoausstellungen und die Bebilderung unserer neuen Website gemacht.

Diese Sache zeigt zweierlei: Man muss sich bedingungslos und ohne Hintergedanken für den Menschen interessieren. Und: Menschen müssen in der Lage und willens sein, Feedback zu empfangen. Instrumente wie die Powercoins der Postfinance, die sich Mitarbeitende für vorbildliches Verhalten gegenseitig geben können oder auch nicht, sind daher in Wahrheit eher eine Krücke, wenn Menschen nicht dazu in der Lage sind, echtes Feedback zu geben oder zu empfangen.

Es braucht Selbstkritik und die Bereitschaft zum Wandel

Zum einen liegt so eine Unfähigkeit in der Regel an der jeweiligen Führungskraft: Wenn ich als Vorgesetzter immer nur Bestleistungen gebe und selbst keine Fehler eingestehe, dann werde ich irgendwann auf Feedbackinstrumente zurückgreifen müssen. Wenn ich aber beispielsweise bei Fuckup-Nights mal aufzähle, was bei mir als Vorgesetztem nicht gut gelaufen ist, und wenn ich die Mitarbeitenden um Verzeihung bitte, dann werden sie irgendwann aus sich heraus Dinge ansprechen, die nicht gut gelaufen sind.

Zum anderen braucht man natürlich auch den Mitarbeitenden – und seine Bereitschaft, sich entwickeln zu wollen. Ohne diese Bereitschaft helfen mir auch keine Instrumente, und ein Wandel wird dann höchstens oberflächlich erfolgen. Wann Menschen diese Bereitschaft entwickeln, ist ganz unterschiedlich. Meist ist der Wille zum Wandel in Krisen wie der aktuellen Pandemie viel ausgeprägter – in der Komfortzone eher nicht.

Nehmen wir nun an, die Führungskraft kann ihre Fehler eingestehen, und der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ist zur Weiterentwicklung bereit. Dann bleibt immer noch die Frage: Wie erzeugt man – auch ohne Kontrollsoftware und -mechanismen – echte, intrinsische Motivation?

Der Schlüssel ist meiner Überzeugung nach das Wollen – und beim Wollen geht es immer um den Sinn. Wenn für dich persönlich Gesundheit wichtig ist und du in deinem Umfeld kranke Menschen hast, dann wirst du alles als sinnvoll empfinden, was du zum Gesundwerden dieser Menschen beiträgst. Und du wirst dich mit Leidenschaft dafür einsetzen.

Es geht also darum herauszufinden – unabhängig vom Fachgebiet: Was ist für dich als Mensch wichtig? Worum geht’s dir eigentlich? Wenn du das herausgefunden hast, spielt auch der Sinn des Unternehmens keine übergeordnete Rolle mehr. Dann kann der Mitarbeiter in seinem Sinne etwas für die Gemeinschaft tun. Und in dem Moment blüht er auf.

Extrinsische Motivation? Führt zu Angst und Unzufriedenheit

An alle, die jetzt immer noch glauben, man könne auch mit Druck oder Anreizen viel bewirken: Vor einer solchen extrinsischen Motivation kann ich nur warnen. Ihre Halbwertszeit liegt meiner Erfahrung nach bei etwa drei Monaten: Das heißt, ein neuer Dienstwagen ist mir nach drei Monaten schon irgendwie wieder zu klein. Man gerät in eine „Höher, weiter, schneller“-Spirale: Ich richte die Menschen darauf ab, immer mehr zu wollen. Damit bedeutet Erfolg für die Mitarbeiter (und die Führungskraft) nur noch jenes Stückchen, um das sie gerade besser abschneiden als die anderen.

Extrinsische Motivation führt so zu einer sozialen Beschleunigung und entfernt uns immer mehr von uns selbst: Wir flüchten immer mehr in den Konsum, die Unterhaltung und den Wettbewerb. Wer diesen äußeren Faktoren nachrennt, hat auch besonders viel Angst vor der Krise, zum Beispiel weil er oder sie Angst hat, das zweite Auto zu verlieren oder Ähnliches. Wer die extrinsische Motivation hochschraubt, erzeugt also letztlich nichts anderes als Frust und Angst.

Lasst uns doch alle lieber auf das hinarbeiten, was man in der Philosophie als Eudaimonie bezeichnet: Vergesst Kontrolle, Leistungsdruck und monetäre Anreize. Sucht danach, was eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich zufrieden macht. Denn darin liegt der Schlüssel zum Erfolg.

