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30 Juli 2021

Die „sieben Wertewelten“ – oder warum Purpose und New Work für den Führungsnachwuchs zählen

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Artikel von Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler

Die „sieben Wertewelten“ – oder warum Purpose und New Work für den Führungsnachwuchs zählen

Werte beeinflussen Verhalten (mit). Über Generationen mit neuen Wertemustern wird deshalb auch im Management diskutiert (Stichwort: Generation Z). Wir warnen hier vor unbedachten Verkürzungen und zeigen anschaulich, mit welchen (sieben) „Wertewelten“ Führungskräfte konfrontiert werden und worin die erstaunliche Gemeinsamkeit dieser divergenten Welten liegt.

Die Arbeitswelten des 21. Jahrhundert sind im Umbruch. Technologische Neuerungen revolutionieren die Art und Weise, wie Organisationen wirtschaften und wie wir in ihnen arbeiten. Der Transformationsdruck durch die Digitalisierung ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Daneben sehen wir allerdings auch wertebezogene Veränderungsdynamiken, die arbeitsbezogene Werte und Einstellungen einbeziehen. Leadership Insiders erläutert studiengestützt, dass es sich bei dem, was wir beispielsweise unter der Generation Y oder Z verstehen, zwar um Vereinfachungen handelt, die den tatsächlichen Wertpluralismus in der Arbeitswelt verdecken, aber dennoch von großer Relevanz für das Management und die handelnden Führungskräfte sind.

Umbruch durch Wertedynamiken

Arbeitsbezogene Werte und Einstellungen sind einerseits Ausfluss gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, andererseits Treiber von Führung und Zusammenarbeit in zukünftigen Arbeitswelten. Nicht alles verändert sich im Laufe der Zeit, einiges aber durchaus und davon wiederum einiges mit disruptiver Kraft.

 

Quelle - den vollständigen Artikel können Sie weiterlesen unter Leadership-Insider.de

11 Juni 2021

Home statt Office, Vertrauen statt Kontrolle

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Serie New Work, Teil 1

Home statt Office, Vertrauen statt Kontrolle

In vielen Unternehmen hat New Work inzwischen Einzug gehalten. Zumindest ein bisschen, denn mobiles Arbeiten – in der Vergangenheit oft nur als Ausnahme gestattet – ist pandemiebedingt zur Pflicht geworden. Doch die neue Arbeitsweise ist wesentlich mehr als nur das Ergebnis digitaler Technologien und Prozesse. Und sie ist eine Chance, auch für den Mittelstand. Zum Auftakt unserer Serie klären wir, was New Work im Kern bedeutet.

Ist es schon New-Work-Kultur, wenn ein Arbeitgeber in Stellenanzeigen mit Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice sowie kostenlosen Getränken plus Obst und Gemüse für sich wirbt? Christiane Brandes-Visbeck lacht. „… und alle tragen Turnschuhe, duzen sich und halten dann Besprechungen in Lounge Chairs ab – nein, das ist kein New Work, das ist Marketing. Damit stellt man sich ins Schaufenster. Es ist das Gegenteil von einem gelebten Mindset“, sagt die Hamburger Unternehmerin, Beraterin und New-Work-Expertin.

Dass bei dem Thema oft mehr Schein statt Sein herrscht, hat auch Heike Bruch, BWL-Professorin und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen, beobachtet. Zwar hätten bereits in der Vor-Corona-Zeit rund 90 Prozent der Unternehmen die Notwendigkeit erkannt, ihre bisherige Arbeitsweise zu ändern. Doch ein Großteil sei die Transformation nur oberflächlich angegangen und arbeite weiterhin eher traditionell.

Die Pandemie aber hat viele Firmen zu Innovationen gezwungen. So war Homeoffice, das bis dahin nur jeder vierte Arbeitgeber als gelegentliche Ausnahme gestattete, plötzlich nicht nur möglich, sondern dringend erwünscht. Und statt persönlich im Konferenzraum trifft man sich längst virtuell. Allerdings – auch das stellt Bruch fest – sei diese Entwicklung fast ausschließlich aus den Corona-Beschränkungen heraus erfolgt und nicht aus dem Wunsch nach Wandel. Trotzdem: „Für Unternehmen, die weniger weit in ihrer New-Work-Transformation waren, besteht jetzt eine einzigartige Chance, nach den – meist positiven – Erfahrungen der Coronakrise eine echte New-Work-Kultur zu schaffen“, ist Bruch überzeugt.

