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25 August 2023

Die lineare Karriere gibt es nicht mehr. Wie Führungskräfte und Mitarbeiter mit beruflichen Brüchen umgehen

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Die lineare Karriere gibt es nicht mehr. Wie Führungskräfte und Mitarbeiter mit beruflichen Brüchen umgehen

Viele Angestellte und Manager entscheiden sich bewusst, kürzerzutreten, oder sie schlagen auf dem Weg nach oben einen Umweg ein. Weshalb die Zickzack-Karriere heute die Regel ist.

Karrierebrüche sind ein Schreckgespenst für ambitionierte Mitarbeiter und Führungskräfte – vor allem, wenn sie während Jahren die Hierarchieleiter emporgestiegen sind und nun scheinbar vor dem Nichts stehen. Je steiler und spektakulärer der Aufstieg, umso schmerzlicher der spätere Fall: Die Aussagen gescheiterter Topmanager sprechen Bände: «Die öffentliche Ächtung hat mich tief getroffen, der Karrierebruch mancher Perspektiven beraubt, der Wandel des persönlichen Umfelds nachdenklich gemacht, die Strafuntersuchung erniedrigt und der Prozess aufgewühlt», schreibt beispielsweise Eric Honegger in seinem Buch «Erinnerungs-Prozess». Darin lässt der ehemalige CEO und Konzernchef der SAir-Group die Zeit im Vorfeld und Nachgang des Groundings der Fluggesellschaft Revue passieren.

Die Angst vor der öffentlichen Ächtung

Scheitern und beruflicher Abstieg werden in der Öffentlichkeit in der Regel mit Schmach und Ächtung bestraft – vor allem wenn den Betroffenen die nötige Selbstkritik und Bodenhaftung abhandengekommen ist. Nur wenigen Topmanagern gelingt die spätere Rehabilitierung.

Dabei gehören Rückschläge in der Karriere zum Lebenslauf zahlreicher Führungskräfte und Mitarbeiter. Kaum eine berufliche Laufbahn verläuft heute gradlinig. Unterbrüche, Wechsel und Neuorientierungen sind Bestandteil des beruflichen Lebenslaufs. Eher selten sind sie das Produkt von Missmanagement und Fehltritten, auch wenn die Liste der gestrauchelten Manager lang ist. Häufig sind sie das Ergebnis wohlüberlegter Entscheidungen.

Sheryl Sandberg und Jeff Bezos machen es vor

Prominente Beispiele sind etwa die Rücktritte von Sheryl Sandberg als Co-Geschäftsführerin des Facebook-Konzerns Meta oder Jeff Bezos als CEO von Amazon. Beide begründeten ihren Abgang damit, sich vermehrt persönlichen Projekten widmen zu wollen wie der eigenen Stiftung (Sandberg) oder der Reise ins Weltall (Bezos).

In der Schweiz gab jüngst der Rücktritt der Staatssekretärin Livia Leu zu reden. Leu erklärte, es sei ihre persönliche Wahl, noch einmal ins Ausland zu gehen und einen Botschafterposten zu übernehmen. Wer wolle, könne das als Rückschritt sehen, hielt sie gegenüber den Medien fest.

Auch in der Führungsspitze der Bank Vontobel kommt es zu einem aussergewöhnlichen Abgang: Zeno Staub gibt nach zwölfjähriger Amtszeit seinen CEO-Posten bei der Bank auf und will sich künftig der Politik widmen. Ebenfalls bemerkenswert ist der im Frühjahr bekanntgegebene berufliche Entscheid der ehemaligen «Annabelle»-Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin: Nachdem sie das Magazin vier Jahre lang geführt hatte, arbeitet sie seit ein paar Monaten wieder als «Annabelle»-Redaktorin.

Downshifting heisst das verbreitete Phänomen von Karriererückschritten. Der Begriff wurde in den Neunzigerjahren von dem Wirtschaftsphilosophen und Mitbegründer der London Business School, Charles B. Handy, geprägt. Wörtlich übersetzt bedeutet Downshifting so viel wie «Herunterschalten». Downshifter entscheiden sich freiwillig dazu, beruflich kürzer zu treten. Sie verzichten auf den traditionellen Karriereweg und die nächste Hierarchiestufe, fangen neu an und entscheiden sich oftmals auch für eine ausgeglichenere Work-Life-Balance.

