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14 Juli 2023

Die Generation Z bewegt sich auf dem Arbeitsmarkt wie auf Tinder

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Die Generation Z bewegt sich auf dem Arbeitsmarkt wie auf Tinder

Eliza Filby ist britische Generationen-Expertin. Sie untersucht die Gesellschaft aus der Optik des Alters – von den Babyboomern bis zur Generation Alpha. Von den Veränderungen, die durch die Generation Z angestossen würden, könnten alle profitieren, meint sie. Viele Ältere würden das aber nicht erkennen.

Die Londoner Historikerin Eliza Filby ist fasziniert von Generationen. Sie ist überzeugt, dass wir als Gesellschaft die Kindheit beschleunigen, das Erwachsenwerden verzögern, die Lebensmitte verleugnen und neu definieren, was es heisst, alt zu sein. Filby kritisiert zwar, dass bei der Generationen-Analyse häufig lediglich Stereotype hervorgebracht würden. Dennoch hälfen die Kategorien Alter und Generation, die Menschen als Produkt ihrer Zeit zu sehen. Jede Generation habe ihre Überzeugungen, Erfahrungen, Gewohnheiten und Werte. Stossen die unterschiedlichen Generationen aufeinander, bleiben Konflikte nicht aus. Das gilt auch für die Welt der Arbeit.

Frau Filby, viele Unternehmen haben sich «Diversity» auf die Fahnen geschrieben. Gemeint ist damit meist Geschlechterdurchmischung. Sie setzen sich für Altersdiversität ein. Warum finden Sie das wichtig?

Das Alter der Menschen ist sehr polarisierend. Es spaltet die Gesellschaft, und zwar mehr als das Geschlecht oder die Zugehörigkeit zu einer Ethnie. Das Alter hat in der Arbeitswelt lange den hierarchischen Status definiert. Je älter, desto höher. Diese Hierarchie wird aufgebrochen.

Unternehmen scheinen jüngere Mitarbeiter heute zu hofieren. Sehen Sie einen regelrechten Jugendwahn?

Die Jungen haben sehr viele Optionen. Sie spüren, dass sie am Arbeitsmarkt gefragt sind. Sie gelten als agiler, flexibler und billiger. Sie sind technologisch versiert. Zwei Drittel wollen selbst Unternehmerinnen und Unternehmer werden, aber nicht Angestellte in grossen Unternehmen. Deshalb werden sie von den Unternehmen regelrecht hofiert.

Das grosse Interesse an der Generation Z hat aber auch Nachteile. Die Jungen wissen um ihren Wert und bewegen sich auf dem Arbeitsmarkt wie auf Tinder. Selbst wenn sie für einen Job zugesagt haben, schauen sie weiter. Sie sind hyperindividuell. Sie fragen nicht mehr: Was kann ich für das Unternehmen tun? Sie fragen: Was kann das Unternehmen für mich tun?

Werden die Älteren in den Unternehmen diskriminiert?

Altersdiskriminierung ist ein Problem. Darüber müssen wir als Gesellschaft eine grosse Diskussion führen. Wir brauchen die älteren Arbeitnehmer. Und wir brauchen sie produktiv, motiviert und nicht auf dem Abstellgleis. Für die Unternehmen ist es ein harter Kostenfaktor, wenn sie Leute verlieren. Momentan erhalten die Jungen viel Aufmerksamkeit, wesentlich mehr als die Alten. Aber auch die Älteren müssen sich gehört fühlen, sonst springen sie ab.

Warum werden die Älteren nicht mehr gehört?

Wir denken, wir wissen, was sie wollen. Aber die Wünsche der Boomer und der Generation X haben sich verändert. In Umfragen gibt ein Drittel der Generation X an, künftig weniger arbeiten zu wollen. Die Covid-Pandemie hat vielen von ihnen gezeigt, dass sie nicht mehr jung sind. Covid war altersdiskriminierend. Plötzlich galten die Generation X und die Boomer als verletzlich. Das hat ihren Fokus vermehrt auf die Bedeutung ihrer eigenen Gesundheit gelenkt.

Ein weiteres Problem ist, dass sich viele Ältere emotional aus dem Arbeitsleben ausklinken, vor allem Männer. Die Gender-Debatte hat viele Männer entfremdet, auf ein Abstellgleis verfrachtet und verstummen lassen. Sie haben Sinn und Status verloren.

In den Unternehmen arbeiten seit dem Eintritt der Generation Z in den Arbeitsmarkt mit ihr, den Babyboomern, der Generation X und den Millennials erstmals vier verschiedene Generationen zusammen. Warum führt das zu Spannungen?

Eigentlich wollen alle dasselbe. Einen guten Lohn und ein gutes Leben. Aber das Verhalten ist unterschiedlich. Das führt zu Konflikten. Die Generation Z ist mit weniger Formalität aufgewachsen. In der Arbeitswelt muss man ihnen zum Teil Regeln erst noch beibringen, die für andere selbstverständlich sind. Zum Beispiel das Telefon abzunehmen, wenn es klingelt. Die Generation Z ist es nicht mehr gewohnt, E-Mails zu beantworten. Kommuniziert wird per Slack oder mit Voice-Nachrichten.

Die Generation X und zum Teil auch die Boomer wollen sich ihrerseits nicht aus ihren Positionen verdrängen lassen. Sie wollen weiterarbeiten beziehungsweise müssen dies zum Teil auch aus finanziellen Gründen.

 

Was sind die grössten Konflikte?

Von den Veränderungen wie mehr Flexibilität und Work-Life-Balance, die durch die Generation Z angestossen werden, können alle profitieren. Viele Ältere erkennen das aber nicht. Sie meinen, dass nur die Jungen Vorteile hätten, und werden missgünstig.

Veränderungen gibt es aber auch für die Arbeitgeber. Die Unternehmen müssen lernen, mit Angestellten zu leben, die ihr Einkommen aus mehreren Quellen beziehen. Die Jungen betreiben neben ihrem Job vielleicht noch einen kleinen Online-Shop. Die Älteren arbeiten zum Ende ihrer Karriere vermehrt reduziert auf Mandatsbasis. Das Erwerbsleben endet nicht mehr auf dem Höhepunkt. Der Ausstieg wird gleitender. Es wird Zeit brauchen, bis sich die Unternehmen daran gewöhnen.

Was können die Älteren von den Jüngeren lernen?

Die Jungen sind sehr gut darin, ihre Werte und sich selbst an den Arbeitsplatz zu bringen. Sie zeigen ihre Persönlichkeit sehr offen.

Die Älteren können von den Jüngeren lernen, ihre Meinung zu äussern. Sie können lernen, eine bessere Work-Life-Balance zu etablieren und Unternehmergeist zu entwickeln. Und natürlich können sie von den Jüngeren technologische Fähigkeiten lernen.

Was können die Jüngeren von den Älteren lernen?

Zwischenmenschliche Fähigkeiten. Die Fähigkeit, Beziehungen zu pflegen, Achtung zu zeigen und Formalitäten einzuhalten, wenn es das braucht. Die Jungen sind oft ungeduldig; sie können eine gewisse Art der Geduld und Gelassenheit lernen.

Für viele junge Erwachsene ist es einfacher, frei vor einer Kamera zu sprechen und ein Video aufzunehmen, als anderen zuzuhören, besonders, wenn diese anderer Meinung sind.

Wer muss sich anpassen?

Beide.

Wie verändert sich die Unternehmenskultur?

Derzeit ist alles cool, was jung ist, und alles nicht cool, was alt ist. Das ist eine echte Gefahr. Gerade aber die künstliche Intelligenz wird uns dazu zwingen, unseren Fokus auf Ethik und menschliche Werte zu richten.

Wie sieht es aus mit der Konzentrationsfähigkeit? Ist die Aufmerksamkeitsspanne der jüngeren Generation tatsächlich kürzer geworden?

Die geringere Aufmerksamkeitsspanne ist eine schlechte Sache. Das betrifft uns alle, mich auch. Ich habe einen Timer auf dem Tisch und habe es mir zur Regel gemacht, dass ich in den Konzentrationsphasen nicht aufstehen, das Handy nicht anschauen, keine Mails checken darf.

Das System nennt sich Pomodoro-System, nach einem italienischen Wissenschafter, der dieses mit einem Timer in Tomatenform entwickelt hat. Die Schulen sollten den Schülern beibringen, wie man hyperfokussiert. Es ist wie ein Muskel, den man trainiert. 25 Minuten Hyperfokus, dann 10 Minuten Pause. Dann wieder Hyperfokus. Insgesamt dreimal. Anstatt wirklich konzentriert zu sein, sind wir oft nur halb fokussiert.

Die Generation Z ist mit Gleichberechtigung aufgewachsen. Rechnen Sie damit, dass die Frauen dieser Generation immer noch mehr Familienarbeit übernehmen als die Männer?

Die Frauen der Generation Z wollen nicht so hart arbeiten wie ihre Mütter. Ihre Mütter waren die erste Generation von Frauen, die im Berufsleben wirklich Karriere machen konnten. Die jungen Frauen haben gesehen, wie viel Stress ihre Mütter durch die Doppelbelastung hatten. Die Generation Z möchte eine bessere Work-Life-Balance. Das geht nur, wenn die Männer mitmachen. Damit die Frauen im öffentlichen Raum aufsteigen können, müssen die Männer in der heimischen Sphäre aufsteigen.

Die #MeToo-Bewegung hat auch den Männern viel gebracht. Väter, die nicht Vollzeit arbeiten, müssen nicht mehr zeigen, dass sie nicht minderwertig und schäbig sind. Vaterschaft am Arbeitsplatz ist akzeptierter. Perfekt ist es nicht. Ein Vater kann heute sagen, dass er müde sei, weil die Kinder in der Nacht nicht durchgeschlafen hätten. Aber es ist noch nicht akzeptiert, dass er ein Meeting früher verlässt, um die Kinder von der Krippe abzuholen.