Josephine Hofmann, stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Unternehmensentwicklung und Arbeitsgestaltung beim Fraunhofer-Institut für Absatzwirtschaft und Organisation in Stuttgart, kurz IAO, geht sogar noch weiter. Aus ihrer Sicht kommen viele Firmen um Veränderungen kaum herum: „Klassische Organisationsformen funktionieren heute oft einfach nicht mehr.“ Und sie ist überzeugt: „New Work ist ein ernst zu nehmender Trend.“

Arbeit, die Energie gibt statt nimmt

Das Konzept geht auf den aus Deutschland stammenden US-Amerikaner Frithjof Bergmann zurück. Der Philosophieprofessor, der unter anderem in Princeton und Stanford lehrte, hatte sich Anfang der 1980er-Jahre angesichts drohender Massenentlassungen in Michigans Autoindustrie intensiv mit dem System der Lohnarbeit beschäftigt. Sein Fazit: „Arbeit [ist] oft eine den Menschen verkrüppelnde Krankheit.“ Bergmann befragte deshalb die Fabrikarbeiter vor Ort, „welche Arbeit sie wirklich, wirklich tun wollten“, und kam zu dem Schluss: „Nicht wir [Menschen] sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit uns.“ Folglich, so schrieb er 2004 in seinem Buch „Neue Arbeit, Neue Kultur“, sei es an der Zeit, die Arbeit von Grund auf neu zu organisieren – als New Work eben. Bergmann hatte beobachtet, dass eine Arbeit, die den tiefsten Wünschen der Menschen entspräche und von ihnen als Herausforderung und Berufung zugleich empfunden würde, sie nicht auszehre. Im Gegenteil. „Sie gibt den Menschen mehr Energie, stärkt sie und hebt sie auf eine höhere Ebene.“ Von Anfang an seien auch Manager von dem Konzept der Neuen Arbeit fasziniert gewesen, schreibt Bergmann weiter. Denn sie hätten erkannt, „dass das auch für die Produktivität und damit für ihre Gewinne das Beste sein würde“.

Doch erst als gut 20 Jahre später der Psychologe, Coach und Autor Markus Väth Bergmanns Theorie aufgriff und sie in seinem Buch „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt. Wie New Work unsere Arbeitswelt revolutioniert“ weiterentwickelte, bekommt sie breitere Aufmerksamkeit. Vielleicht auch deshalb, weil 2016, bei Erscheinen des Titels, deutlich wird, dass „die Digitalisierung unsere Arbeitsrealität in einer Radikalität [verändert], dass vielen Beobachtern mitunter schwindelig wird“, wie Thomas Vollmoeller, Vorstandsvorsitzender der Xing AG, im Vorwort schreibt. „So erleben wir nicht nur einen Paradigmenwechsel, wie es ihn seit der industriellen Revolution nicht gegeben hat, sondern gerade bei dem immer größer werdenden Heer der Wissensarbeiter eine Veränderung ihrer Werte.“ Studien zufolge käme es jungen Talenten viel mehr auf Sinnstiftung, Arbeitsatmosphäre, Flexibilität und Selbstverwirklichung an als auf ein hohes Gehalt, ein großes Büro oder einen eindrucksvollen Titel. Und weil in vielen Branchen Fachkräftemangel herrsche, würden sich inzwischen viele Firmen bei den Nachwuchskräften bewerben – und nicht umgekehrt. „Wer innovative Köpfe will, muss innovative Arbeitsbedingungen bieten. Arbeitsbedingungen ohne starre Hierarchien, mit weitgehender Autonomie der Mitarbeiter, hoher Flexibilität, was Arbeitszeit und -ort betrifft.“

Zeitlich und örtlich flexibel arbeiten

Das hat auch Martin Görge erkannt. Als Geschäftsführer der Sprinkenhof GmbH, die unter anderem die Gewerbe- und Kulturimmobilien der Stadt Hamburg verwaltet, buhlt er mit anderen Unternehmen um technische Talente. „Der Arbeitsmarkt ist in diesem Bereich ziemlich eng. Also müssen wir etwas tun, um attraktiv zu sein“, bekennt der 54-Jährige im zweiten Teil dieser Faktor-A-Serie. Vor drei Jahren hat er deshalb mit seinem Team den Prozess der Transformation begonnen. Die ersten Schritte auf dem Weg von Old zu New Work sind gemacht: Die Kernarbeitszeit wurde abgeschafft und den Mitarbeitenden das Recht eingeräumt, die Hälfte ihrer Arbeitszeit außerhalb des Büros zu verbringen.

Die zeitliche und örtliche Flexibilisierung von Arbeit ist denn auch tatsächlich die häufigste Veränderung in Unternehmen, wie Josephine Hofmann und ihr Team vom Fraunhofer-Institut für die Studie „New Work – Best Practices und Zukunftsmodelle“ feststellten. Weitere zentrale Erkenntnisse: New Work findet nicht nur in jungen Unternehmen statt, sondern ebenso in Konzernen wie im Mittelstand (Teil 4 der Serie). Und: Es ist eine Riesenherausforderung für Unternehmen, die Transformation in größeren, gewachsenen Strukturen umzusetzen.