Warum Personen auf Karriere und Status verzichten

Zu den wenigen Forscherinnen, die sich im deutschsprachigen Raum der Thematik angenommen haben, zählt die Soziologin Julia Gruhlich*. In einer Studie ist sie der Frage nachgegangen, was Menschen dazu bewegt, beruflich kürzerzutreten. Wie legitimieren sie einen solchen Schritt in einer Gesellschaft, in der die Statusverbesserung über eine Aufstiegskarriere als erstrebenswert gilt?

Gestützt auf über zwanzig Tiefeninterviews hat die Forscherin der Georg-August-Universität Göttingen drei typische Ursachen herausgearbeitet. Wenig überraschend zählt der Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu den wichtigsten Gründen des Downshifting. Es sind allerdings nicht nur Mütter, die beruflich kürzertreten. Zu den interviewten Personen zählten auch Väter oder Frauen ohne betreuungspflichtige Kleinkinder. Die zweite Gruppe der Downshifter besteht laut Gruhlich aus Personen mit psychosomatischen Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen. «Die Betroffenen waren einem starken Leidensdruck ausgesetzt», sagt die Forscherin. «Sie spürten, dass sie so nicht weiterarbeiten konnten.»

Die dritte Gruppe hatte sich der Arbeit entfremdet. Sie hätten in ihrer Tätigkeit keinen Sinn mehr gesehen, so führt Gruhlich aus. Personen aller drei Gruppen hätten bei ihrer Entscheidung, ihre berufliche Situation zu verändern, nicht unbedingt ein alternatives Ziel vor Augen gehabt. «Es war zunächst eher eine Flucht aus einer Leidenssituation, die sie nicht auf anderen Wegen lösen konnten. Mit dem Downshifting ist es ihnen gelungen, ihre Handlungsfähigkeit wiederherzustellen», sagt die Forscherin.

Die eingeschlagenen Wege unterscheiden sich hierbei voneinander: In der Untersuchungsgruppe habe es Personen gegeben, die ihr Arbeitspensum reduziert, ihre Führungsaufgabe aufgegeben oder innerhalb des Unternehmens eine neue Funktion mit weniger Prestige wahrgenommen hätten, erzählt Gruhlich. Einige Personen hätten wiederum einen völlig neuen Beruf in Angriff genommen, unter ihnen eine Professorin, die sich selbständig gemacht habe und Coach geworden sei, oder ein Manager, der sich zum Yogalehrer habe umschulen lassen.

Nicht selten sei die berufliche Veränderung mit einem längeren Suchprozess sowie einem deutlichen Status- und Einkommensverlust verbunden gewesen. Doch wie Gruhlich ausführt, hat kaum ein Interviewpartner seine Entscheidung bereut. Vielmehr hätten die meisten den beruflichen Wechsel als einen Akt der Selbstermächtigung empfunden.

Downshifting kann die Karriere beflügeln

In einem kürzlich erschienenen Beitrag im «Harvard Business Review» führt die Professorin und Autorin Dorie Clark aus, weshalb ein vorübergehendes Downshifting der akademischen oder beruflichen Karriere sogar förderlich sein kann: «Wenn Sie sich jetzt die Zeit nehmen, einen Gang zurückzuschalten, mag es sich so anfühlen, als ob Sie einen Schritt zurück machten», schreibt Clark. «Aber es kann Ihnen auch die Energie und die Klarheit geben, die Sie brauchen, um in Zukunft schneller und effektiver voranzukommen.»

Der gegenwärtige Zeitpunkt sei ideal, um neue Energie zu tanken, ermutigt Clark ihre Leserschaft. Denn viele Menschen würden nach der Pandemie ihre Prioritäten und Erwartungen neu bewerten. Downshifting bedeutet im Urteil der Professorin nicht, «dass man alles hinschmeisst. Es kann sogar bedeuten, dass Sie endlich erkannt haben, was nötig ist, damit Leistung und Ehrgeiz nachhaltig sind».