Über den Autor

Bodo Janssen (Upstalsboom Hotels + Freizeit Gmbh & Co KG), 46 Jahre, Mensch. Begründer des "Upstalsboom Weges" und der "Der Stillen Revolution"

Er bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Spiritualität, Wissenschaft, Philosophie und der Praxis und schreibt über Führung, Selbstführung, Krisen als Chance und ehrliches New Work (im Sinne des Begründers)

Quelle: xing-insider für Sinnorientierte Führung, Krisen als Chance, ehrliches New Work, Bewusstheit und Stille

09 September 2019

Kraftquelle Tradition. Benediktinsche Lebenskunst für heute

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Kraftquelle Tradition. Benediktinsche Lebenskunst für heute

Nachdem Bodo Janssen die Führung der elterlichen Hotelbetriebe übernommen hatte, musste er eine schmerzliche Erfahrung machen. Bei einer Mitarbeiterumfrage kam ans Licht, dass sich ein Großteil seiner Angestellten einen anderen Chef wünschte. Bodo Janssen nahm eine Auszeit im Haus Benedikt in Würzburg, bei der er mit der benediktinischen Spiritualität in Berührung kam, die ihn seitdem prägte.

In diesem Buch erzählt er von seinen Erfahrungen, die er im Kloster gemacht hat. Die Benediktsregel ist zu einem neuen Leitfaden für ihn geworden, nicht nur in der Art, Menschen zu führen, sondern vor allem im Umgang mit seinen Mitarbeitern. Sich auf Augenhöhe zu begegnen und damit gelingende Gemeinschaft, gelingendes Miteinander zu ermöglichen, ist heute sein höchstes Ziel. Hier zeigt er, welche Kernsätze aus der Benediktsregel ihm bei dieser Erkenntnis geholfen haben und was sie auch für Menschen außerhalb der Mauern heute an wichtigen Ideen bereithält, um ein gelingendes und glückliches Leben zu führen.

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Bodo Janssen im Interview mit Charlotte Künne (Vier-Türme Verlag)

18 April 2019

Mitarbeiter brauchen einen tieferen Sinn, keinen Kickertisch

Posted in Trends

Hirnforscher Gerald Hüther

Mitarbeiter brauchen einen tieferen Sinn, keinen Kickertisch

Nach drei Tagen im Home Office kommt ihr mal wieder ins Büro. Nach einem Kopfsprung ins Bällebad besprecht ihr Geschäftliches mit Kollegen beim Kickern. Die Ergebnisse fasst ihr kurz auf dem Laptop zusammen, während ihr in der Chillout Lounge abhängt. Und morgen habt ihr schon wieder frei, denn eure Firma hat die 4-Tage-Woche eingeführt. So stellen sich manche Leute „New Work“ vor.

Doch dieses Bild erfasst nicht die Essenz von New Work. Gerald Hüther, ehemaliger Professor für Neurobiologie an der Uni Göttingen, heute Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung und Bestseller-Autor, hat im Interview mit Business Insider Deutschland erklärt, worum es bei der „New Work“ -Bewegung wirklich geht und wie ihr davon profitieren könnt.

Nicht mehr arbeiten, nur um Geld zu verdienen

„Mit New Work ist nicht gemeint, dass man am Kickertisch spielt, sondern dass man spielerisch neue Ideen ausprobieren kann“, sagt der renommierte Hirnforscher. „Doch es ist schwer, dafür einen Rahmen zu schaffen. Denn die meisten Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass sie nur arbeiten, um Geld zu verdienen. Und ich glaube, dass es unendlich viele Leute gibt, denen das Prinzip ‘Arbeiten, um Geld zu verdienen’ zum Hals raushängt, und die ihrem Leben einen ganz anderen Sinn geben möchten.“

Das bedeutet nicht, dass wir alle kein Geld mehr verdienen sollen, sondern dass die Arbeitgeber ein Einkommen sicherstellen müssen, damit die Mitarbeiter frei sind, um sich dem zu widmen, was sie in ihrem Leben erreichen möchten. Laut Gerald Hüther ist diese Einstellung der Schlüssel zum 21. Jahrhundert.

Denn fest steht: Die meisten Jobs, in denen menschliche Eigenschaften wie Kreativität und Begeisterungsfähigkeit nicht gebraucht, sondern nur Routinen abgearbeitet werden, wird es schon bald nicht mehr geben. Maschinen erledigen sie schneller, präziser und kostengünstiger.