Über die Expertin

Dr. Eliza Filby ist Generationen-Expertin und bezeichnet sich als Historikerin für zeitgenössische Werte. Als Autorin, Rednerin und Beraterin hilft sie Unternehmen, Regierungen und Dienstleistern, den Generationenwechsel in Politik, Gesellschaft und am Arbeitsplatz zu verstehen. Filby hat an der University of Warwick promoviert. Sie ist die Autorin von «Fuelling Gender Diversity: Unlocking the Next Generation Workplace» und produziert einen Podcast, der sich mit der Generationen-Kluft beschäftigt. Das Interview mit Eliza Filby wurde an der NWX23 geführt, dem New-Work-Festival zur Zukunft der Arbeit in Hamburg. Organisator ist das Unternehmen New Work SE, dem die Marken Xing (Job-Netzwerk), Kununu (Plattform für Arbeitgeberbewertungen) und Onlyfy by Xing (Recruiting) gehören. Das Unternehmen ist seit 2006 kotiert und beschäftigt rund 2000 Mitarbeiter.

Quelle: NZZ

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Kleines Glossar der Generationen nach Eliza Filby

Babyboomer: Die aussergewöhnliche Generation. Babyboomer haben nach dem Zweiten Weltkrieg enorm viel erreicht. Sie beherrschen die Unternehmenswelt. Sie sind die reichste Generation, die privilegierte Generation. Als die Babyboomer jung waren, haben alle über Jugendkultur gesprochen. Jetzt, wo sie alt werden, sprechen alle über die alternde Gesellschaft. In Grossbritannien ist jeder fünfte Boomer ein Millionär. In den USA besitzen die Boomer 70 Prozent des Vermögens, in Frankreich 60 Prozent.

Die Babyboomer definieren neu, was «Alter» heisst. In den USA sind die Boomer die Generation, die am meisten Zeit im Fitnessstudio verbringt. Sie mögen nicht immer die Grosskinder hüten. Es ist die Generation, bei welcher der Gebrauch von Social Media am schnellsten wächst. Facebook ist heute der Spielplatz der Babyboomer, morgen ihr Friedhof. 2050 wird es auf Facebook mehr Profile von Toten geben als von Lebendigen.

Generation X: Die ignorierte Generation. Grössenmässig wurden sie lange von den Boomern überschattet. Die Generation X ist die erste Tech-Generation, es sind die früheren Sony-Walkman-Kinder. Es ist die Generation, in der die Frauen die Männer an den Universitäten zahlenmässig überholt haben. Sie hat als erste die traditionellen Geschlechterrollen hinterfragt und die Diskussion um die Chancengerechtigkeit für Frauen am Arbeitsmarkt angestossen hat. Die Generation X ist aber gleichzeitig auch die eingezwängte Generation. Sie arbeitet, schaut nach den eigenen Kindern und muss sich oft noch um die alten Eltern kümmern. Frauen der Generation X waren während der Corona-Pandemie die am meisten gestresste Gruppe.

Millennials: Die Zwischengeneration. Millennials gelten als die am besten ausgebildete Generation «ever» – aber sie sind vielleicht die am wenigsten fachkundige Gruppe. Mitten durch diese Generation verläuft ein tiefer Graben. Es ist die Generation der Erben. Was sie spaltet, ist, wer auf eine Mama-Papa-Bank zählen kann und wer nicht. In Grossbritannien ist die Mama-Papa-Bank mittlerweile der sechstgrösste Hypothekargeber.

Generation Z: Die fluide Generation. Sie glaubt nicht an einen Arbeitgeber, sondern an fünf verschiedene Karrieren. Ihr Unternehmergeist spiegelt ihre Einschätzung, dass sie sich nicht auf nur ein Gehalt verlassen können. Die Generation Z ist mit Eltern aufgewachsen, die sie nach ihrer Meinung gefragt haben. Heute will die Generation Z, dass ihre Stimme auch am Arbeitsplatz gehört wird. Damit krempelt sie die alte Ordnung um.

Die Generation Z ist aber auch skeptisch und ängstlich. Es sind die neuen Puritaner. Ihre Angehörigen trinken weniger Alkohol, konsumieren weniger Drogen und haben weniger Sex. Sie wissen, dass in jeder Bar, in der sie trinken, und in jedem Bett, in dem sie schlafen, ein Überwachungsgerät in ihrer Nähe sein kann, was zu Shaming, Bullying und zur Blossstellung genutzt werden kann.

19 Mai 2023

So wichtig ist New Leadership für eine erfolgreiche Transformation

Posted in Führung, Leadership

Arbeit & Leben

So wichtig ist New Leadership für eine erfolgreiche Transformation

Seit Januar 2022 ist Marion Bönsch* als Head of EMEA HR und Geschäftsführerin der Olympus EUROPA SE & CO. KG verantwortlich für 7.800 Mitarbeitende in mehr als 20 Ländern. Im Vorfeld ihres Auftritts bei der NWX23 sprach die studierte Psychologin mit dem NWX Magazin über ihr persönliches Verständnis von New Leadership, moderne Rollenbilder für Führungskräfte und japanische Konsenskultur in einer globalen Organisation.

NWX Magazin: Sie sprechen auf der NWX23 über New Leadership. Was verbinden Sie persönlich mit diesem Begriff? 

Marion Bönsch: Vor allem ein hohes Maß an Selbstreflexion. Führen heißt für mich nicht länger, dass ich entscheide, weil ich in der Hierarchie oben stehe oder dass meine Entscheidungen quasi „von Amts wegen“ akzeptiert werden. Vielmehr muss ich meine Führungsrolle stets im jeweiligen Kontext sehen: im Kontext des Unternehmens, der Abteilung, des aktuellen Meetings oder – in der heutigen hybriden Arbeitswelt – auch noch im Kontext ganz unterschiedlicher Arbeitsumgebungen. Ich muss mich als Führungskraft also möglichst gut auf die jeweilige Situation einstellen und abwägen, welche Rolle dem aktuellen Kontext am besten entspricht.

New Leadership bedeutet für Sie also auch Rollenvielfalt?

Marion Bönsch:  Ja, Rollenvielfalt ist für mich ein zentraler Aspekt von New Leadership. Natürlich müssen Führungskräfte nach wie vor Entscheidungen treffen. Neben die klassische Entscheiderrolle tritt aber heute auch die moderne Rolle als Coach, der Mitarbeitende unterstützt, selbst zu den richtigen Entscheidungen zu kommen. Daneben sehe ich noch eine dritte und vierte Rolle, die für die Zukunft entscheidend sind und immer mehr Gewicht bekommen: die Rolle des Mediators oder Moderators, der genau zuhört und so kommuniziert, dass er die Menschen im jeweiligen Kontext abholt und mitnimmt. Aus diesem Skillset ergibt sich die vierte Rolle als Enabler, welcher als Führungskraft dafür sorgt, dass alle Mitarbeitenden ihre eigene Rolle optimal ausfüllen können. 

Das klingt sehr anspruchsvoll. Wie gut passt New Leadership zu den japanischen Wurzeln und der 100-jährigen Geschichte von Olympus?

Marion Bönsch: Olympus ist heute ein global aufgestelltes Medizintechnikunternehmen mit mehr als 30.000 Mitarbeitenden auf fünf Kontinenten, das erfolgreich durch eine intensive Phase der Transformation gegangen ist und zuletzt sowohl organisch als auch durch Zukäufe weiter gewachsen ist. Allein zu meiner Region gehören mehr als 40 Nationen. Es gibt bei uns also nicht die eine Kultur, sondern eine große kulturelle Bandbreite. Dennoch spiegeln sich japanische Werte in unseren Unternehmenswerten und somit auch in unserer Führungs- und generellen Unternehmenskultur wider – insbesondere beim Thema Konsens, aber auch bei dem Ziel einer Healthy Organization, also einer gesunden Unternehmensentwicklung, welche auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit setzt. 

Ist Japan nicht eher ein autoritäres Land, wo man dem Chef niemals widerspricht und arbeitet bis zum Umfallen?

Marion Bönsch: Dieses Bild haben viele im Kopf, doch tatsächlich hat die Gemeinschaft in Japan   einen sehr hohen Stellenwert. Teamwork, Austausch, gegenseitiger Respekt und Wertschätzung, Rücksichtnahme oder die sprichwörtliche Höflichkeit sind typisch japanisch und passen aus meiner Sicht sehr gut zu New Leadership und sind auch in unseren fünf Kernwerten reflektiert: Zusammenhalt, Integrität und Empathie werden als Kernwerte bei Olympus im täglichen Miteinander wirklich gelebt. Das Thema Agilität ist sicherlich noch weiter ausbaufähig, aber unseren Long Term View, also die langfristige Perspektive, die unsere Entscheidungen und Führungskultur bestimmt, sehe ich als echten Wettbewerbsvorteil. Gerade in unsicheren Zeiten geben diese Werte den Menschen im Unternehmen Halt und stärken das Zugehörigkeitsgefühl.

Haben Sie dafür mal ein Beispiel? Wie sieht der Long Term View bei der Personalführung aus?

Marion Bönsch: Wir haben die langfristige Sichtweise auf Menschen und Arbeitsergebnisse fest im Leadership Framework und in unseren Bewertungsschemata verankert: Bei uns zählt nicht nur, was man erreicht hat, sondern vor allem wie. Alle Mitarbeitenden, auch die Führungskräfte, müssen sich ganz konkret an unseren Unternehmenswerten messen lassen, sonst wären es ja nur Worthülsen. Long Term View heißt auch, dass wir unseren Mitarbeitenden Entwicklungsmöglichkeiten lokal, regional und global geben. Olympus steht nicht für Hire & Fire, auch nicht in Krisenzeiten, wie Corona gezeigt hat, sondern dafür, langfristig in die Mitarbeitenden zu investieren, sie fachlich und persönlich zu entwickeln.

Also alles perfekt – oder gibt es auch Herausforderungen?