Auch bei Linkedin ruft man seine Mitglieder dazu auf, Mut zur Lücke zu zeigen. Im vergangenen Jahr hat das Karriere-Netzwerk die neue Option «Career-Break» im Linkedin-Profil eingeführt. Damit können seine Mitglieder Zeiten und Aktivitäten beschreiben, die «gefühlt» nicht in einen Lebenslauf oder in die berufliche Laufbahn passen. Die Sichtbarkeit auf dem Profil soll laut Linkedin dazu beitragen, dass eine solche Erfahrung zunehmend als selbstverständlich gilt und nicht länger zum (vermeintlichen) Karrierehemmnis wird.

Karrierepausen und berufliche Lücken sind weit verbreitet

Laut einer vom Netzwerk durchgeführten Erhebung unter rund 23 000 Arbeitnehmenden haben immerhin zwei Drittel der Befragten zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer beruflichen Laufbahn eine Pause eingelegt. In den Firmen und Personalabteilungen stossen solche Lücken im Lebenslauf vor allem auch in Anbetracht des Fachkräftemangels zusehends auf Akzeptanz. Laut Linkedin ist rund die Hälfte der Arbeitgeber der Ansicht, dass Kandidaten mit beruflichen Unterbrechungen einen ungenutzten Talent-Pool darstellen.

Selbst in der Beraterbranche, die für den steilen Karriereaufstieg schlechthin steht, spricht man von einer erhöhten Offenheit gegenüber beruflichen Unterbrüchen. «Es gibt sie nicht mehr, die lineare Erwerbsbiografie», sagt Jens Hohensee, der Leitende Karriereberater Zentraleuropa bei der Boston Consulting Group. Früher habe man in den Personalabteilungen noch die Nase gerümpft, wenn im Lebenslauf eines Kandidaten eine berufliche Lücke von mehreren Monaten vorhanden gewesen sei. Heute interessiere das niemanden mehr, sagt der Personalexperte. Die erhöhte Akzeptanz hänge stark mit den veränderten Lebensmustern und den Präferenzen der jungen Generation zusammen.

Von der Sekretärin zur Autorin und Firmenchefin

Die Berufswege und Lebensläufe von heute weisen Dellen auf und sind spiralförmig geworden. Paradebeispiel für eine solch spiralförmige Karriere ist der Lebenslauf der Amerikanerin Whitney Johnson. Sie begann ihre Laufbahn als Sekretärin bei der Bank Salomon Smith Barney an der Wall Street, nachdem sie mit 27 Jahren, also relativ spät, ihr Musik- und Anglistikstudium abgeschlossen hatte. Bei ihrem ersten Arbeitgeber schaffte sie den Aufstieg ins Investment Banking.

Nach drei Jahren wechselte Johnson zu Merrill Lynch in den weniger glamourösen Job der Equity-Research-Analystin. Fünf Jahre später kündigte sie, produzierte eine TV-Show und schrieb ein Kinderbuch. Danach bloggte sie über gesellschaftliche und berufliche Themen und gründete zusammen mit dem Wirtschaftswissenschafter Clay Christensen einen Hedge-Fund.

Wahrscheinlich sei das die neue Realität, sagt die heutige Chefin eines Beratungsunternehmens für Führungskräfte und Autorin mit Blick auf ihren Lebenslauf. Johnson verweist darauf, dass bereits die Baby-Boomer-Generation in den USA zwischen ihrem 18. und 54. Lebensjahr im Durchschnitt 12-mal einen Jobwechsel vollzogen habe. Auch in der Schweiz und in Deutschland wechseln Arbeitnehmer im Durchschnitt alle vier Jahre ihren Arbeitgeber. Bei der jüngeren Generation dürfte sich die Entwicklung noch akzentuieren. Worauf man bei solchen Zickzack-Karrieren achten sollte, hat Johnson in ihrem Buch «Disrupt Yourself» festgehalten.

Mit Leidenschaft neue berufliche Wege beschreiten

Wie die Autorin ausführt, geht es darum, sich neue Job- und Karrierechancen zu schaffen, indem man anders handelt, indem man sich einen Beruf sucht, für den man Leidenschaft mitbringt, auch wenn dafür vielleicht die geforderte Ausbildung fehlt. Die erfolgreichsten Innovationen seien schliesslich diejenigen, die einen neuen Markt oder Wertschöpfung kreierten und Bestehendes umkrempelten, sagt Johnson in Anlehnung an die Theorie der disruptiven Innovation. Dies funktioniere auch auf persönlicher Ebene.