Unsere Gesellschaft müsste wie eine Fußballmannschaft funktionieren

„Was wir brauchen, ist etwas, das es bisher noch nie gegeben hat: Eine individualisierte Gemeinschaft“, sagt er. Das ist eine Gesellschaft, in der sich jeder als Subjekt, also als eigenverantwortliches Wesen, erlebt. Sie ist vergleichbar mit einer Fußballmannschaft: Es kommt auf jeden an, aber jeder muss etwas Anderes besonders gut können, und wer gerade den Ball hat, hat das Sagen.

Gleichzeitig erfüllt diese individualisierte Gemeinschaft das Bedürfnis des Menschen nach Verbundenheit. Da beide Grundbedürfnisse erfüllt werden, ist die individualisierte Gemeinschaft hoch attraktiv, aber eben auch schwierig umzusetzen, wenn man wie wir alle aus einer hierarchischen Ordnungsgesellschaft kommt und nichts Anderes kennt.

„Viele Menschen werden auf der Arbeit, in der Ausbildung oder der Schule zum Objekt gemacht. Zum Objekt der Erwartungen, Bewertungen oder sogar Maßnahmen anderer“, sagt Gerald Hüther. „Und wenn man diese Objektrolle annimmt, verliert man das, was den Menschen auszeichnet: Den eigenen Willen.“

Jeder einzelne kann etwas bewegen

„Wir sind ja alle so sozialisiert, dass wir gar nicht glauben, alleine etwas verändern zu können. Doch die frohe Botschaft lautet: Das menschliche Gehirn ist formbar. Also geht es prinzipiell schon. Man muss es nur wollen.“

Der Neurobiologe ist davon überzeugt, dass jeder Mensch, selbst in den niedrigsten sozialen Positionen, einen Gestaltungsspielraum hat und ermutigt jeden, den eigenen auszuloten. Perfekt ist es, wenn man dabei einen oder mehrere Partner findet.

„Wenn man sich zusammentut, passiert oft das Wunder, dass mehrere Gestaltungsspielräume sich miteinander verbinden. Und der so entstandene Spielraum ist viel größer als der, den sich ein Einzelner verschaffen kann. Das Ergebnis ist ein Team, das wirklich etwas umsetzen kann“, sagt Hüther.

Ein solches Team nennt sich „co-kreative Gemeinschaft“. In Hüthers Buch „Wie Träume wahr werden“ geht es um die Bildung eines solchen Teams. Dazu muss jemand, der ein Anliegen hat, Gleichgesinnte suchen. Er macht anderen eine Problematik verständlich und bittet sie, sich über mögliche Lösungen Gedanken zu machen.

So ensteht eine Art Keimzelle. Die Beteiligten treiben den co-kreativen Prozess voran, suchen noch weitere Mitstreiter. Es ist ist hilfreich, wenn die Kollegen, die an dem Projekt zusammenarbeiten, nicht in jeder Hinsicht gleichgesinnt sind.

„Idealerweise müssten sie so unterschiedlich wie möglich sein“, sagt Hüther. „Dadurch wird der Schatz an Wissen und Können, den sie miteinander teilen, möglichst groß. Wenn Menschen mit Expertenwissen in verschiedenen Bereichen ihre Ideen einbringen, entsteht etwas, das niemals entstehen kann, wenn ein Einzelner allein seine Kreativität entfaltet.“

Schluss mit Deadlines und Druck

Ein solcher Prozess lässt sich natürlich schwer von oben organisieren. Ein Unternehmen kann lediglich einen Rahmen schaffen, der die Herausbildung solcher co-kreativer Gemeinschaften wahrscheinlich macht. Dazu ist die Abwesenheit von Termin- und Ergebnisdruck entscheidend.

„Die großen kreativen Leistungen wurden nicht von Menschen vollbracht, die eine Deadline hatten“, sagt Gerald Hüther. „Sogenannte ‘Breakthrough Innovations’ entstehen oft beim Spazierengehen, unter der Dusche oder im Bett. Auch in einem Team müssen Bedingungen geschaffen werden, die druckfrei und spielerisch sind.“

Denn, so der Hirnforscher, kreativ sind Menschen nur dann, wenn sie sich nicht im Modus der sogenannten „fokussierten Aufmerksamkeit“ arbeiten. Dieser Zustand, in dem die Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes gerichtet ist, tritt immer auf, wenn man unter Druck ist, Angst hat, eine Deadline hat, etwas Bestimmtes erreichen will oder erfinden soll.