Marion Bönsch: Natürlich gibt es die. Olympus hat in den letzten drei Jahren eine gewaltige Transformation durchlaufen. Im Zuge dessen wurden die traditionsreichen Geschäftssparten für Kameras und Mikroskope ausgegliedert. Parallel wurde stark in Globalisierung und Digitalisierung investiert. Für Olympus war es zweifelsfrei der richtige Schritt, sich als globales Medizintechnikunternehmen am Markt zu positionieren. Das stärkt auch unsere Arbeitgebermarke und schafft neue spannende Arbeitsfelder. Aber natürlich waren der Change und das Tempo der Veränderung – auch über die Pandemie hinweg - rasant und mit vielen Herausforderungen verbunden.

Sie sind seit 2022 Personalvorständin – was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen? 

Marion Bönsch: Bei den Themen Diversity, Equity & Inclusion (DEI) können wir trotz zuletzt guter Fortschritte sicherlich noch besser werden. Hier haben wir uns einiges vorgenommen. Auch am Frauenanteil, insbesondere bei Frauen in Führungspositionen, müssen wir genau wie viele andere Technologieunternehmen noch arbeiten. Ganz besonders liegt mir das übergreifende Thema Psychological Safety am Herzen. Als MedTech-Unternehmen müssen wir stets die Balance halten zwischen einem Umfeld, das einerseits offen für Innovationen ist und gleichzeitig sehr hohe Sicherheitsstandards wahrt. Damit Mitarbeitende sich trauen, Ideen zu präsentieren oder Verbesserungspotenziale offen anzusprechen, müssen sie sich sicher und ermutigt fühlen, Fehler, Misserfolge und Kritik frei zu äußern. So ein Umfeld ist für mich der Schlüssel zu New Leadership und einer erfolgreichen Unternehmenskultur, unser HR Team kann hier einen wertvollen Beitrag leisten.

Das Interview führte Kirstin von Elm

*Zur Person: Marion Bönsch ist studierte Diplom-Psychologin mit den Schwerpunkten Personalentwicklung, systemische Beratung und Organisationspsychologie. Nach ihrem Studium an den Universitäten von Berlin, Amsterdam und Hamburg und einer abgeschlossenen Ausbildung zur Bankkauffrau bei der Deutschen Bank begann sie ihre Karriere bei der RWE-DEA AG. Während ihrer darauffolgenden, 20-jährigen Tätigkeit bei Shell hatte sie lokale, regionale und globale HR-Funktionen inne, seit 2018 war sie unter anderem Mitglied der Geschäftsführung von Shell in Deutschland. Seit Januar 2022 ist Marion Bönsch Head of EMEA HR und Geschäftsführerin der Olympus EUROPA SE & CO. KG. Das globale Technologie- und inzwischen hunderprozentige Medizintechnikunternehmen Olympus wurde 1919 in Japan gegründet und beschäftigt weltweit mehr als 30.000 Menschen, davon rund 7.800 in der Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika). 

Quelle: nwx.new-work.se

11 November 2022

So sieht gelebte Vielfalt im Unternehmen aus

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Diversity in der IT-Branche

So sieht gelebte Vielfalt im Unternehmen aus

Vor gut acht Jahren hat der IT-Dienstleister Adacor mit dem Gendern interner Dokumente begonnen. Mittlerweile ist Vielfalt dort kein Schlagwort, sondern gelebter Arbeitsalltag: Nicht nur der Frauenanteil ist höher, sondern auch die Offenheit gegenüber anderen Perspektiven und neuen Themen, wie Mitarbeitende berichten.

Seit bald 20 Jahren unterstützt die Adacor Group Unternehmen wie die GLS Bank, VW oder den Klett Verlag bei der Digitalisierung. An den drei Standorten Offenbach, Essen und Gütersloh arbeiten insgesamt etwa 100 Mitarbeitende: Sie entwickeln technische Konzepte für die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, bauen Cloud-Infrastrukturen auf und betreiben mehrere Rechenzentren in Frankfurt. 2019 unterschrieb die inhabergeführte Firma die Charta der Vielfalt, bereits vier Jahre zuvor hatte sie sich zu den Leitlinien des Fortschrittsindex Vereinbarkeit des Bundesfamilienministeriums bekannt. Auf Kununu erzielt Adacor beste Bewertungen, insbesondere in den Bereichen Gleichberechtigung und Umgang mit älteren Teammitgliedern, und gilt als „Great Place to Work“. Warum Diversität und Familienfreundlichkeit wichtige Werte bei Adacor sind, wie sie gelebt werden und in welchen Bereichen noch Entwicklungspotenzial besteht, beschreiben die Leiterin für People & Culture, Kiki Radicke, sowie die Systemadministratorin Lara Nickolai und der Verwaltungsangestellte Benjamin Trigui.

DAS SAGT DIE LEITERIN PEOPLE & CULTURE

„Wir wollen niemanden ausschließen“

Kiki Radicke ist 51 Jahre alt, arbeitet seit zehn Jahren bei Adacor und leitet den Bereich People & Culture.

Faktor A: Vor drei Jahren trat Adacor der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt bei. Was waren die Gründe dafür?

Kiki Radicke: Diversity ist für uns schon relativ lange ein wichtiges Thema. Auslöser war eine Kollegin, die nach einem Workshop mit vielen Kolleginnen und Kollegen auf mich zukam und sagte, inhaltlich sei alles super gewesen, aber sie hätte sich nicht angesprochen gefühlt. Es hätte immer nur Mitarbeiter, Teamleiter und Bereichsleiter geheißen, doch sie als Frau habe sich nicht gemeint gefühlt. Das hat mich sehr getroffen, weil das natürlich überhaupt nicht meine Absicht gewesen war. Doch in diesem Moment ist mir schlagartig klar geworden, wie ich selbst Sprache benutze bzw. wie wir im Unternehmen mit Sprache umgehen. Danach haben wir unternehmensweit mit der Umstellung begonnen. Das ist jetzt etwa acht Jahre her. Angefangen haben wir mit allen internen Dokumenten. Gendern ist gar nicht so einfach, wenn man es noch nie gemacht hat. Inzwischen ist es erfreulicherweise völlig normal, von „Mitarbeitenden“ zu sprechen oder „Beschäftigte“ zu sagen.

Wie kam die neue Sprachregelung bei Ihnen in der Firma an?

Zu Beginn haben sich die Kolleginnen und Kollegen etwas schwergetan. Aber wir haben das durchgesetzt, eben weil wir alle mitnehmen wollen. Es gab auch durchaus Diskussionen mit dem Marketing, wo man der Meinung war, dass Doppelpunkte und Sternchen den Lesefluss behindern. Wir haben dann einen Mittelweg gefunden. Seitdem stellen wir Sätze um, benutzen männliche und weibliche Form zusammen oder verwenden den Plural. Mittlerweile haben wir ein richtiges Diversity-Management aufgebaut: mit Zielen, die wir uns jedes Jahr setzen, den Maßnahmen, die wir dafür nutzen wollen, und der Dokumentation der Ergebnisse im Intranet.

Welches Projekt stand dann auf Ihrer Agenda?

Die Stellenanzeigen. Wir haben uns genau angeschaut, wie wir die Menschen ansprechen und mit welchen Attributen wir die Stellen beschreiben. Studien zeigen, dass Begriffe wie „zielstrebig“ und „erfolgsorientiert“ eher Männer ansprechen, „teamfähig“, „emphatisch“ und „begeisterungsfähig“ dagegen eher Frauen. Wir haben deshalb zwei Stellenanzeigen für die gleiche Position formuliert, um gezielt Frauen anzusprechen.

Ist Ihnen das gelungen?

Ganz klar: Ja. Im Schnitt beträgt der Frauenanteil in der IT 16 Prozent, bei uns sind es fast 25 Prozent. Aber natürlich hat das auch mit den vielen Angeboten zu tun, die wir zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen.

Wie divers ist Adacor denn mittlerweile? Ihr dreiköpfiges Geschäftsführungsteam ist zumindest nach wie vor sehr homogen: weiß, männlich, mittelalt …

… und vermutlich sind wir auch nicht bahnbrechend divers, was die sexuelle Orientierung betrifft. Allerdings fände ich Daten in diesem Bereich sowieso irrelevant. Wie und warum sollte ich sie auch messen wollen? Am allerwichtigsten ist doch, dass klar ist, dass alle Mitarbeitenden im Unternehmen völlig offen damit umgehen können, wen sie lieben. Andreas Bachmann, einer unserer Geschäftsführer, war übrigens in Sachen Diversity von Anfang an mit dabei. Er gehörte auch zu denen, die sofort und konsequent ihre Sprache verändert haben. Es war ihm wichtig, niemanden auszuschließen.

Und sonst? Wie wird Vielfalt im Alltag gelebt?

Wir haben keine Kantine, aber relativ viele Events. Klar, dass wir bei den Essensvorlieben Rücksicht nehmen: auf die türkischen Kolleginnen und Kollegen, die bestimmtes Fleisch nicht essen, auf vegetarisch und vegan Essende. Das heißt, es gibt immer eine Auswahl, die für alle funktioniert. Und selbstverständlich legen wir keine Feste in den Ramadan. Alle zwei bis vier Wochen bieten wir außerdem sogenannte Lunch-and-Learn-Sessions in der Mittagspause an, stellen das Essen, und dann erzählen Kolleginnen und Kollegen 20 bis 30 Minuten lang, was für andere interessant sein könnte, sei es über das Zuckerfest, Triathlon oder – wie kürzlich – über Neurodiversität. Was sich noch verändert hat, sind unsere Räume. 2018 sind wir innerhalb Offenbachs umgezogen. Die Architektur am neuen Standort ist viel offener. Die große Küche nutzen wir für das gemeinsame Essen, hier ergibt sich immer auch teamübergreifender Austausch. Das finde ich ganz wichtig. Denn der Ort ermöglicht Begegnungen und Gespräche auch mit denen, die vielleicht anders aussehen oder anders orientiert sind.

Wenn Sie als Unternehmen ohnehin schon viel Wert auf Vielfalt gelegt haben, warum war es Ihnen dennoch wichtig, die Charta der Vielfalt zu unterschreiben?