Wie riesig die ist, stellt auch Christiane Brandes-Visbeck immer wieder bei ihren Beratungen fest. „Der Übergang von einem zum anderen System ist nie reibungslos. Es geht ja darum, die Art der Zusammenarbeit neu zu denken, also von Arbeitszeiten über Organisationsstrukturen bis hin zu Führungsstilen.“ Viele Manager, so ihre Erfahrung, bekämen dann Angst: um ihre Position, um ihre Rolle, ihren Einfluss, ihre Macht. Dabei wollten die meisten selbst anders arbeiten. Und vermutlich würden die meisten von ihnen auch sofort ihre New-Work-Definition unterschreiben, die da lautet: „sinnorientiert und zielgerichtet zusammenzuarbeiten, um bei maximaler Menschenorientierung maximalen Output generieren, und gleichzeitig dazuzulernen, um mitgestalten zu können“.

New Work, das ist richtige Arbeit

Deshalb stellt Brandes-Visbeck auch zu Beginn jedes Transformationsprozesses klar, dass die gewohnten Hierarchien zunächst einmal bleiben dürfen – allerdings gerne etwas flexibler und durchlässiger gelebt. Beispielsweise, indem Mitarbeitende ihre Dienstpläne eigenständig untereinander absprechen oder Zuständigkeiten selbst festlegen könnten. „Gerade die Themen Entscheidungen und Arbeitsverteilung sind die großen Hebel bei New Work“, sagt Brandes-Visbeck. Denn das bedeute, Führungskräfte müssten lernen, loszulassen und ihrem Team zu vertrauen – und die Mitarbeitenden müssten lernen, Verantwortung zu übernehmen. Ungewohnte Rollen, die viele zunächst auch überfordern. Aber: „New Work ist keine Methode, sondern ein Mindset: Wenn ich nicht bereit bin, umzudenken, neue Regeln zu entwickeln und innovative Dinge umzusetzen, dann macht es auch keinen Sinn, dies von anderen zu fordern.“ New Work ist nämlich vor allem eines: Work. Die Neuausrichtung brauche viel Zeit, und anstrengend sei sie auch. „Aber es funktioniert. Zumindest dann, wenn wir als Team lernen, miteinander zu arbeiten statt nebeneinander; wenn wir lernen, uns in unserer Vielfalt von Persönlichkeiten, Wünschen, Fähigkeiten und Mentalitäten auszuhalten, und trotzdem gemeinsam in eine Richtung gehen. Und wenn die Unternehmenskultur geprägt ist von Vertrauen.“

Doch gerade daran scheint es in diesem Jahr des erzwungenen Homeoffice zu hapern. In einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters Hays unter mehr als 1.000 hoch qualifizierten Wissensarbeitern zeigt sich, dass es mit der neuen Arbeitsweise längst nicht so gut klappt wie in vielen Firmen verkündet. Die Organisationsstrukturen sind mehrheitlich immer noch die alten, „und kontrolliert wird wie eh und je“, fasst das Magazin „Harvard Business manager“ zusammen. Zwar nehmen 41 Prozent der befragten Führungskräfte einen Ausbau der Eigenverantwortung wahr, doch gleichzeitig stellten 30 Prozent eine Stärkung der Hierarchien fest. Und während 38 Prozent der Führungskräfte angaben, dass sich eine Vertrauenskultur etabliert habe, erlebten 30 Prozent verstärkt Kontrolle. Und mehr als 80 Prozent der Befragten erklärten, dass sich ihre Arbeitgeber im Zuge der Digitalisierung hauptsächlich auf die Implementierung neuer Technologien konzentrieren. Ein Fehler, findet Hays-Vorstand Dirk Hahn. „Um die vielfältigen Potenziale von Wissensarbeitern auszuschöpfen, braucht es vor allem deutliche Veränderungen in den Unternehmenskulturen.“

Dann gelingt die Transformation übrigens sogar in einem traditionellen Handwerksbetrieb. Der Beweis: die Glasmanufaktur Heiler im baden-württembergischen Waghäusel. Ehemals traditionell hierarchisch organisiert, vertraut der Geschäftsführer des Familienunternehmens, Stephan Heiler, heute auf eine Belegschaft, die eigenverantwortlich ihre vielseitigen, wertvollen Kapazitäten im unternehmerischen Sinne einbringt. Und das gänzlich ohne Vorgesetzte, ohne Hierarchie und Weisungsbefugnis. „Auf Hierarchien vollständig zu verzichten, war der einzig richtige Schritt, der es möglich gemacht hat, Heiler wirklich zukunftsrobust zu machen.“ (Ein Porträt des Unternehmens lesen Sie in Teil 3 dieser Serie.)

Serie New Work

Längst wird das Konzept New Work in traditionellen Betrieben in Mittelstand und Handwerk umgesetzt. In unserer Serie zeigen wir, was das Konzept beinhaltet und wie es kleine und mittlere Betriebe unterschiedlicher Branchen umsetzen.