Das Problem: In diesem Zustand sind nur sehr wenige Netzwerke im Hirn aktiv. Für kreative Leistungen müssen aber sehr viele verschiedene Netzwerke gleichzeitig aktiviert werden. Denn nur dann können sich Areale verknüpfen, die normalerweise nicht miteinander verknüpft werden, und es entsteht etwas wirklich Neues.

Ein Anliegen, das unter die Haut geht

Zudem dürfen die Mitarbeiter nicht, wie in den alten Hierarchien üblich, ihre eigene Karriere im Kopf haben. Es muss allen um ein gemeinsames Anliegen gehen. „Dieses Anliegen muss etwas sein, das den Leuten unter die Haut geht, ihnen wirklich am Herzen liegt“, stellt Hüther klar.

Als Beispiel für ein solches Anliegen nennt er das Unternehmen Upstalsboom. Dessen Geschäftsführer Bodo Janssen verfolgt das Ziel, dass jeder seiner Mitarbeiter selbstbestimmt arbeitet und „in seine Kraft kommt“, wie er es nennt.

Im Film „Die stille Revolution“, in dem es um Bodo Janssen und Upstalsboom geht, wird eine Zimmerfrau gefragt, warum sie in diesem Unternehmen arbeitet. Sie antwortet: „Früher habe ich hier gearbeitet, um Geld zu verdienen. Aber heute arbeite ich hier, weil wir mit dem Gewinn die nächste Schule in Ruanda bauen wollen.“

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Bodo Janssen hatte gesehen, wie schlecht die Bildungssituation in diesem Land ist, und wie billig es ist, dort eine Schule zu bauen. Er fragte seine Mitarbeiter, ob sie damit einverstanden wären, die Unternehmensgewinne zu verwenden, um Schulen in Ruanda zu bauen. Sie stimmten zu. Seitdem fliegen auch immer wieder Mitarbeiter dorthin, um sich das Ergebnis anzuschauen.

„Diese Zimmerfrau hatte plötzlich einen ganz neuen Sinn in ihrer Arbeit gefunden. Sie sagte: ‘Ich habe noch nie so schön Betten gemacht und die Zimmer noch nie so liebevoll dekoriert. Ich möchte, dass jeder Gast sich hier so wohl fühlt, dass er uns überall empfiehlt, damit wir möglichst viel Gewinn machen und die nächste Schule bauen können.’ Das ist New Work“, sagt Gerald Hüther.

Gerald Hüther hat am 7. März 2019 zu diesem Thema auf der Xing New Work Experience eine Keynote gehalten.

Über die Autorin

Marleen van de Camp ist Strategy-Redakteurin für die deutsche Ausgabe von Business Insider. Ihre Themenschwerpunkte sind Karriere, Self-Improvement und Luxus. Wenn sie nicht gerade an einem Artikel arbeitet, betreut sie die Social Media Auftritte.

Sie studierte deutsche und amerikanische Literatur, Linguistik und Rechtswissenschaft in Frankfurt am Main und Münster. Bevor sie zu BI kam, war sie in den Bereichen Lektorat, Untertitelredaktion und Computerübersetzung tätig.

Quelle: businessinsider.de

20 Juli 2018

Stark in stürmischen Zeiten: Die Kunst, sich selbst und andere zu führen

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Autoren Bodo Janssen, Anselm Grün

Stark in stürmischen Zeiten: Die Kunst, sich selbst und andere zu führen

Buchbeschreibung des Verlages

Kurzinterview mit Bodo Janssen und Pater Anselm Grün
Frage: Herr Janssen, Sie, ein Hotelunternehmer aus Ostfriesland, und Anselm Grün, ein Benediktinermönch aus dem Unterfränkischen – etwas Gegensätzlicheres ist kaum vorstellbar. Ist Ihre Zusammenarbeit einem Wunder zu verdanken?