Sie fordert Stellensuchende und Arbeitnehmende dazu auf, die eigenen Stärken zu nutzen: «Wählen Sie einen Job, den niemand anders ausführen könnte, anstelle mit 50 Bewerbern um dieselbe Stelle zu konkurrieren. Statt auf demselben Karriereweg nach oben zu drängen, bewegen Sie sich seitwärts oder sogar die Leiter hinunter.»

Dabei verweist Johnson auf ihren eigenen beruflichen Werdegang: Sie sei eine gute Finanzanalystin gewesen, aber viele Personen seien gut darin, Modelle zu entwickeln. Was Leute an ihr schätzten, sei die Fähigkeit, Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen zu erkennen und Möglichkeiten zur gegenseitigen Befruchtung auszumachen.

Disruptive Pfade führen zum Erfolg

Laut Johnson erweitert man durch Jobwechsel nicht nur seine beruflichen Fähigkeiten. In eine neue Rolle, Branche oder Art von Unternehmen zu wechseln, heisse oftmals, sich auf einen völlig anderen Wachstumspfad zu begeben. Dabei gelte es, flexibel zu bleiben, einen Schritt vorwärts zu machen, Feedback einzuholen und sich entsprechend anzupassen. Solch disruptive Pfade sind im Urteil von Johnson in vielerlei Hinsicht erfolgversprechend – nicht nur finanziell, sondern auch in sozialer und emotionaler Hinsicht.

Nicht jeder sollte oder möchte den traditionellen Pfad verlassen. Doch Johnson spricht Veränderungswilligen Mut zu, andere Wege einzuschlagen, Rückschläge und Umwege in Kauf zu nehmen, um nicht nur beruflich, sondern auch persönlich zu wachsen. Zickzack-Karrieren, Umorientierungen oder auch Rückschritte sollten nicht länger ein Schreckgespenst sein.

*Dr. Julia Gruhlich forscht an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.

Quelle: NZZ - Neue Zürcher Zeitung

21 April 2023

Downshifting: Leben ist in, Karriere ist out!

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Downshifting: Leben ist in, Karriere ist out!

Höher, schneller, weiter – so scheint das Motto vieler deutscher Arbeitnehmer zu lauten. Diese Einstellung kennt in der Regel nur eines der zwei Resultate: Entweder Du schaffst es an die Spitze der Karriereleiter oder Du landest früher oder später im Burnout. Ein Trend bringt jetzt aber noch eine dritte Alternative: das Downshifting.

Downshifting – Work-Life-Balance statt Karriere

Einfach mal herunterschalten und die Notbremse ziehen. Downshifting bedeutet beruflich kürzer zu treten und anstelle der Karriere eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu wählen. Es ist ein mutiger Schritt, für viele Arbeitnehmer sogar undenkbar, und heißt in der Regel das Aus für die große Karriere. Gleichzeitig ist das Downshifting aber auch oft die letzte Möglichkeit zur Abwendung eines Burnout-Syndroms oder einer ähnlichen stressbedingten psychischen oder physischen Erkrankung.

Wer sich für Downshifting entscheidet, verabschiedet sich zugleich von dem hohen Level an Stress, Hektik und Zeitnot, die in vielen Unternehmen herrschen. Es geht gleichzeitig aber durch die Reduktion der Arbeitszeit oder Verlagerung der Tätigkeitsbereiche mit einem geringeren Einkommen einher. In Deutschland wird deshalb auch von dem „gewählten einfachen Leben“ oder der „freiwilligen Einfachheit“ gesprochen. Erfahrungsberichte über Downshifting zeugen dennoch von einer deutlich höheren Lebensqualität. Das Sprichwort „Glück kann man sich nicht kaufen“ scheint in den meisten Fällen also durchaus zuzutreffen.

Wie viel Arbeit ist „zu viel“?

Die Zahlen psychischer oder physischer Krankheiten, die auf beruflichen Stress, Konflikte im Team oder anderweitig den Job zurückzuführen sind, steigen stetig und in rasantem Tempo an. Das berufliche Glück hängt dabei mit vielen verschiedenen Faktoren zusammen.