Es hat für uns tatsächlich noch mal einen großen Unterschied gemacht, ob wir unsere Werte nur aus dem Bauch heraus leben oder ob wir uns ganz offiziell dazu verpflichten. Damit setzen wir uns Ziele, die Teil unserer Quartalsplanung sind – und die wir überprüfen. Seitdem gibt es auch nach jedem Projekt eine Art Retrospektive, bei der wir unter anderem schauen, ob wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht wurden. Den Tag der Vielfalt feiern wir auch. Im vergangenen Jahr haben wir uns dafür am Standort Essen mit zwei anderen Firmen zusammengetan und die Initiative „Vielfalt verbindet Unternehmen“gegründet. Unsere Idee war, jedem Unternehmen kostenlos einen Werkzeugkasten zur Verfügung zu stellen, um das Thema Diversity unkompliziert im eigenen Haus anzuschieben und darüber ein Netzwerk in Nordrhein-Westfalen aufzubauen.

Adacor hat sich auch für den „Fortschrittsindex Vereinbarkeit“* zertifizieren lassen. Weshalb?

Einfach weil wir es wichtig finden. Wissen veraltet vor allem in der IT-Branche wahnsinnig schnell. Unsere Leute müssen deshalb konsequent an den Inhalten dranbleiben, was extrem anstrengend ist. Also müssen wir sie als Unternehmen darin unterstützen, das auch mit zu pflegenden Eltern oder Kinderbetreuung zu schaffen. Denn nur dann können wir als Unternehmen erfolgreich sein. Aktuell sind wir dabei, einen Prozess aufzusetzen, durch den unsere Mitarbeitenden nach ihrer Elternzeit wieder gut einsteigen können. Dazu gehört ein Entwicklungsgespräch vor der Pause ebenso wie die Planung einer Einarbeitungszeit, aber auch die Einladung zu Firmenevents und Angebote zur Weiterbildung. Gute Fachleute zu finden, ist nicht einfach. Und wenn sie schon da sind, möchten wir sie natürlich auch halten.

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* Fortschrittsindex Vereinbarkeit

Gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und dem Bundesverband der Personalmanager (BPM) hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Fortschrittsindex Vereinbarkeit entwickelt. Dabei bekennen sich Firmen zu einer familienfreundlichen Unternehmenskultur, verpflichten sich zu sogenannten Leitlinien wie Vielfalt, die sich in der Wertschätzung aller Lebensentwürfe zeigen. Anhand von zwölf Kennzahlen – darunter der Anteil von Männern und Führungskräften in freiwilliger Teilzeit sowie der betrieblichen Unterstützung von Beschäftigten bei der Pflege – lässt sich jährlich unkompliziert messen, wie sich die eigene familienbewusste Unternehmenskultur auch im Vergleich zu anderen entwickelt. Ein Teilnahmesiegel bestätigt diese familienbewusste Unternehmenskultur. Seit Ende 2021 gibt es auch eine Miniversion, den sogenannten Fortschrittsindex Quick. Es ist ein besonders niedrigschwelliges Angebot, bei dem sich Unternehmen auch nur bei einzelnen, für sie wichtigen Kennzahlen wie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice mit anderen vergleichen können.
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DAS SAGEN DIE MITARBEITENDEN

„Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann noch mehr Kolleginnen“

Lara Nickolai ist 30 Jahre alt und arbeitet seit fünf Monaten als Systemadministratorin bei Adacor.

„Schon bald nach Beginn meiner Ausbildung wusste ich, dass ich in dem Unternehmen nicht länger bleiben würde als nötig. Es lief dort nicht gerade optimal, vor allem, was die Gleichberechtigung betraf. Zum einen, weil auf Auszubildende gerne ein bisschen herabgeschaut wurde, zum anderen, weil ich als Frau einen männlich geprägten Beruf lernte – mit der Folge, dass von meinen Kollegen immer wieder sexistische Sprüche kamen. Auch von meinem Ausbilder. Als ich ihm zum Beispiel mein Halbjahreszeugnis von der Berufsschule mit einem Notendurchschnitt von 1,0 zeigte, durfte ich mir anhören, dass ich bei den Lehrern bestimmt voll den guten Hundeblick draufhätte. Solche Bemerkungen gab es regelmäßig.

Von einem Bekannten hatte ich gehört, dass das Klima bei Adacor gut sein solle. Also habe ich mir bei Kununu die Bewertungen angeschaut und natürlich auch die Webseite des Unternehmens. Dort fand ich unter anderem einen Blogartikel, den eine Angestellte und eine Auszubildende gemeinsam zum Thema Gleichberechtigung geschrieben hatten. Die beiden betonten darin, wie sehr die Geschäftsführung darauf achtet, dass Gleichberechtigung wirklich umgesetzt wird. Auf der Seite stieß ich auch zum ersten Mal auf die Charta der Vielfalt. Da in meinem Familien- und Freundeskreis einige Menschen sind, die transgender sind oder aus anderen Gründen nicht der Norm entsprechen, sind mir die Themen Vielfalt, Antirassismus und Diversität sehr wichtig.

Im Support arbeite ich mit fünf Kollegen sehr eng zusammen, insgesamt sind wir zu zehnt und zumindest altersmäßig gemischt. Kolleginnen habe ich auch, aber die arbeiten in der Entwicklungsabteilung. In meiner Berufsschulklasse waren wir übrigens 30 – 29 davon Männer. Selbst für Unternehmen wie Adacor, die explizit Frauen für den IT-Bereich suchen, ist es extrem schwierig, welche einzustellen – einfach weil es kaum welche gibt. Und das hat vermutlich auch damit zu tun, dass man in vielen Betrieben spürt, als Frau mindestens doppelt so viel leisten zu müssen, um ähnlich anerkannt zu werden wie ein Mann. Ich kann verstehen, dass da nicht jede Lust drauf hat.

Auch bei Adacor gibt es gelegentlich noch diesen alten, weißen Männerhumor, bei dem man sich fragt: ‚In welchem Jahrhundert bist du denn bitte gerade gelandet?‘ Aber im Gegensatz zu meinem Ausbildungsbetrieb kann man das dann ansprechen, ohne das Gefühl zu haben, allein mit dieser Ansicht zu sein. Denn sämtliche Vorgesetzte sehen das wie ich und leben das auch. Das vermittelt enorm viel Sicherheit.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann natürlich noch mehr Kolleginnen. Und dass an den freiwilligen Vorträgen und Schulungen zum Thema Diversität nicht immer nur dieselben Leute teilnehmen, sondern auch die, denen es durchaus guttäte.“

 

„Vielfalt war hier immer schon normal“

Benjamin Trigui, 38, arbeitet seit 2013 als Verwaltungsangestellter bei Adacor.

„Ich war bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellt, als mich ein Freund, der bei Adacor arbeitete, fragte, ob ich nicht wechseln wolle: In der Verwaltung würde jemand gesucht. Eigentlich hatte ich kein Interesse: Meine Kollegen waren nett, ich kannte meinen Job und bekam jedes Jahr eine 0,5-prozentige Gehaltserhöhung. Doch alles, was er mir erzählte, gefiel mir: die flexiblen Arbeitszeiten, die gemeinsamen Mittagspausen, das regelmäßige Feedback. Ich mochte das Familiäre, das er beschrieb, das Duzen, die flachen Hierarchien. Überhaupt fand ich das ganze Paket aus Teamevents, Fitnessstudio und Übernahme von Kitabeiträgen echt attraktiv. Ziemlich cool war auch, dass man als normaler Verwaltungsangestellter sein Diensthandy wie alle anderen frei wählen konnte – und nicht wie sonst üblich nur bis zu einem bestimmten Betrag.

In meiner Abteilung sind wir zu sechst: vier Frauen, zwei Männer, von 25 bis 60 Jahre, also ziemlich gemischt. In unserem Team bin ich allerdings der Einzige mit einem arabischen Nachnamen. In meinem alten Unternehmen gab es immer wieder mal so Sprüche wie: „Wann schließt du dich eigentlich dem IS an?“ und: „Bist du auch ein Schläfer?“. Ich fand das nicht lustig. Bei Adacor habe ich so etwas nie erlebt, hier werde ich auch nicht schief angeschaut, wenn ich in T-Shirt und kurzer Hose zur Arbeit komme. Denn egal ob privater Musikgeschmack oder religiöse Speisevorschriften – all das ist okay, niemand macht darüber flapsige Bemerkungen. Vielfalt war hier immer schon normal, ich kenne das gar nicht anders. Trotzdem finde ich es super, dass die Charta unterschrieben wurde. Das hat einfach größeres Gewicht. Man denkt dann über die Werte immer wieder nach, vor allem dann, wenn Menschen andere Erfahrungen gemacht haben oder anders denken und empfinden als man selbst.

Von dem Vereinbarkeitssiegel hatte ich anfangs kaum etwas mitbekommen – dafür jetzt allerdings ziemlich viel. Meine Frau hatte vor knapp vier Wochen einen Bandscheibenvorfall und konnte unseren 15 Monate alten Sohn weder hochnehmen noch tragen. Also musste ich von jetzt auf gleich Familie und Beruf unter einen Hut kriegen. Ich dachte, das schaffe ich nicht. Doch mein Team hat sofort alle meine Termine übernommen und gesagt: ‚Bleib im Homeoffice und schau, was du schaffst.‘ So konnte ich auch mal am Nachmittag mit meinem Sohn auf den Spielplatz gehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Stunden, die ich jetzt weniger arbeite, werden einfach mit meinem Urlaub verrechnet – für mich eine super Lösung. In meinem Freundeskreis bin ich übrigens der Einzige, bei dem so etwas möglich ist. Sogar mein Antrag auf den Partnerschaftsbonus, bei dem beide Eltern für vier Monate Teilzeit arbeiten, ist schon durch. Bei Adacor werde ich bestimmt noch länger bleiben.“

Quelle: Faktor A - Das Arbeitgebermagazin

17 Juni 2022

Female Leadership: Sind Frauen die besseren Führungskräfte?

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Arbeitsalltag

Female Leadership: Sind Frauen die besseren Führungskräfte?