Teil 1 | Home statt Office, Vertrauen statt Kontrolle – was heißt New Work?
Teil 2 | Sprinkenhof GmbH: wie ein öffentliches Unternehmen zum attraktiven Arbeitgeber wird
Teil 3 | Glasmanufaktur Heiler: New Work im Handwerk

Quelle Faktor A - Das Arbeitgebermagazin

 

07 Mai 2021

New Work: "Die Wende zum Besseren beginnt"

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New Work:

Kommandieren und kontrollieren ist Old Work. New Work ist die Zukunft, meint Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie.

New Work ist ein Gewinner der Krise, meint Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule SRH Berlin und dort als Vizepräsident für Forschung und Transfer tätig. Seine Aussage stützt er auf seine Studie, eine Online-Befragung unter rund 450 Unternehmen. "Die meinen, dass New Work durch die Corona-Pandemie und die disruptiven Veränderungen etwa in der Automobilindustrie mehr Bekanntheit und Zulauf erhalten hat." Unternehmen experimentieren mit neuen Arbeitsmodellen und Strukturen, um den Anforderungen der Beschäftigten gerecht zu werden.

Arbeitnehmer fordern zunehmend etwa Selbstbestimmung bei ihrer Arbeit und Einfluss auf ihre Arbeit, einen bedeutsamen und kompetenten Job. Diese vier Faktoren fasst Schermuly unter dem Begriff psychologisches Empowerment zusammen. Das führt zu höherer Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit und reduziert emotionale Erschöpfung und langfristig Depressionen. Unternehmen, die solche Jobs bieten, werden für Beschäftigte attraktiv. Darin liegt die Win-win-Situation von New Work.

Es ist ziemlich still geworden um New Work, der grundlegenden Veränderung unserer Arbeitswelt. Ist der Wandel ein Opfer der Pandemie geworden?

Prof. Dr. Carsten Schermuly: Es kommt darauf an, wie New Work definiert wird. Wir erstellen jährlich das New-Work-Barometer und haben bei der Befragung im vergangenen Jahr festgestellt, dass New Work ein Krisengewinner ist. 80 Prozent der befragten Unternehmen sehen die Krise als einen positiven Faktor für New Work.

Wie definieren Sie New Work?

Für unser Barometer befragen wir, was die Unternehmen unter dem Begriff verstehen. Das ursprüngliche Verständnis von Frithjof Bergmann wird als Sozialutopie abgetan, in dem langfristig die Lohnarbeit abgeschafft werden sollte. Das erscheint vielen unrealistisch. Am häufigsten gehen die Befragten davon aus, dass New Work Maßnahmen sind, mit denen das psychologische Empowerment von Mitarbeitenden stimuliert wird. Dies meint das Erleben eigener Bedeutsamkeit und Kompetenz sowie Selbstbestimmung und Einfluss bei und auf die Arbeit. Mit dieser Definition arbeiten wir.

Wie lassen sich die vier Faktoren des psychologischen Empowerments erreichen?

Laut dem Barometer sind das um die 30 Maßnahmen. Die am häufigsten eingesetzte ist agile Projektarbeit, dann folgen moderne Führungsstile und offene Bürostrukturen sowie Klassiker der Organisationsentwicklung wie mobiles Arbeiten und Abflachung von Hierarchien. Vieles von dem Genannten hat das Potenzial psychologisches Empowerment freizusetzen.

New Work regelt also die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Beschäftigten auf psychologischer Ebene neu.

Genau. Die Wahrnehmung der Arbeitsrolle wird durch New Work neu definiert und tatsächlich gibt es hier die vier genannten Kognitionen, die dabei stimuliert werden. New Work hat über psychologisches Empowerment die psychologischen Konsequenzen wie etwa, dass die Stressbelastung sinkt und die Menschen zufriedener am Arbeitsplatz sind. Die Innovationsleistung steigt und Menschen wollen sogar trotz Rentenalter in solchen positiven Arbeitsverhältnissen bleiben. Das ergab eine aktuelle Studie. Beeindruckend, wie ich finde.

Ist New Work eine Veränderung, die sich zwangsweise aufgrund unterschiedlicher Umstände ergibt?

Ja und am Anfang dieser Entwicklung steht die VUCA-Welt, die einen gewissen Druck ausübt. Die vier Buchstaben sind ein Akronym, das übersetzt die Begriffe Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit bedeutet. Weil sich unsere Welt dahin gehend verändert hat, beschäftigen sich viele Unternehmen damit, Arbeit in ihrer Organisation anders zu gestalten, mit dem Ziel, die äußere Komplexität mit einer inneren Komplexität spiegeln zu können. Dafür experimentieren sie mit verschiedenen Maßnahmen, die unter dem Label "New Work" assoziiert werden. Wenn das gelingt, gewinnen sie als Profit das psychologische Empowerment. Dass die Menschen über diese vier Forderungen der Arbeitswahrnehmung agiler und aktiver werden, das wird dann als New Work bezeichnet. Ein fruchtbarer Boden dafür besteht, wenn Kreativität für die Arbeit notwendig ist, Kollegen kooperieren müssen und bei komplexen Aufgaben. Wenn das alles nicht gegeben ist, dann ist die Notwendigkeit für New-Work-Maßnahmen geringer.