Einer davon ist natürlich die Wochenarbeitszeit. Und genau hier setzt das Downshifting an. Doch wie viel Arbeit ist eigentlich „zu viel Arbeit“? Dies lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten. In Deutschland üblich sind – zumindest auf dem Papier – 40 Stunden pro Woche. Laut einer Studie, haben Frauen ab einer Wochenarbeitszeit von 50 oder mehr Stunden ein deutlich höheres Risiko für Folgeerkrankungen haben, während Männer mit dieser Arbeitsdosis noch sehr gut zurechtzukommen scheinen.

Allerdings hängt dies vor allem mit der Doppel- oder sogar Dreifachbelastungzusammen, welchen die Frauen durch Job, Haushalt, Kinder oder pflegebedürftige Angehörige ausgesetzt sind. Bezüglich des Downshifting bedeutet dies, dass die für Dich „optimale“ Arbeitszeit stets auch mit Deiner privaten Situation korreliert.

Dennoch scheint es tatsächlich ein Arbeitspensum zu geben, welches Experten als „perfekt“ betrachten. Es handelt sich dabei um den Sechs-Stunden-Arbeitstag, wie er unlängst in einigen schwedischen Unternehmen als Pilotprojekt eingeführt wurde. Das Modell beruht auf der Annahme, dass Arbeitnehmer in nur sechs Stunden konzentrierter und dadurch ebenso produktiv wie in acht Stunden arbeiten können, einhergehend mit zahlreichen Vorteilen:

  • bessere Work-Life-Balance
  • weniger krankheitsbedingte Ausfälle und Fehlzeiten
  • Schonung der psychischen und physischen Gesundheit der Arbeitnehmer
  • gesteigerte Motivation und dadurch auch Produktivität
  • bessere Leistungsfähigkeit durch längere Entspannungszeiten
  • größere Identifikation mit dem Arbeitgeber und dadurch bessere Mitarbeiterbindung
  • u. v. m.

Das Resultat des Pilotprojekts konnte diese Vorteile nicht nur bestätigen, sondern zum Teil sogar noch übertreffen. Demnach sei die Produktivität während des Sechs-Stunden-Arbeitstages gegenüber dem Acht-Stunden-Arbeitstag nicht nur gleich geblieben, sondern sogar noch angestiegen, so das Fazit der teilnehmenden Unternehmen. In Deutschland bleibt er dennoch bislang eher die Ausnahme als die Regel.

Downshifting, Sabbatical & Co: Aussteigen liegt im Trend

Zu jedem Trend gibt es ja bekanntlich einen Gegentrend. Ein solches Phänomen ist derzeit auch in der westlichen Gesellschaft zu beobachten. Ausgehend von den USA scheint sich jetzt auch die deutsche Bevölkerung in zwei verschiedene Gruppen zu teilen: Diejenigen, welche der großen Karriere nachjagen und ihr Glück im materiellen Wohlstand suchen, und ihr Gegenpart, der vom fahrenden Zug abspringt und sich wieder mehr auf immaterielle Werte besinnt.

Manchmal ist das nur eine Phase und nach einer aufregenden Weltreise oder einem entspannten Sabbatical geht es wieder mit Vollgas zurück ins Berufsleben. Wer sich jedoch für das Downshifting entscheidet, trifft damit in der Regel eine langfristige Entscheidung. Je nach Alter, kannst Du diesen Ausstieg aus der Karriere nämlich nicht mehr rückgängig machen. Die Gründe für diese mutige Entscheidung können dabei absolut unterschiedlich sein und treten häufig in Kombination auf:

  • gesundheitliche Probleme
  • drohendes Burnout
  • schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • familiäre Veränderungen
  • Veränderungen der finanziellen Situation
  • Verlagerung der Prioritäten
  • o.ä.

Manch einer hat also endlich den Kredit für sein Haus abbezahlt und benötigt nun schlichtweg nicht mehr so viel Geld für den Lebensunterhalt und der andere hat vielleicht gemerkt, dass vor lauter Arbeit das Leben an ihm vorbeizuziehen scheint und es wieder an der Zeit für eine ausgewogenere Work-Life-Balance ist. Leider stecken manchmal natürlich auch weniger schöne Gründe dahinter, wenn zum Beispiel ein Angehöriger pflegebedürftig wird. Doch so oder so:

"Wer sich das Downshifting leisten kann, hat es bislang nur selten bereut – so die Auswertung aktueller Erfahrungsberichte."