Es braucht gleichermaßen Männer und Frauen in Führungsrollen. Die Frage, wer die bessere Führungskraft ist, lässt sich nur beleuchten, wenn man einen Blick auf den Kontext wirft. So würde auch die Frage danach, ob Äpfel oder Birnen das bessere Obst sind, keine fruchtbaren Ergebnisse liefern. Je nach Ziel und Ausrichtung des Unternehmens sind verschiedene Führungsstile gefragt - jedoch spiegelt die tatsächliche Geschlechterverteilung in Führungsetagen diese Vielfalt längst nicht wider. Laut der letzten Studie von Statista im Jahr 2020 war nicht einmal ein Drittel der Führungspositionen in Deutschland von Frauen besetzt (28 Prozent). Dabei können – vor allem in modernen Unternehmenskulturen – Frauen häufig die erfolgreichere Führungsperson verkörpern als der klassisch-konservative Chef im Bürosessel.

Anforderungen an eine moderne Führungskraft

Die Ansprüche an Führungspersonen haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend verändert. Die Arbeitswelt unterliegt einem Paradigmenwechsel. Neue flexiblere Arbeitsmodelle und veränderte Werte der Arbeitnehmer:innen erfordern ein Umdenken – vor allem in Führungsetagen. Unternehmen setzen zunehmend auf flache Hierarchien, Teamwork und innovative Denkansätze. Arbeitnehmer:innen entwickeln neue Wertevorstellungen und wünschen sich nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit, sondern auch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, weiterzubilden und frei zu entfalten. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance und ein Arbeitsumfeld, in dem man sich wohlfühlen darf, werden groß geschrieben.

Anforderungen, mit denen sich der traditionelle Chef nur selten konfrontiert sieht. Während Führungspersonen in der Vergangenheit häufig eine eher distanzierte Beziehung zu Mitarbeiter:innen pflegten, bedarf es heutzutage viel mehr Feingefühl im Umgang mit den Arbeitnehmer:innen. Können deshalb Frauen heutzutage die "bessere" Führungskraft darstellen? Die ideale Führungsperson von heute behandelt ihr Team respektvoll, besitzt Entscheidungskompetenzen, ist flexibel und empathisch, um sich in neue Problematiken einzufühlen und angemessen reagieren zu können.

Sind Frauen wirklich die besseren Führungskräfte?

Talente nur nach Geschlecht einzuteilen und daraus Unterschiede abzuleiten, greift etwas zu kurz. Dennoch gibt es einige Qualitäten, die vermehrt bei Frauen zu finden sind. Die Art und Weise des Female Leadership, betont Themen wie Empathie, Kooperation und Wertschätzung. Die Fähigkeit, ein offenes Ohr für die Wünsche und Konflikte der Mitarbeiter:innen zu haben, sorgt für Vertrauen untereinander und für ein harmonischeres Arbeitsumfeld.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Norwegian Business School. Über 2000 Führungskräfte, darunter 900 Frauen wurden hinsichtlich der fünf wichtigsten Merkmale einer Führungsperson untersucht: Stressresistenz, Innovationsförderung, Ergreifen von Initiativen, Unterstützung der Mitarbeiter:innen und Effizienz. Das Ergebnis zeigt, dass Frauen in einigen Persönlichkeitsmerkmalen die Nase vorn haben. Demnach seien Female Leaders klarer in ihrer Kommunikation, offen für Innovationen, gewissenhafter und besser darin, Mitarbeiter:innen zu unterstützen.

Frauen denken weniger hierarchisch

Immer noch investieren viele konservative Führungskräfte Zeit und Energie in die Aufrechterhaltung der hierarchischen Unternehmensstruktur, um ihre eigene Position zu festigen. Jedoch sind „Rambo-Allüren“ im Konkurrenzkampf gegenüber Kolleg:innen heutzutage nicht mehr förderlich. Die moderne Führungsperson versucht alle Mitarbeiter:innen in Entscheidungsprozesse einzubinden, um von der Vielfalt des Unternehmens zu profitieren. Es bedarf also Entscheidungsträger:innen, die teamorientiert arbeiten, ein offenes Ohr haben und durch koordinieren der individuellen Ideen der Mitarbeiter:innen zum besten Ergebnis gelangen.

Frauen führen uns durch Krisenzeiten

In Sachen Krisenmanagement kann Female Leadership definitiv punkten! Die Corona-Pandemie war nicht nur für Mitarbeiter:innen eine beruflich sehr herausfordernde Zeit, sondern auch für Führungskräfte. Ob Chefs oder Chefinnen die Ausnahmesituation besser meisterten, wurde vom Management-Magazin Harvard Business Review erhoben. Zwischen März und Juni 2020 wurden 454 Männer und 366 Frauen in Leitungspositionen von ihren Mitarbeiter:innen in puncto Effektivität ihres Führungsstils anonym beurteilt. Female Leaders schnitten deutlich besser ab. In vielen Kompetenzen, darunter Motivation, Teamwork und Empathie, gingen weibliche Führungspersonen als deutliche Siegerinnen hervor. Vor allem die Kooperationswilligkeit der Frauen und eine weniger ausgeprägte Ellenbogenkultur trugen zur Effektivität des Führungsstils bei.

Frauen können sich in ihre Mitarbeiter:innen einfühlen

Kollegiales Denken und Empathie sind essenziell für eine funktionierende flache Hierarchie und einer harmonischen Beziehung zu den Mitarbeiter:innen. Frauen sind laut Studien tendenziell besser in der Lage, sich in die Bedürfnisse von Mitarbeitenden einzufühlen. Dadurch können Frauen als Führungskraft ihr Team nachhaltiger motivieren und Konflikte zwischen Mitarbeiter:innen angemessen moderieren und lösen. Kleine Streitereien und Meinungsverschiedenheiten sind wichtig, denn verschiedene Perspektiven münden in kreative Lösungsansätze. Der Respekt und die Wertschätzung untereinander darf dabei jedoch nie zu kurz kommen!

Langfristig zur Frauenquote & Chancengleichheit

Neben den genannten Qualitäten wie Empathie und Verständnis, bildet vor allem der Fokus auf die Unterstützung weiblicher Mitarbeiter:innen einen Unterschied im Führungsstil von Frauen und Männern. Frauen fördern Frauen: Das kommt in männerdominierten Unternehmensstrukturen häufig zu kurz. So lässt sich auf lange Sicht durch female leadership die Frauenquote und Chancengleichheit im Berufsleben etablieren. Wenn Frauen in Führungspositionen sind, arbeiten dort wiederum mehr Frauen und werden viel stärker gefördert.

Die Richtlinien und Spielregeln vieler Berufe sind von männlichen Strukturen geprägt. Und eben diese veralteten Strukturen gilt es aufzubrechen. Die Role-Model-Funktion von Frauen in Führungspositionen kann ein wichtiger Faktor sein, der junge Frauen in ihren Karriereambitionen bestärkt.

Diversität und Vielfalt als Erfolgsgarant

Zum Glück gibt es nicht nur männliche und weibliche Vorgesetzte, denn viele Personen fühlen sich von keinem der beiden Geschlechter repräsentiert. Wir sollten Raum für alle Personen schaffen und nicht an konservativen, männlichkeitsdominierten Strukturen festhalten. Daher sollte der Anspruch an die Führungskraft in erster Linie Inklusion und die erfolgreiche Einbeziehung eines jeden Mitarbeitenden sein, um Diversität und Vielfalt zur Stärke des Unternehmens zu machen. Hauptsache ist doch, dass Arbeitnehmer:innen sich wohlfühlen am Arbeitsplatz, sich entfalten können und die Führungskraft stets das Beste will, für das Unternehmen und alle Mitarbeiter:innen.

Quelle: kununu.com

11 Februar 2022

Vielfalt belebt das Geschäft

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Diversity Management

Vielfalt belebt das Geschäft

Dass es für Unternehmen durchaus gewinnbringend sein kann, wenn Minderheiten die Mehrheit bei ihnen bilden, belegen zahlreiche Studien. Ihre Erkenntnis: Wertschöpfung entsteht durch Wertschätzung. Warum? Weil Vielfalt Innovationen fördert – vorausgesetzt, sie wird in den Firmen gelebt und ist Teil der Unternehmenskultur.

Juristin, promoviert, mehrsprachig, wortgewandt – Michaela Dudley wäre vermutlich für viele Arbeitgeber eine interessante Kandidatin für Führungsaufgaben. Einerseits. Andererseits: Dudley ist schwarz. Sie ist 60. Und sie ist eine Transfrau. Drei Eigenschaften, von denen bereits eine vermutlich genügen würde, damit manche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sie vom Bewerbungsverfahren ausschließen – vorausgesetzt, sie würde nach einem Job suchen, was sie nicht tut. Längst hat sie ihr Anderssein zu ihrem Job gemacht.