In der IT wohl schon, denn dort ist die Keimzelle von New Work mit agilen Arbeitsmethoden …

… ja und die IT leidet seit Langem unter einem Fachkräftemangel und deshalb hat sich die Branche schon früh Gedanken darüber gemacht, wie Arbeit so organisiert werden kann, dass Menschen Lust haben, in diesen Firmen zu arbeiten. Für die IT-Branche war schon früher als in anderen ein gewisser Handlungsdruck da. Aufgrund von Corona ändern aktuell große Industrieunternehmen ihr Verständnis der Arbeitswelt. Demokratisierung, Digitalisierung und Dezentralisierung der Arbeitswelt, also die drei D, mit denen teilweise auch New Work bezeichnet wird, da funktioniert unsere Organisation nicht mehr und wir müssen etwas ändern. Diese Firmen spüren, dass sie ihre Arbeitsweisen nach Corona ändern müssen.

Sie sagten, dass IT-Unternehmen aufgrund des Arbeitskräftemangels gezwungen waren, ihre Organisation attraktiver zu gestalten. Laut dem Branchenverband Bitkom gibt es immer noch einen Mangel an IT-Fachkräften, der immer größer wird. Hat die Idee mit New Work nicht funktioniert?

Doch schon, nur jagen sich die Firmen gegenseitig Personal ab. Was nicht funktioniert hat, ist, so viel IT-Ausbildung zu betreiben, dass der Mangel gedeckt werden kann. Hinzu kommt, dass der Bedarf an IT-Experten eben ständig steigt. Es scheint ein Fass ohne Boden zu sein.

Was hat sich in deutschen Unternehmen hinsichtlich New Work schon verändert?

Lassen Sie mich zuerst aus unserer Studie zitieren. 90 Prozent der Befragten sagten, dass sie durch Digitalisierung, Homeoffice und die Erprobung von Kollaborationtools New Work mehr Aufmerksamkeit in den Unternehmen erfahren wird. Gut zwei Drittel gehen davon aus, dass sich die Arbeitswelt durch die aktuelle Krise radikal verändern und langfristig auf die Prinzipien von New Work einstellt. Ich sehe in vielen Firmen, dass sie die ersten Schritte wagen. In großen Unternehmen beginnen Führungskräfte über eine andere Art der Zusammenarbeit nachzudenken und werden darin trainiert. Sie schaffen Führungskräfte nicht ab, sie behalten sie bei, aber die agieren anders, etwa mit empowermentorientierter Führung. Dazu zählt, dass Führungskräfte sinnstiftend und partizipierend arbeiten und sie Kompetenzentwickler sind.

New Work bedarf eines völlig neuen Bewusstseins bei allen Beschäftigten. Kann das geschult werden oder muss so etwas wachsen mit neuen Generationen?

Neue Generationen werden von sich aus New Work einfordern. Wir an unserer Hochschule haben Vorlesungen im herkömmlichen Sinn abgeschafft, das ist nun eine Ausbildung auf Augenhöhe. New Work ist ein Wechselspiel zwischen organisationalen Strukturen, die sich verändern hin zu mehr Demokratisierung der Person und den Kulturen. In diesem Dreiklang bewegt sich das Spiel hin zu New Work.

Was bewirkt New Work in den Unternehmen und was in den Menschen?

Psychologisches Empowerment führt zu mehr Zufriedenheit und höherer Leistungsfähigkeit. Emotionale Erschöpfung wird reduziert und langfristig werden weniger Beschäftigte depressiv. Es sind zunächst Mikroveränderungen die auf lange Sicht die gesamte Gesellschaft ändern können. Wer glücklich von der Arbeit kommt, handelt anders als ein Mensch, der während der Arbeit psychisch fertig gemacht wird, wie es heute nicht selten vorkommt. Ich gehe davon aus, dass New Work sich positiv auf eine Vielzahl unserer Lebensbereiche auswirkt, nicht nur die Arbeit.

Quelle: heise online

30 April 2021

7 Gedanken zu virtueller Empathie

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7 Gedanken zu virtueller Empathie

Kann man auch über digitale Kanäle die Emotion des Gegenübers erraten? Das sagt der Sozialpsychologe Prof. Dr. Hans-Peter Erb über virtuelle Empathie.

1. Andere verstehen

Alle Menschen besitzen die Fähigkeit, andere zu verstehen. Die großen Leistungen der Menschheit beruhen genau auf dieser Gabe. Der Flug zum Mond oder andere Errungenschaften sind nur Beispiele dafür, die ein isoliertes Individuum niemals hätte zustande bringen können. Wir schaffen solche Leistungen, weil wir uns auf vielfältige Weise in andere hineinversetzen können.