Weniger ist also tatsächlich manchmal mehr. Und dass es nicht immer mehr Geld sein muss für ein „Mehr“ an Lebensqualität, beweist uns die Strömung aus den USA. Auf diesen Zug aufzuspringen, solltest Du deshalb zumindest hin und wieder einmal in Erwägung ziehen.

Ein Modell für die älteren Generationen?

Nein! Das Downshifting ist keinesfalls nur die Notbremse für ältere Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente nicht mehr mit der Drehzahl im Berufsalltag mithalten können. Im Gegenteil: Immer mehr jüngere Angestellte oder sogar Berufseinsteiger kommen mit dieser Bitte zu ihren Vorgesetzten.

Zugrunde liegen dem nicht etwa Faulheit oder eine bereits angeknackste Gesundheit durch ein stressiges Studium. Es ist schlichtweg eine neue Mentalität, die in der Generation Y um sich greift. Die Arbeit wird nicht mehr als das Wichtigste im Leben angesehen und viele Arbeitnehmer sind auch nicht mehr dazu bereit, sich selbst und ihre Freizeit gänzlich für eine Karriere aufzuopfern. Es sind neue Werte, die in den Vordergrund rücken. Selbstständigkeit, ein Leben als digitaler Nomade oder eine Auszeit vom Job, so oder so ähnlich sehen die Träume zahlreicher Arbeitnehmer aus. Diese umzusetzen jedoch, erfordert eine Menge Mut.

Während viele Menschen diesen ihr Leben lang nicht fassen und nach und nach immer verbitterter ihren verpassten Chancen nachhängen werden, bietet das Downshifting eine risikofreie Alternative: Du musst Deinen Job nicht von heute auf morgen kündigen, sondern kannst die Arbeitszeit langsam herunterfahren und so das für Dich optimale Level finden. Klar, wer in die obersten Führungsetagen aufsteigen möchte, schießt sich damit selbst ins Aus. Für all die Freigeister unter Ihnen jedoch, die eher von der Hängematte am Strand oder dem Ballspielen mit den Kindern im Garten träumen als vom Porsche und der Villa in Monaco, stellt das Downshifting eine einmalige Chance dar.

Ein Bruch mit den gesellschaftlichen Konventionen

Du möchtest nicht Karriere machen? Die Arbeit hat bei Dir nicht oberste Priorität? Du möchtest als Berufseinsteiger nur eine 70-Prozent-Stelle? Auf das Verständnis Deiner Mitmenschen, vor allem Deiner Kolleginnen und Kollegen, kannst Du mit dieser Lebenseinstellung nicht unbedingt hoffen.

Wir leben schließlich immer noch in der Kultur der klassischen deutschen Tugenden, welche uns – wenn nicht bereits durch die Eltern anerzogen – spätestens in Kindergarten, Schule und Studium eingebläut werden. Pünktlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und vor allem Disziplin: So hat sich eine vorbildliche deutsche Arbeitskraft zu verhalten.

Beschweren können wir uns darüber nicht, haben wir dieser Lebenseinstellung doch unsere Wirtschaftsmacht und den allgemeinen Wohlstand zu verdanken. Ein Wohlstand, den unsere Eltern- und Großelterngenerationen durch eben diese Tugenden aus einem großen „Nichts“, welches der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, mit Schweiß und Fleiß wieder aufgebaut haben. Allerdings haben wir dieser Kultur auch die steigenden Zahlen psychischer und physischer Krankheiten zu verdanken. Die Selbstausbeutung ist quasi einer ihrer Grundpfeiler geworden.

Das Downshifting als Notbremse kommt also gerade rechtzeitig. Gesellschaftlich akzeptiert ist es allerdings noch lange nicht, dessen musst Du Dir bewusst sein, wenn Du Dich für diesen Weg entscheidest. Gegen den Strom schwimmt es sich bekanntlich schwieriger als mit ihm.

Der Teufelskreis aus Konsum und finanzieller Zwangsjacke

Auf die Frage, was ihnen wichtiger sei, Geld oder Lebenszeit, würden die meisten Menschen wohl mit Letzterem antworten. Abgehalten werden sie allerdings nicht nur durch den gesellschaftlichen Druck, sondern häufig haben sie sich auch bereits in den hierzulande üblichen Teufelskreis aus Konsum und finanziellem Wohlstand begeben.