Dudley arbeitet nicht nur als Kabarettistin und Journalistin, sondern auch als Diversity-Beraterin. Gebucht wird sie von Unternehmen wie der Deutschen Bahn, dem Mitteldeutschen Rundfunk oder der Führungsakademie der Agentur für Arbeit. „Sie erkennen, dass ich gleich mehrfach von Diskriminierung betroffen bin“, sagt Dudley. „Und drei verschiedene Rednerinnen in einer Person zu haben, ist natürlich drei Mal so attraktiv.“

In Dudleys Vorträgen und Workshops geht es um die eigenen, oft unbewussten Vorurteile, die sogenannten unconscious bias, aber auch um die Vorteile von Vielfalt. Themen, mit denen man sich auch bei Ikea intensiv beschäftigt. Seit 2006 gibt es in der deutschen Dependance des Möbelkonzerns die Position Equality, Diversity & Inclusion Manager; Nicole Peper ist als People & Culture Managerin an Bord und betont: „Diversity ist fester Bestandteil unserer DNA. Neben dem Thema Vielfalt steht für uns heute gleichberechtigt das Thema Chancengleichheit.“ Was man bei Ikea darunter versteht? Gleiche Bedingungen für alle Mitarbeitenden, gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit und gleiche Chancen auf Weiterentwicklung. „Zahlenmäßige Diversity ist für uns erst der Anfang“, sagt Peper. „Echte Diversity und Inklusion ist unserer Ansicht nach erst erreicht, wenn wir die individuellen Unterschiede unserer Mitarbeitenden als selbstverständliche Bereicherung unserer Teams und unseres Geschäfts begreifen.“

Gesellschaft verändert sich, Belegschaft auch

Auch deshalb gehörte Ikea zu den ersten Unterzeichnern der 2006 von vier Unternehmen gegründeten Initiative Charta der Vielfalt. Inzwischen ist daraus ein Verein mit mehr als 4000 Mitgliedern geworden. Sie alle – kleine Betriebe wie große Konzerne – haben eine Selbstverpflichtung unterschrieben. Ihr gemeinsames Ziel: „ein wertschätzendes Umfeld für alle Mitarbeitenden zu schaffen – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft.“ Denn die Gesellschaft in Deutschland hat sich verändert – und das spiegelt sich in den Belegschaften wider.
Das gilt auch für die Deutsche Bahn. Menschen aus vier Generationen arbeiten dort; sie stammen aus mehr als 100 Kulturkreisen und stehen den unterschiedlichsten Religionen nahe. 14 Prozent der Mitarbeitenden sind unter 30 Jahre, 42 Prozent älter als 50. Und diese Vielfalt wird weiter zunehmen: wegen des demografischen Wandels, wegen des Fachkräftemangels, wegen der Pluralisierung der Lebensentwürfe und Arbeitsformen. Also hat die Bahn die konzernweite Initiative „Einziganders“ ins Leben gerufen – und entschieden, die verschiedenen Minderheiten nicht länger als Nachteil zu betrachten, sondern als Vorteil. „Unsere Vielfalt macht uns stark“, sagt Personalvorstand Martin Seiler. Nur Vielfalt, ist man inzwischen im Konzern überzeugt, macht es möglich, alle Potenziale am Arbeitsmarkt zu erschließen.

Positive Wirkung von Vielfalt

Tatsache ist: Organisationen haben auch gar keine andere Wahl, wenn sie im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen wollen, urteilt Aletta Gräfin von Hardenberg, langjährige Geschäftsführerin des Vereins Charta der Vielfalt. Auch sie sieht in der Diversität vor allem Chancen: „Sie beeinflusst das Arbeitsklima positiv, bindet Fachkräfte an die Organisation und trägt grundsätzlich zu einer Verbesserung des Images bei – ein wichtiger Faktor, um die besten Nachwuchskräfte zu gewinnen.“ Darüber hinaus profitierten große wie kleine Firmen von gemischten Teams, da sie innovative Lösungen und produktivere Ansätze böten. 

Wie eng Vielfalt und Geschäftserfolg zusammenhängen, zeigt auch eine internationale Studie der Unternehmensberatung McKinsey von 2020. Ihr Ergebnis in Kurzfassung: „Je diverser, desto erfolgreicher.“ Firmen mit einer hohen Genderdiversität haben demnach eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein; bei Unternehmen mit multiethnischen Führungsteams liegt dieser Anteil sogar bei 36 Prozent. Denn entscheidend sei, so McKinsey-Partnerin und Diversity-Expertin Julia Sperling, dass im Management möglichst verschiedene Stimmen gehört und unerwartete Fragen gestellt werden. Die Kommunikation sei dann intensiver, allerdings auch kontroverser: „Diversität schafft keine Harmonie, sondern erfordert Energie“, sagt Sperling. „Es ist deutlich einfacher, Entscheidungen in einer homogenen Gruppe zu treffen, in der ohnehin alle einer Meinung sind.“
Chancengleichheit nur mangelhaft umgesetzt

Doch dass konstruktiv geführte Konflikte kreativ und produktiv sein können – davon scheinen die Führungskräfte zumindest in Deutschland wenig überzeugt zu sein. Wie sonst ließe sich das Resultat einer etwa zeitgleich durchgeführten Studie der Online-Jobplattform Stepstone und der Handelsblatt Media Group erklären, in der es heißt, dass drei von vier Berufstätigen selbst Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht haben, mehr als 60 Prozent aktuell keine Chancengleichheit bei Bewerbungen sehen und jeder Zweite die Integration und Förderung von Menschen mit Behinderung negativ bewertet. Auch die Einstellungs- und Aufstiegskriterien von Frauen und Älteren werden kritisch bewertet. Einer anderen Studie zufolge beobachteten 47 Prozent der Führungskräfte, dass Mitarbeitende aufgrund ihrer sozialen Herkunft im Unternehmen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dabei ergänzt seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Artikel 3 des Grundgesetzes, das Benachteiligung und Diskriminierung verhindern und beseitigen soll.

„WER AM EINGANG ZUM BETRIEB EINEN TEIL SEINER PERSÖNLICHKEIT ABGEBEN MUSS, WIRD NIEMALS FUNKEN SPRÜHENDE IDEEN PRODUZIEREN KÖNNEN.“
ALETTA GRÄFIN VON HARDENBERG

Und eigentlich sind Deutschlands Unternehmen auch überwiegend vom Nutzen der Diversität überzeugt, stellte eine Studie der Charta der Vielfalt Ende 2020 fest: Zwei Drittel der mehr als 500 befragten Führungskräfte und HR-Verantwortlichen sehen konkrete Vorteile im Diversity Management, das die individuelle Verschiedenheit von Mitarbeitenden nicht nur toleriert, sondern für den Unternehmenserfolg nutzen will. Doch bei der Umsetzung beschlossener Maßnahmen hapert es ziemlich. „Ohnehin“, sagt von Hardenberg, „ist es mit ein paar personalpolitischen Maßnahmen und Projekten in der Regel nicht getan.“ Dafür brauche es eine Strategie, die auf die konkreten Bedürfnisse der jeweiligen Organisation zugeschnitten sei. Diversity ist ihrer Ansicht nach, ein Thema der Unternehmenskultur „und kein Minderheiten-Förderprogramm“. Sie unterstreicht: „Wer am Eingang zum Betrieb einen Teil seiner Persönlichkeit abgeben muss, wird niemals Funken sprühende Ideen produzieren können.“

Tijen Onaran, Gründerin der Organisation Global Digital Women, argumentiert in eine ähnliche Richtung. „Das Ausschlaggebende ist immer: Steht der CEO eines Unternehmens, ob männlich oder weiblich, hinter dem Thema Diversität? Das Commitment seitens des CEO muss vorhanden sein, damit Diversität gelebt und umgesetzt wird.“ Konzerne wie Mittelständler hätten das ihrer Beobachtung nach in weiten Teilen auch bereits verstanden – im Gegensatz zu vielen Start-ups. Die suchten nach Talenten mit einem ähnlichen Mindset. „Das ist aber schon der Grundfehler. Diversität muss von Anfang an in die Unternehmenskultur miteinbezogen werden. Sonst ist eine Etablierung unmöglich.“ Projekte und Produkte seien heute schließlich vielfältiger, größer und internationaler. „Und dafür spielen diverse Teams eine wichtige Rolle“, so Onaran.

Diversity (nur) fürs Image

Immerhin: 40 Prozent der Mitglieder der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt beschäftigen eine für Diversity zuständige Person oder sogar eine ganze Abteilung. Damit lässt sich imagemäßig ebenso punkten wie mit neu entwickelten Rankings wie beispielsweise dem „German Diversity Index“ bei Investoren und Talenten. Doch handfest messen lässt sich das Wenigste. Dafür müsste umfangreiches Zahlenmaterial ausgewertet werden; das zu erheben verbietet allerdings der deutsche Datenschutz. Nur Alter, Geschlecht, Religion und Nationalität dürfen Arbeitgeber ermitteln. Sexuelle Orientierung, eine mögliche Behinderung oder die soziale Herkunft sind dagegen tabu.

„Für uns geht es um mehr als Quoten oder die Erreichung einer bestimmten Kennzahl“, sagt Nicole Peper von Ikea. „Wir schauen auf die gesamte Bandbreite – angefangen bei unbewussten Vorurteilen bis hin zur Rekrutierung nach Werten.“ Und sie betont: „Unternehmen, die nicht auf Diversity setzen, laufen Gefahr, die Chance zu verpassen, auch morgen noch am Markt vertreten zu sein.“
Überraschenderweise sei ausgerechnet die konservative Wirtschaft ähnlicher Ansicht, beobachtet die Keynote-Rednerin und Aktivistin Michaela Dudley. „Oft ist sie es, die eine Lanze für die Zuwanderung bricht. Warum? Weil sie begreift, dass ihr die Leute fehlen und sie die Vielfalt umarmen muss – trotz der Angst mancher Mitarbeitenden, alte Privilegien zu verlieren.“

„UNTERNEHMEN, DIE NICHT AUF DIVERSITY SETZEN, LAUFEN GEFAHR, DIE CHANCE ZU VERPASSEN, AUCH MORGEN NOCH AM MARKT VERTRETEN ZU SEIN.“
NICOLE PEPER

Natürlich weiß auch Dudley, dass das Thema Diversität für einige Betriebe eher PR ist – und kein wichtiger Teil der Personalarbeit. Klar könnte die Entwicklung längst weiter sein, aber: „Es geht allmählich voran.“ Gelegentlich gönnt sich Dudley den Spaß und ruft in den Telefonzentralen von Unternehmen an, die angeblich Wert auf Vielfalt legen, und bittet darum, zu einer Person aus dem Diversity Management durchgestellt zu werden. Immer wieder kommt es dann vor, dass die Person am anderen Ende der Leitung nicht nur den Namen nicht kennt, sondern auch nicht weiß, was Diversity überhaupt ist. „Das zeigt, dass manches von dem, was in den Führungsetagen beschlossen wird, in der Montagehalle überhaupt nicht ankommt.“ Für die „Diva in Diversity“, wie sich Dudley selbst nennt, bleibt also noch genug zu tun.

Quelle: Faktor A - Das Arbeitgebermagazin

15 Januar 2021

Teameffektivität durch gezielten Augenkontakt

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Teameffektivität durch gezielten Augenkontakt

Teamarbeit ist Alltag. Hohe Teameffektivität auch? Mitnichten! Nachfolgend wird gezeigt, dass allein die Blickrichtung der Teamleitung die Teameffektivität bereits erhöhen könnte.