2. Gefühlsregungen ­interpretieren

Etwa ab dem zweiten Lebensjahr sind Menschen in der Lage nachzuempfinden, wie sich das Gegenüber fühlt. Im Alter von vier bis fünf Jahren lernen wir, dass andere Personen nicht immer über das gleiche Wissen verfügen wie wir selbst. Beobachtete Gefühlsregungen lösen über emotionale Ansteckung gleichsinnige Emotionen und Stimmungen aus. Tatsächlich sind wir nicht nur in der Lage, das Denken, Fühlen und Handeln unserer Mitmenschen zu verstehen. Sondern wir gehen umgekehrt auch davon aus, dass sie uns selbst richtig interpretieren.

3. Fehleinschätzungen ­berücksichtigen

Das Problem: Das Verstehen der anderen ist nicht immer ganz einfach. Menschen schöpfen regelmäßig ihre Potenziale zu Empathie und Perspektivenübernahme nicht aus. Zum einen unterscheiden sich Menschen in diesen Fähigkeiten. Das belegen Befunde zur emotionalen Intelligenz. Zum anderen unterliegen wir systematischen Fehleinschätzungen, wenn wir zum Beispiel anderen unsere eigenen Absichten unterstellen. Schließlich wirken auch situative Bedingungen. Dazu gehören Hindernisse, wie sie sich bei virtueller Kommunikation ergeben.

4. Wahrnehmung schärfen

Virtuelle Empathie stellt besonders hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Über digitale Wege lassen sich Mimik und Gestik nur rudimentär übermitteln. Die Stimme ist verzerrt. Das erlaubt nur eingeschränkt, über Intonation und Klang emotionale Anteile zu transportieren. Bei Ironie und Witz kommt es leicht zu Missverständnissen. Und wer nur virtuell im selben Raum sitzt, befindet sich in der Realität mit großer Wahrscheinlichkeit in einer anderen Umgebung. Gute Führungskräfte verstehen dies ebenso wie ihre Beschäftigten.

5. Ähnlichkeit verbindet

Virtuelle Empathie gelingt am besten, wenn die Beteiligten schon real eine Beziehung zueinander aufgebaut haben. Ähnlichkeit und Enge der Beziehungen spielen eine besondere Rolle. Ähnlichkeit ergibt sich häufig aus geteilten Zielen und gemeinsamer Arbeit. Sich ähnliche Menschen finden sich häufig in derselben Branche und verwandten Berufen. Enge Beziehungen entstehen über die Zeit durch gemeinsame Arbeit, geteilte Erfolge und gemeinschaftlich überstandene Rückschläge. Ein homogenes Team meistert die Umstellung von realer zu virtueller Kommunikation folglich leichter als ein heterogenes. Gleiches gilt für zwei Menschen, die sich einander gut kennen.

6. Fallstricke kennen

Wer digital erfolgreich kommunizieren will, weiß um die Fallstricke der virtuellen Realität. Ein Team mit hoher gegenseitiger Empathie arbeitet reibungslos und zeigt bessere Leistungen. Auch virtuell erlebte Empathie führt zu mehr Hilfeverhalten und Verzeihen von Fehlern, die anderen unterlaufen sind. Schließlich werden empathische Menschen auch als sympathisch wahrgenommen. Die dunkle Seite der Empathie zeigt sich hingegen nur dann, wenn andere sie zu manipulativen Zwecken nutzen.

7. Situationen nachempfinden

Um virtuell empathisch zu sein, müssen wir uns bewusst werden, dass die eigene Realität nicht unbedingt auch dieselbe der Mitmenschen ist. Dazu kann man sich selbst bewusst die Aufgabe stellen, sich in die anderen hineinzuversetzen: Was sind deren Wünsche, Ziele und Gefühle? Was wissen sie bereits und welche Information benötigen sie noch? Nicht jede der spontanen Reaktionen darauf ist gut begründet. Übermittelt das technische Hilfsmittel vielleicht die falschen Signale? Ist das Verhalten meines Gegenübers einer Situation geschuldet, die sich von meiner eigenen unterscheidet? All das verlangt Aufmerksamkeit und Innehalten zur Neubewertung.

 

Zur Person

Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Hans-Peter Erb, geboren 1958, ist Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Auf seinem Youtube-Kanal Sozialpsychologie mit Prof. Erb befasst er sich seit November 2017 mit Fachbegriffen seines Forschungsgebiets.

Quelle: Human Ressources Manager

23 April 2021

New Work im Reality Check

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#Future of Work

New Work im Reality Check

Steffen Behn hat in seinem Unternehmen schon einiges getestet, was man unter New Work versteht. Hier teilt er seine Erfahrungen.