Bodo Janssen: Wenn Wunder durch ein gemeinsames Wollen passieren, dann könnte man es so sehen. Aber so unterschiedlich sind Pater Anselm und ich gar nicht. Als ehemaliger Cellerar, als wirtschaftlicher Leiter der Abtei Münsterschwarzach, hat er über zwanzig Klosterbetriebe mit über 300 Mitarbeitern erfolgreich geführt und gemanagt. Immer im Hinblick auf sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen. Zudem ist die Benediktinerkongregation eine weltweite Ordensgemeinschaft – ihr ist globales Denken und ein Zugehen auf Menschen mit unterschiedlichsten Lebensformen und Glaubensvorstellungen nicht fremd. Auch wir in der Hotellerie müssen uns auf den Einzelnen einstellen und für sein Wohl sorgen, wo auch immer er herkommt – sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Gästen.

Frage: Pater Anselm, Sie arbeiten spirituell mit verschiedenen Managern zusammen, etwa aus der Automobilindustrie, aber auch mit Ärzten und anderen Menschen, die sich von Ihnen anregen lassen wollen, um sich selbst und andere besser führen zu können – wieso haben Sie gerade zusammen mit Bodo Janssen ein Buch geschrieben?

Pater Anselm: Bestimmt nicht, weil ich einmal in einem seiner Küstenhotels übernachten wollte, denn am liebsten schlafe ich, je älter ich werde, in meinem eigenen Bett. Aber als er zum ersten Mal ins Kloster kam, fiel er auf. Er wollte wirklich etwas an sich und in seinem Unternehmen ändern, war auf der Suche. Da war etwas ganz Authentisches, ganz Offenes und Neugieriges – die meisten Manager verstecken sich hinter Masken und brauchen Zeit, bis diese abgelegt werden. Das war bei Bodo nicht der Fall. Und er kam immer wieder, nach und nach mit seinen ganzen Mitarbeitern aus allen möglichen Bereichen. Da entstand eine Verbundenheit.

Frage: War da auch eine Faszination, zu sehen, wie Mitarbeiter eines Unternehmens mitziehen wie ihr Chef?

Pater Anselm: Selbstverständlich. Da war die Idee einer Gemeinschaft, wie wir sie auch im Kloster haben, und plötzlich wurde sie auch in einem Unternehmen gelebt – ohne dass es wirtschaftliche Einbußen gab. Als gelernter Betriebswirt ist Rentabilität ein wichtiger Faktor – und so verstaubt scheinen Klöster nicht zu sein.

Frage: Herr Janssen, was haben Sie aus dem Kloster mitgenommen?

Bodo Janssen: Pater Anselm hatte mir gleich zu Anfang, nach unserer ersten Begegnung, deutlich zu verstehen gegeben, dass ich sehr kopflastig sei, dass ich unter einem großen Leistungsdruck stehen würde und viel zu ehrgeizig meine eigenen Ziele durchsetzen wolle. Er hatte mich genau erkannt, durchschaut, was auch immer. Mit seiner Hilfe habe ich die Lust wiedergefunden, etwas zu gestalten. Und ich stehe seitdem wieder mit meinen Leuten in Beziehung – das hatte ich durch die wirtschaftlichen Zielsetzungen verloren. Nichts finde ich spannender und anregender, als mich gemeinsam mit den Mitarbeitern zu entwickeln und Ideen umzusetzen.

Frage: Ist Ihr Weg für jeden anderen Unternehmer, für jeden anderen Menschen auch einer?

Bodo Janssen: Unbedingt. Wichtig ist nur, Stille aushalten zu können, und den Mut zu haben, sich selbst kennenlernen zu wollen. Meditation ist da eine gute Hilfe. Meine Frau hat mir nach meinem ersten Aufenthalt im Kloster ein Meditationskissen geschenkt – dafür bin ich ihr heute noch dankbar. Es ist schön, wenn die Familie den Weg mitgeht.

Über den Autor und weitere Mitwirkende
Bodo Janssen studierte BWL und Sinologie und stieg im Anschluss ins elterliche Hotel-Unternehmen ein. Nachdem sein Vater bei einem Flugabsturz ums Leben gekommen war, übernahm er die Führung der Hotelkette. Nachdem er bei einer Mitarbeiterbefragung vernichtende Ergebnisse erhalten hatte, beschloss er, für eineinhalb Jahre ins Kloster zu gehen. Nach dieser Zeit der inneren Einkehr leitete er in seinem Unternehmen einen Paradigmenwechsel ein mit dem Ziel, eine authentische Unternehmenskultur zu entwickeln, in der jeder Mitarbeiter im Unternehmen das leben kann, was ihm als Mensch wichtig ist. Im Ariston Verlag ist bereits sein Buch Die stille Revolution erschienen.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, deren Cellerar (wirtschaftlicher Leiter) er 36 Jahre lang war. Als Kursleiter und geistlicher Begleiter ist er viel unterwegs. Mit zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen erreicht er Millionen von Menschen.