Teams können herausragende Leistungen schaffen. Insbesondere dort, wo es sich um komplexere Aufgaben handelt, die das Vermögen eines Einzelnen übersteigen, profitiert die Effektivität vom Einbringen aller relevanten Informationen, Erfahrungen und Perspektiven, die im Team vorhanden sind. Wer Teammeetings erlebt, weiß, dass dies ein Idealzustand ist, der Alltag ist oft düsterer. Leadership Insiders erläutert, warum allein die visuelle Kommunikation der Teamleitung das Team bereits auf eine erfolgreiche Spur setzen kann.

Die Abhängigkeit der Teamleistung von den einzelnen Teammitgliedern

Die höhere Effektivität eines Teams gegenüber der Einzelleistung liegt vielfach darin begründet, dass durch den Austausch von Wissen, Erfahrungen und dem spontanen Entstehen von Ideen bei guter Integration eine Problemlösung erreicht werden kann, die mehr ist als die einfache Addition des zuvor vorhandenen Leistungsvermögens der einzelnen Gruppenmitglieder. Besonders gilt dies für so genannte komplementäre Gruppenaufgaben, wie wir sie beispielsweise bei der Performance eines Orchesters erleben. Für eine außergewöhnliche Leistung bedarf es zwar exzellenter Einzelmusiker, aber nur deren gelungenes Zusammenspiel lässt ein musikalisches Erlebnis von unvergleichlicher Qualität entstehen.


Quelle - den vollständigen Artikel können Sie weiterlesen unter Leadership Insiders

 

29 März 2019

Diversity: Vielfältige Teams treffen bessere Entscheidungen

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Diversity: Vielfältige Teams treffen bessere Entscheidungen

Vielfältige Teams sind erfolgreicher. Stefanie Peters von Enable2grow, eine Wachstumsberatung für digitale Wirtschaft & Transformation, erklärt, warum vor allem die subtilen, nicht sichtbaren Aspekte entscheidend sind.

Frau Peters, welche Bereiche umfasst der Begriff Diversity?

Stefanie Peters: Bei Diversity denken viele erst einmal an die sichtbaren Komponenten wie Geschlecht, Alter und Hautfarbe, eventuell sichtbare Behinderungen. Doch es ist wichtig, sich bewusst zu werden, dass Diversity aus sehr viel mehr Komponenten besteht. Die darunterliegenden Aspekte sind nämlich die eigentlich spannenden.

Zum Beispiel?

Die kognitive Präferenz: Bin ich eher introvertiert oder extrovertiert, gehe ich gerne ins Detail oder bin ich der big picture-Typ, verlasse ich mich mehr auf Zahlen, Daten, Fakten oder vertraue ich meiner Intuition? Das sind alles extrem wichtige Dimensionen in der Teamarbeit von Unternehmen. Es geht dabei nicht um gut oder schlecht, sondern einfach nur um andersartig. Man hat schon vor Jahren festgestellt, dass, wenn man ein Team nach kognitiven Präferenzen durchmischt, die besten Sachen herauskommen. Bei Insead wurde schon vor zwanzig Jahren der Myers-Briggs-Persönlichkeitstest intensiv genutzt, um möglichst diverse Teams zusammenzustellen.

Neben den äußerlichen Merkmalen und der kognitiven Präferenz spielen bei Diversity natürlich auch Faktoren wie soziale Herkunft, Einkommen, Hobbys, Angewohnheiten, Familienstand und sonstige Erfahrungen eine große Rolle. Genauso bringen natürlich auch Menschen aus verschiedenen Abteilungen neue Perspektiven auf ein Projekt.

Wie hängt die Heterogenität eines Teams mit dessen Erfolg zusammen?

Man kann ein Problem nur dann bestmöglich lösen, wenn man es von vielen Perspektiven aus betrachtet. Und die bekommt man nur, wenn man das Team vielfältig aufstellt. Zwar hat man dann am Anfang einen höheren Aufwand, weil man sich verschiedene Meinungen anhören muss. Auch die Kommunikation ist schwieriger, wenn zum Beispiel ein technisch orientierter Mitarbeiter die Dinge anders versteht als jemand, der aus dem Marketing kommt. Aber der Aufwand zahlt sich aus, weil man am Ende deutlich effektiver ist. Weil man schon im Vorfeld Dinge sieht, an die man in einem sehr homogenen Team nicht gedacht hätte und die einem sonst später auf die Füße gefallen wären. Mit vielfältigen Teams werden die langfristig besseren Entscheidungen gefällt, auch wenn sie ein bisschen länger dauern.

Aber man muss die Unterschiedlichkeit in der Entscheidungsfindung auch zulassen und die Diskussion nicht gleich wieder abbrechen. Es geht nicht nur darum, dass Team vielfältig aufzustellen, sondern auch darum, jedem einzelnen Teammitglied eine Stimme zu geben. Gerade auch den Leiseren, den Introvertierten, den Jüngeren, den Vorsichtigen. Die sollte man auch mal bewusst nach ihrer Meinung fragen.

Und wie kann man als HR die Geschäftsführung davon überzeugen, dass man das Team vielfältig aufstellen sollte?

Man muss den zahlengetriebenen weißen Männern, die größtenteils nun mal die Business-Welt beherrschen, einfach auch Zahlen entgegenhalten. Eine Studie von McKinsey hat untersucht, ob Unternehmen mit höherem Frauenanteil im Top-Management auch finanziell besser dastehen. Tatsächlich kam heraus, dass bereits bei einer 10-prozentigen Steigerung der Frauenquote im Führungsteam auch der EBIT (Gewinn vor Zinsen und Steuern) um 3,5 Prozentpunkte höher lag. Und das ist nur die Dimension Frauen! Jetzt kann man sich gar nicht ausmalen, wie viel erfolgreicher ein Unternehmen sein kann, wenn Diversität noch mehr gelebt wird.

Wenn die Zahlen nicht reichen, um zu überzeugen: Gibt es noch weitere wichtige Punkte?

Auch ein gutes Argument: Der Vergleich mit dem Begriff des Diversifizierten Portfolios aus dem Finanzwesen, nach dem Motto: Don’t put all eggs in one basket. Wenn man viel Geld anlegen möchte, ist es risikoärmer, es vielseitig anzulegen, also zum Beispiel eine Immobilie zu kaufen, ein bisschen in Gold anzulegen, ein paar Aktien zu kaufen und ein bisschen Cash zu behalten. Das gleiche auch mit dem Personal zu praktizieren, ist nur die absolut logische Ableitung davon. Ich habe in einem Unternehmen ein geringeres Risiko und damit eine höhere Chance auf Erfolg, wenn ich die in den meisten Unternehmen wichtigste Ressource, nämlich die Menschen, auch divers aufstelle. Diese Logik leuchtet vielen sehr rational denkenden Menschen ein.

Alle reden von Diversity, doch am Ende stellen viele dann doch den Bewerber oder die Bewerberin ein, der oder die ihnen selbst am ähnlichsten ist. Wie können Personaler und Führungskräfte dafür sorgen, dass ihr Team wirklich vielfältig wird?

Der erste Schritt wäre, sich unbewusste Vorurteile überhaupt erstmal bewusst zu machen und zum Beispiel ein Training zum Thema „unconscious bias“ anzubieten. Wir alle haben einen unbewussten Hang dazu, Menschen in bestimmte Schubladen zu stecken und das ist gepaart mit dem leider nachgewiesenen Fakt, dass wir alle dazu tendieren, Leute zu mögen und damit auch einzustellen, die uns ähnlich sind. Entsprechend behagt es uns erst einmal nicht, mit einer Person enger zusammen zu arbeiten, die anders ist. Das ist gerade in vielen traditionellen deutschen Unternehmen ein Problem.

Wie kann man das lösen?

Man kann das Muster nur aufbrechen, wenn man sich bewusst macht, dass homogene Teams uns nicht weiterbringen, genauso wenig wie Chefs, die nur „Jasager“ einstellen. Die Rolle der Führungskraft ist heute eine andere als früher: Sie sollen nicht ständig ihre Macht demonstrieren, sondern ruhig auch mal zeigen, wo ihre Schwächen liegen, wo sie sich nicht so auskennen und im Team fragen, wer dazu etwas sagen kann. Damit hat die Führungskraft auch viel mehr Glaubwürdigkeit und Authentizität als die Chefs, die alles besser zu wissen meinen.

Es hängt also an den Führungskräften?

Hart gesagt: Unsichere Chefs sind diejenigen, die Leute einstellen, die genauso sind wie sie, denn dann müssen sie nicht umdenken, weil sie immer einer Meinung sind. Aber damit kommt man nicht weiter, damit kann man keine Innovation schaffen. Lieber sollte man sich fragen: Welche anderen Perspektiven brauchen wir in unserem Business? Wenn wir zum Beispiel ein Unternehmen mit größtenteils Ingenieuren haben, sollte man Mitarbeiter mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund, Querdenker und Kreative einstellen. Oder wenn man eine Dependance in Frankreich hat, könnte man jemanden einstellen, der sehr gut französisch spricht. Man sollte also ruhig ganz pragmatisch vorgehen, ohne in die totale Fremde zu gehen, wo sich dann keiner mehr wohlfühlt. Stattdessen kann man Schritte gehen, die rational begründbar sind, aber trotzdem mehr Vielfalt in die homogene Suppe bringen.

Worauf muss man bei der Führung eines heterogenen Teams besonders achten? Was sind die Herausforderungen dabei? Kann es vielleicht auch gerade durch Diversität zu Spannungen kommen?

Man muss sich in einem divers aufgestellten Team erst einmal kennenlernen und austauschen. Man muss verstehen, warum der ein oder andere Teamplayer mit einer gewissen Haltung dazukommt und vielleicht ein bisschen dagegen schießt, wo die anderen völlig einer Meinung sind. Natürlich kommt es dabei zu gewissen Spannungen, Dinge dauern länger, man diskutiert mehr, Leute werden ungeduldig, es gibt Machtspiele. Das Team wird den typischen Prozess der vier Phasen „forming – storming – norming – performing“ durchlaufen, aber dann ist ein produktives Team am Start.