Die Pandemie verändert unsere Arbeitswelt nachhaltig. Wie ein Katalysator beschleunigt sie die Digitalisierung, Sie zwingt nun auch große Konzerne und sehr traditionelle Branchen dazu, Arbeit neu zu denken. Wir haben schon sehr viel vertestet, was man unter New Work versteht. So manches ging richtig schief, vieles funktioniert besser als wir es selbst gedacht hätten. Drei wichtige Erfahrungen aus unserem Reality Check:

1. Freiheit funktioniert nur in Maßen

Als 2016 der Startschuss zu unserer selbstbestimmten Arbeitskultur fiel, waren wir voll freudiger Erwartung und überzeugt, dass der neue, freie Arbeitsmodus die Leidenschaft und Dynamik in unser Team zurückbringen würde. Wir haben unsere Organisation radikal umgekrempelt: Wir haben die Abteilungsstruktur aufgelöst, cross-funktionale Squads und fachliche Chapters geschaffen. Gleichzeitig haben wir sehr konsequent hierarchische Strukturen und Freigabeprozesse abgeschafft. Unser Team wollte Freiheit. Wir wollten nicht mehr die Bottlenecks sein, über deren Tisch jede einzelne Entscheidung läuft. Es sollte ein Befreiungsschlag werden!

Absolute Freiheit klingt toll. Vor allem als Gegenentwurf zur Nicht-Freiheit, die die meisten von uns durch Top-Down-Entscheidungen und steile Hierarchien negativ erfahren haben. Doch obwohl unser Team sich Selbstbestimmung gewünscht und die Transformation selbst mitinitiiert hatte, hat sich schnell gezeigt, dass viele nicht mit der neugewonnenen Freiheit umgehen konnten. Manche wollten plötzlich gar keine Entscheidungen treffen, anderen fehlte schlichtweg der Mut. Wieder andere trafen übereilte Entscheidungen und nur wenige konnten mit der Verantwortung umgehen, die sie ganz automatisch mit der Freiheit mitbekommen hatten. Statt schneller und dynamischer zu werden, wurden wir langsamer. Alles fühlte sich zäh an.

Unsere Erkenntnis: Obwohl wir selbst die Idee so gut fanden – in der Praxis funktionierte das Ideal von führungslosen Teams für uns leider nicht. Das bedeutet nicht, dass Top-Down-Entscheidungen und steile Hierarchien das richtige sind! Vielmehr haben wir gelernt, dass wir das richtige Maß an Selbstbestimmung finden müssen, also die richtige Balance zwischen Führung und Freiraum. Heute haben wir eine sehr freiheitliche Kultur, in der wir laterale Führungsrollen implementiert haben. Führung ist verteilt und wird situativ gelebt. Jeder im Team kann Führung übernehmen, und zwar durch Überzeugungskraft und nicht durch Anweisung. Damit sind wir sehr erfolgreich – und haben in der aktuellen Krise bewiesen, dass wir eine sehr resiliente Organisation entwickelt haben. Mit einem Team, das sich selbst organisieren kann.

2. Menschen bringen Leistung, (erst recht!) wenn man nicht hinschaut

Entsprechend unserer Kultur gibt es keine Freigaben – auch nicht für Remote Work, auch vor Corona. Tatsächlich macht fast jeder, der neu in unser Team kommt, erst einmal einen Lernprozess durch. Denn, dass man morgens einfach frei entscheiden kann, von wo man arbeitet, ist wohl immer noch die Ausnahme. Die Möglichkeit remote zu arbeiten mitsamt der dafür nötigen technischen Infrastruktur, gibt es schon lange bei uns. Wir haben frühzeitig in die richtige Hardware investiert und setzen auf webbasierte Kollaborationslösungen wie den Google Workspace, Jira, sowie Slack und Facebook Workplace. Alle Mitarbeiter können selbst entscheiden, ob und wann sie ins Büro kommen wollen.

Dass Remote Work oder Homeoffice in vielen Unternehmen an Genehmigungsprozesse geknüpft oder auf wenige Tage im Monat beschränkt wird, finde ich – auch wenn gerade keine Pandemie ist – falsch. Dahinter steckt Misstrauen und die Annahme, dass die Produktivität im Homeoffice automatisch geringer ist als im Büro. Die Überzeugung, dass Menschen nur Leistung bringen, wenn sie sich beobachtet – also kontrolliert – fühlen, teile ich überhaupt nicht. Und ich frage mich auch immer: Wenn ich überzeugt bin, dass mein Gegenüber mich hintergeht, sobald ich wegschaue, habe ich dann nicht ein ganz anderes Problem?

Ich kann aus eigener Erfahrung nur empfehlen, mehr Vertrauen zu geben! Und ich hoffe, dass die aktuelle Situation mehr Unternehmen zum Umdenken bringt. Als Corona zuschlug, war es für uns die einfachste Übung, die Mitarbeitenden in den vollen Remote Modus zu schicken. Seit Monaten war kaum jemand im Büro. Die Produktivität hat nicht gelitten – im Gegenteil. Das Engagement, das das Team in dieser Zeit an den Tag gelegt hat und weiterhin legt, ist einfach überwältigend!