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Anselm Grün und Bodo Janssen in ORF 2 Feierabend: Am Grunde des Ozeans

Sehr interessantes Interview mit Anselm Grün und Bodo Janssen.
Bodo Janssen " Wir haben keine wirtschaftlichen Ziele. Wir haben im Unternehmen eine These, Synthese - Die Wirtschaftlichkeit ist die Basis unseres Handelns, aber nicht der Sinn unseres Tuns. Die Mitarbeiter formulieren selbst, was Erfolg für sie bedeutet. Verbundenheit, Wertschätzung, Freiheit, Mut... und geben sich Antworten zu den Fragen Wer bin ich, was macht mich einzigartig, warum bin ich heute hier?"...

14 Februar 2018

Neu im Kino: "Gute Führung - Der Film"

Posted in Hör-/Buchtipp, Führung, Leadership

Zukunft von Führung und Arbeit

Neu im Kino:

Der Dokumentarfilm „Die Stille Revolution“ zeigt einen Vordenker einer neuen Arbeitswelt, die humaner und dabei produktiver ist. Was können Unternehmer und Führungskräfte von ihm lernen?

Was tun Sie, wenn eine Mitarbeiterbefragung ergibt: „Wir brauchen einen anderen Chef“? Schlucken und so weitermachen wie bisher? Bodo Janssen, Geschäftsführer der friesischen Hotelkette Upstalsboom, war in genau dieser Situation. Er bekam 2010 ein vernichtendes Feedback von seinen Mitarbeitern – und beschloss, etwas zu ändern. Er besuchte Seminare in einem Schweigekloster und kam wieder mit einer neuen Vorstellung von Führung. Und mit einem neuen Selbstbild. „Wenn jemand etwas als Führungskraft verändern möchte“, sagt Janssen heute, „dann ist er gut damit beraten, zunächst und ausschließlich bei sich selbst anzufangen.“

Dokumentiert hat diesen zweifachen Wandel Kristian Gründling in seinem Film „Die Stille Revolution“, der jetzt in einigen Kinos gezeigt wird. Der Film wirbt für einen Kulturwandel in der Arbeitswelt, für eine neue Unternehmenskultur, die nicht das Geld, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt. „Der Zweck ist immer der Mensch“, sagt Bodo Janssen. Dass neben dem Hotelchef noch 60 Gleichgesinnte zu Wort kommen, verleiht dieser Botschaft Gewicht, sodass der Filmtitel nicht zu viel verspricht und hoffen lässt.

Es äußert sich zum Beispiel Peter Bostelmann, „Direktor für globale Achtsamkeitspraxis“ beim Technologiekonzern SAP. Er wird dabei gezeigt, wie er bei einem Meeting meditiert: Ein Dutzend Frauen und Männer in Businesskleidung sitzen um einen Konferenztisch, die Augen geschlossen –  für viele immer noch ein ungewohntes Bild. „Vor zehn Jahren hätte ich darüber gelächelt“, sagt Bostelmann in die Kamera. Heute weiß er, dass Meditieren guttut, dem Menschen und der Arbeit.

Reflexion, Bewusstsein, Sinnhaftigkeit, Freiheit, Entfaltung – das sind Wörter, die im Film immer wieder fallen. Der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, zum Beispiel sagt: „Der Verstand fragt, wie’s geht, aber mit dem Bewusstsein kommt die Sinnfrage dazu.“ Nur wenn das Bewusstsein entsteht, etwas Sinnvolles zu tun und für einen sinnvollen Unternehmenszweck zu arbeiten, kann jemand auch zufrieden bei der Arbeit sein. Der ehemalige Finanzminister Hans Eichel spricht die Finanzkrise an. Man habe gesehen, dass es kein gutes Ende nehme, wenn Unternehmen nur noch möglichst viel Gewinn erzielen wollten. Er fragt: „Was ist eigentlich der wirkliche Sinn dessen, was wir da tun?“ Und der Benediktinermönch Anselm Grün, bekannt als Autor spiritueller Bücher, ist überzeugt: „Unternehmen, die Werte beachten, werden auf Dauer wertvoller.“

Der Film zeigt noch viele andere Köpfe, prominent oder nicht, alt oder jung, ob Spezialist für Gong-Meditation, Professorin, Personalleiter, Trendexpertin, Karma-Ökonom, Pferdetrainerin, Ideenhistoriker, Olympiasportler oder Leiter einer Stadtreinigung – leider nur wenige Frauen darunter. Allen gemeinsam ist der Gedanke, dass Arbeit auch anders geht und produktiver, wenn man bereit ist, sich vom veralteten Bild der Machtpyramide zu lösen: oben der Chef, ganz unten der Praktikant.