Und trotzdem bringt das einen besseren Outcome?

Ja, genau das ist wertvoll. Dann lerne ich, der Person einfach mal zuzuhören und wenn ich etwas nicht verstehe oder anderer Meinung bin, dann frage ich danach. Wenn man das mit einer gewissen Offenheit konstruktiv angeht, dann sind die Spannungen innerhalb von ein, zwei Wochen gegessen und man kann zu einem ganz großartig effektiv arbeitenden, produktiven Team werden, was deutlich mehr Spaß an der Arbeit hat als eins, in dem sich alle von Anfang an verstehen. Wir kommen nur dann weiter, wenn es auch Reibung gibt. Vor allem, wenn es um neue Produkte geht, wenn es darum geht, innovativ oder auch disruptiv zu denken, spannende neue Dinge zu entwickeln.

Welche Probleme drohen Unternehmen, die nicht auf Diversity achten?

Solche Unternehmen sind, langfristig gesehen, nicht zukunftsfähig. Wenn ich produktiv sein will, brauche ich divers aufgestellte Teams, aber auch, wenn ich ein attraktiver Arbeitgeber sein will. Natürlich ist das immer ein bisschen zu differenzieren und zu relativieren. Wenn ich nun ein Unternehmen aus der Schwäbischen Alb bin und bisher nur Mitarbeiter aus 50-Kilometer-Umkreis hatte, dann werde ich mit einer leichten Steigerung der Diversität auch schon etwas bewegen und gewinnen. Das heißt in dem Fall zum Beispiel, ich stelle ein paar mehr Frauen ein und erweitere auf Mitarbeiter aus einem 100-Kilometer-Umkreis. Hier erwartet ja zum Beispiel keiner, dass ich gleich richtig international werde.

Wie ist das bei Unternehmen in Ballungszentren?

Wenn ich einer Großstadt bin und da ein Unternehmen biete, was so geführt wird und von den Mitarbeitern so strukturiert ist wie vor 100 Jahren, darf ich mich nicht wundern, wenn da keiner mehr arbeiten will oder wenn ich an Innovation verliere. Wenn ich ein attraktiver Arbeitgeber sein und mit der Zeit gehen will, muss ich in Diversität investieren – lieber früher als später. Denn den Ruf als Arbeitgeber zu verändern oder positiv aufzubauen, ist gar nicht so einfach. Man muss rechtzeitig damit anfangen, sonst fährt der Zug ganz schnell ohne einen ab.

Über die Autorin

Senta Gekeler arbeitet in der Online-Redaktion des Human Resources Manager bei Quadriga Media Berlin. Davor war sie als Redakteurin bei verschiedenen Blogs und Magazinen zu den Themen Job & Karriere, Lifestyle, Reisen und Digitalisierung tätig. Sie hat Vergleichende Literaturwissenschaft in Augsburg und Sevilla studiert.

Quelle: Human Ressource Manager

01 November 2017

Uralte Erfolgsstrategie: werteorientierte Führung

Posted in Coaching, Führung, Leadership

So führen Sie wirkungsvoll!

Uralte Erfolgsstrategie: werteorientierte Führung

Der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri hat mit dem Kloster Andechs ein millionenschweres Unternehmen geleitet – nach einer uralten Ordensregel. Welche Führungswerte wirklich erfolgreich machen und welche entscheidende Rolle die Mitarbeitermotivation spielt.

Mönch führt ein millionenschweres Unternehmen

Das große Interesse der Öffentlichkeit am ehemaligen Kloster-Andechs-Chef lässt sich leicht erklären. Auf den ersten Blick vermutet man nicht, dass ein Mönch, der sich zu persönlicher Armut verpflichtet hat, ein großes Unternehmen, wie etwa die Klosterbrauerei Andechs führt. Schließlich steht er im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, eigentlich nicht auf das Materielle zu schauen, gleichzeitig aber doch davon abhängig zu sein. Zudem sorgte allein das Kloster Andechs, quasi Bayern im Miniformat, für Aufmerksamkeit: ein barockes, bis heute von Mönchen bewirtschaftetes Kloster auf einem Hügel am Ammersee, umgeben von idyllischer Landschaft, mit Brauerei, Bräustüberl und Biergarten.

Wie bei allen Managern üblich, hat Bilgri selbst erst einige Jahre gebraucht, um sich eine Führungskultur anzueignen. Er hat schnell festgestellt: fachlich gut zu sein und führen zu können sind zwei unterschiedliche Dinge. Wer einen guten BWL-Abschluss hat, kann nicht automatisch Menschen führen – das muss man erst in der Praxis lernen. Beim Führen des Klosterbetriebs ist ihm aufgefallen, dass viele moderne Managementmethoden bereits in der 1.500 Jahre alten Benediktsregel enthalten sind. So hat Anselm Bilgri Vorträge zur Unternehmensführung entwickelt. Aufgrund der großen Nachfrage kamen später maßgeschneiderte Seminaren für Unternehmen und deren Führungskräfte hinzu.

Regeln für werteorientierte Unternehmensführung

Im Kern der Benediktsregel stehen drei prägende Werte, die Anselm Bilgri heutigen Managern mitgeben kann: Gehorsam, Demut und die Gabe der Unterscheidung. Man muss die Begriffe heute natürlich richtig interpretieren, sagt Bilgri. In einer demokratischen Gesellschaft bedeutet Gehorsam eher Loyalität. In dem Wort Gehorsam steckt das Wort horchen. Es geht also um ein aktives Zuhören. Wer führen will, muss zuerst fragen, und er muss zuhören wollen. Das hängt mit dem Grundsatz der Demut zusammen. So sollten Führungskräfte keinesfalls nach dem Motto handeln, „nur ich habe Erfolg und gute Ideen“. Vielmehr sollten sie sich etwas zurücknehmen und bereit sein, zuzuhören, und guten Rat – vielleicht auch Kritisches – anzunehmen. In der Ordensregel des heiligen Benedikt ist es ein Dreischritt, erklärt Bilgri: Hören – Annehmen – Tun. Das Wichtigste steckt im Annehmen – sicher keine leichte Aufgabe für Führungskräfte. Das gleiche gilt natürlich auch für die Mitarbeiter.

Führungskräfte sollen dienen

Das Wort Demut bedeutet sprachgeschichtlich „dienen wollen“. Demut war eine Tugend der Vasallen. Das zeigt sich zum Beispiel beim Prince of Wales, dem englischen Thronfolger, der seit dem Mittelalter einen deutschen Wappenspruch hat: „Ich dien“. Das bedeutet, dass jemand in verantwortungsvoller Position die Aufgabe hat, zu dienen. Der Prince of Wales dient der Queen, aber natürlich auch seinen Untertanen. Führung heißt dienen – von oben nach unten. In einem Unternehmen darf man Führung nicht als prestigeträchtige Position sehen, deren Erfolg an der Marke des Dienstwagens, der Größe des Büros oder der Anzahl der Sekretärinnen bemessen wird. Vielmehr muss man Führung als verantwortungsvolle Aufgabe begreifen, sagt Bilgri. Ich habe als Führungskraft die Aufgabe, dem Unternehmen und jedem einzelnen Mitarbeitern zu dienen, damit diese optimal ihren Zweck erfüllen können. Die höhere Ebene hat dafür zu sorgen, dass die Ebene darunter gut arbeiten kann.

Diversity als positiven Wert sehen

Das Dritte, die Gabe der Unterscheidung, ist ein wichtiges Element im Anforderungsprofil eines Abtes. Es bedeutet, Mitarbeiter in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen, deren individuelle Talente und Eigenschaften zu erkennen und als positiven Wert zu schätzen – heute spricht man auch von Diversity, sagt Bilgri. Es kommt darauf an, im Zusammenspiel dieser Unterschiedlichkeiten, Talente und Möglichkeiten Kreativität und Innovation zu fördern. Dabei ist es wichtig, den Mitarbeiter dort einzusetzen, wo er seine Stärken entfalten kann. Das erfordert natürlich viel Zeit von der Führungskraft. Idealerweise sollte ein Manager 80 Prozent seiner Zeit in das Führen stecken und nur 20 Prozent in Fachliches.

Arbeit als Bestandteil eines erfüllten Lebens

Darüber hinaus sollte der Arbeitsplatz ein Ort der Sinnstiftung sein. Doch wie schafft man einen solchen Ort? Klar ist, dass dieser mit persönlichen Erfolgserlebnissen des Mitarbeiters zusammen hängt, mit Wertschätzung und Lobkultur. Dies ist die höchste Motivation und das, was Freude macht im Job, nicht das Geld allein, sagt Bilgri. Das hat mit der Gabe der Unterscheidung zu tun. Wenn es mir als Chef gelingt, einem Mitarbeiter die Aufgaben zu geben, die er gerne und damit gut macht, dann wird er auch Erfolgserlebnisse haben. In Summe fördern zufriedene, engagierte Mitarbeiter letztendlich automatisch den Erfolg des Unternehmens. Der zunehmende Fachkräftemangel führt heute bereits zu einem Umdenken in den Unternehmen. Hochtalentierte Nachwuchskräfte der Generation Y wollen zwar gut verdienen, aber nicht mehr die ganze Freizeit für die Arbeit opfern. Darauf müssen die Unternehmen im „War for Talents“ eingehen, erklärt Anselm Bilgri. Die Prinzipien der benediktinischen Unternehmensführung können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

 

Über den Autor

Markus Hofelich ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und lebt mit seiner Familie im Süden von München. Seine journalistische Erfahrung sammelte er als Redaktionsleiter beim DIV Deutscher Industrieverlag, als stellv. Chefredakteur von Cash. sowie als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Unternehmeredition“ der GoingPublic Media AG. Markus Hofelich ist Diplom-Kulturwirt und hat an den Universitäten Passau und an der Pariser Sorbonne studiert. Aktuell hat er die Website SinndesLebens24.de gestartet, ein Online-Magazin für Philosophie, Glück und Motivation, und ist auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

Quelle: Experteer-Magazin