Wer nämlich ein hohes Einkommen hat, investiert dieses in der Regel in eine große Wohnung oder ein teures Auto mit hohen Folgekosten. Und wer viel hat, hat ja bekanntlich auch viel zu verlieren. Also wird weitergearbeitet, um den Lebensstandard halten oder sogar erhöhen zu können, was wiederum eine höhere finanzielle Verpflichtung mit sich bringt und hier schließt sich der Kreis. Wirklich glücklich allerdings, macht das nur in den seltensten Fällen. Konsum verleitet nämlich immer zu noch mehr Konsum und der Mensch verlernt die Zufriedenheit.

Viele Menschen erkennen dies aber erst, wenn es schon (beinahe) zu spät ist. Je länger sie warten, umso schwieriger wird der Absprung. Um bei dieser Metapher zu bleiben, ist es also vielleicht in der Zeit sich einfach die Nase zuzuhalten, die Augen zu schließen und den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.

Woran möchtest Du dich auf dem Sterbebett zurückerinnern?

Der Tod ist die einzige Sicherheit, die wir im Leben haben. Wie und wann er kommen wird hingegen, wissen wir nicht. Das Glück auf „später“ zu verschieben oder dem Ruhestand entgegenzufiebern, ist daher eines der größten Irrtümer vieler Menschen.

Frage Dich also nicht: „Wie viel Geld muss ich jetzt verdienen, damit ich mir in zehn, 20 oder auch 40 Jahren meine Träume erfüllen oder ein entspanntes Leben führen kann?“ Frage Dich viel lieber: „Woran möchte ich mich auf meinem Sterbebett einmal zurückerinnern?“

In der Regel tauchen dann Antworten wie Familie, eine Weltreise oder auch einfach lustige Abende mit Freunden auf. Doch mal ehrlich, wirst Du denken: „Ich habe zwar mein ganzes Leben nur gearbeitet, aber dafür habe ich ein großes Haus und einen Porsche?“ Oder vielleicht kommt es sogar noch schlimmer und Du hast Dein Leben nur mit Arbeit verbracht und dennoch niemals die Karrierestufe erreicht, die Du anstrebst. Denn Du weißt ja:

"Nur von innen sieht ein Hamsterrad aus wie eine (Karriere) Leiter."

Es ist daher an der Zeit, Dein Leben einmal auf den Prüfstand zu stellen und sich unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen auf Deine individuellen Werte und Träume zu besinnen. Das Downshifting oder ein ähnliches Modell kann dann zu Deiner ganz persönlichen Notbremse werden. Solltest Du stattdessen zu dem Resultat kommen, dass Du Dich bereits auf dem richtigen Weg befindest und derzeit mit Deiner beruflichen und privaten Situation glücklich bist, dann ist das durchaus eine Gratulation wert. Denn Du weißt ja: Zufriedenheit ist ein selten gewordenes Gut in dieser Gesellschaft.

Downshifting hat viele Gesichter

Also ab zum Arbeitgeber und „downshiften“? So einfach ist es leider nicht (immer). Ein Unternehmen hat keine Verpflichtung dazu, seinen Mitarbeitern das Downshifting zu ermöglichen. Dennoch haben viele Betriebe den neuen Trend bereits erkannt und müssen sich in den Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels je nach Branche bereits freiwillig oder unfreiwillig den Wünschen ihrer Angestellten anpassen.

Neben der klassischen „Teilzeitstelle“ gehören dazu Job-Sharing, Sabbatical, Home-Office, Vertrauensarbeitszeit o.ä. Ist allerdings das für Dich passende Modell nicht dabei oder Deine Unzufriedenheit rührt nicht (nur) von der vereinbarten Wochenarbeitszeit, sondern zum Beispiel von sinnentleerten Arbeitsinhalten oder einem schlechten Betriebsklima, so könnten doch die interne Versetzung oder ein Jobwechsel die für Dich geeignetere Alternative sein. Auch eine Kündigung kann schließlich die Möglichkeit zum Downshifting, für eine kurze Auszeit oder sogar den Sprung in die Selbstständigkeit darstellen. Hauptsache, Du blickst im Sterbebett lächelnd auf Dein Leben zurück! Oder was denkst Du?

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Quelle: arbeitsABC