Bodo Janssen sagt es ganz offen: „Ich war ein Mensch der Zahlen, Daten, Fakten. Ich saß im größten Büro mit dem größten Schreibtisch.“ Erfolgreich war er damit nicht und glücklich auch nicht. „Mein ganzes Leben war eine Maske, immer am Posen.“ Anstrengend sei es gewesen, immer die Chefrolle aufrechtzuerhalten und insgeheim zu wissen: „Das bin ja nicht ich.“ Heute trägt er Dreitagebart und eine Strickweste überm weißen Hemd. Er spricht langsam, unkompliziert, ohne Scheu vor der Kamera. Die folgt ihm bei Spaziergängen übers Feld, am Strand, ins Watt, durch die Säulengänge des Schweigeklosters, durch den Wald, sie zeigt ihn am Steuer seines Segelbootes und immer wieder beim Meditieren im Kreise seiner Mitarbeiter. Der Prozess seines persönlichen Wandels wird begleitet von dem Gedanken: „Erst wenn ich mich selbst erkenne, kann ich andere führen.“

Dass der Hotelchef dabei handfeste Absichten verfolgt, verschweigt er nicht: „Ich wollte, dass die Mitarbeiter zufriedener werden, um mehr Leistung zu bringen.“ Und so dokumentiert der Film auch den Wandel des Unternehmens. 2013 erarbeiten sie alle gemeinsam in ihrem Hotel in Varel, Ostfriesland ein neues Leitbild für die Hotelgruppe. Jeder darf mitreden – das erleben die Mitarbeiter, wie sie sagen, als größte Veränderung.

Mehr Umsatz, weniger Krankmeldungen

Im Januar 2016 fahren Janssen und die Azubis nach Tansania und erklimmen gemeinsam den Kilimandscharo. Sie haben lange dafür trainiert, quälen sich nun die 5895 Meter nach oben und erreichen tatsächlich den Gipfel. „Man kriegt so oft gesagt, was man nicht kann“, sagt eine Auszubildende in die Kamera. „Jetzt sehen wir mal, was wir alles können.“ Das ist mehr als Teambuilding, hier hat scheinbar ein Umdenken begonnen. Die Experten im Film liefern dazu die Theorie, wenn sie von „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ sprechen und von „Potenzial entfalten, nicht Ressourcen ausnutzen“.

Und noch ein emotionales Projekt wird von der Kamera begleitet: eine Fahrt nach Ruanda im Februar 2016, wo die Hotelgruppe die von Reiner Meutsch gegründete Stiftung „Fly & Help“ beim Bau von Schulen unterstützt. Zur Eröffnung einer dieser Schulen sind ungefähr 20 Mitarbeiter und Bodo Janssen angereist, die Aufnahmen zeigen sie inmitten von Einheimischen, es ist ein großes Fest. Eine leitende Angestellte sagt: „Wenn man Wohltätiges in der Arbeitszeit tut, bekommt die Arbeit einen anderen Stellenwert“, und man glaubt ihr das.

Am Ende, wie um noch die letzten Zweifler zu überzeugen, packen die Filmemacher dann doch noch wirtschaftliche Kennzahlen aus. Krankmeldungen bei Upstalsboom: stark gesunken. Umsatz: verdoppelt. Bewerbungen: gestiegen. Weiterempfehlungen von Hotelgästen: gestiegen. Der Film an sich folgt keiner erkennbaren Struktur, die Flut von Zitaten ist schwindelerregend, und Rückschläge oder kritische Stimmen im Unternehmen scheint es nicht gegeben zu haben. Dennoch zeigt „Die Stille Revolution“ sehr eindrücklich: Ein Wandel ist möglich.

Filmvorführungen: am 12.2. in Berlin, bundesweiter Filmstart am 22.3., hier können auch separate Vorstellungen gebucht werden.

Quelle: Faktor A - Das Arbeitgebermagazin

TRAILER - Die Stille Revolution