3. Büros sind ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur

Remote Work liegt also in unserer DNA. Dennoch haben wir in der Vergangenheit viel in unsere Offices investiert. Unsere Büros spiegeln unsere aufgeschlossene Kultur und schaffen eine familiäre Atmosphäre. Alle Räumlichkeiten sind hochwertig ausgestattet und bewusst offen gestaltet – mit vielen Möglichkeiten zum informellen Austausch: Wir legen beispielsweise ganz besonderen Wert darauf, dass wir gemeinsam kochen und essen können.

Wie wichtig unsere Büros für unser Team tatsächlich sind, hat sich in den letzten Monaten in vollem Umfang gezeigt. Das Corona-bedingte dauerhafte Wegbleiben von Offices und den realen Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen stellt einige vor hohe emotionale Herausforderungen.

Obwohl virtuelle Zusammenarbeit für uns Alltag ist, käme es daher für uns nicht infrage, dauerhaft auf die Büros zu verzichten. Sie sind ein wichtiges Tool, das unsere Werte kommuniziert und prägt, wie wir arbeiten. Daher werden unsere Büros selbst nach unserem Wandel hin zur Remote First Company einen hohen Stellenwert für uns haben und im „New Normal“ eine neue, wichtige Rolle spielen. Wir haben bereits viele Ideen, wie wir ein hybrides Modell schaffen können, in dem jeder seine individuelle Balance zwischen Remote und Office Work finden kann. Diese zu erproben wird unsere nächste Aufgabe nach dem Lockdown sein.

Zur Person

Steffen Behn ist CEO von der Celebrate Company.

Quelle: Human Ressources Manager

18 September 2020

Mindfulness im Unternehmen: Was HR tun kann

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Mindfulness im Unternehmen: Was HR tun kann

Ein „Mindful Raum“ bewirkt bereits viel im Unternehmen. Wo könnte HR noch aktiv werden? Markus Dahm und Martina Richly berichten aus der Praxis bei IBM.

Mindfulness ist in Krisenzeiten besonders wichtig für die psychische Gesundheit. Sie schafft mentale Klarheit und erlaubt es uns, neue Aufgaben konzentriert anzugehen. Das ist in einer Ausnahmesituation wie der jetzigen besonders wichtig. Aber was ist Mindfulness denn eigentlich – und wie kann sie im Unternehmen etabliert werden?

Mindfulness bedeutet Achtsamkeit, ein Wort, das vergleichsweise wenig im deutschen Sprachgebrauch genutzt wird. Dabei ist seine Bedeutung älter als der Syntax unserer Sprache und geht bereits auf Buddha zurück Es ist im Grunde eine der ältesten Praktiken in der Geschichte der Menschheit. Es gilt, den aktuellen Moment in größter Aufmerksamkeit zu erleben und zielgerichtete, wertfreie Aufmerksamkeit auf Gedanken, Gefühle, Körper und Umgebung zu lenken. Das erfolgreichste Instrument, um dies zu erreichen, liegt in der Meditation.

Was bewirkt Mindfulness im Unternehmen?

Mindfulness gestaltet das Arbeitsumfeld produktiver und fördert gleichzeitig die Gesundheit der Mitarbeitenden von innen heraus. Das Fokussieren der eigenen Gedanken und Gefühle führt dazu, dass wir besser Prioritäten setzen können und uns auf Aufgaben, aber auch Gespräche besser konzentrieren. Diese verbesserte Konzentration hat gesteigerte Empathie und Selbstreflexion zur Folge und unterstützt somit die Kommunikation mit Freunden, Verwandten, aber auch Kollegen oder Kunden.

Das Besondere an Mindfulness ist, dass es in absolut jedem Kontext umsetzbar ist. Jeder kann sich mit Achtsamkeit befassen, um den rasenden Alltag mit all seinen Stresssituationen zu bewältigen und sein Leben besser selbstbestimmt und eigenmächtig zu lenken. Viele Jahre schon sind bereits Google, SAP, Lufthansa und andere multinationale Unternehmen mit dem Thema intensiv zugange. Eine große Anzahl von Unternehmen hat sich den Ansatz auf die To Do Liste für die kommenden Jahre geschrieben und beginnt aktiv, Methoden zur achtsamen Lebensweise in den Arbeitsalltag einzubinden. Ein gutes Beispiel ist der IT & Consulting Konzern IBM.

Von kleinen Anfängen zu einer Community: Mindfulness bei IBM

Typische Veränderungsprozesse in einer Organisation folgen gewöhnlich einem Top-Down Ansatz, bei dem zunächst Führungskräfte ins Boot geholt werden, um die Einführung neuer Methoden nach „unten“ weiter zu tragen und den Sinn der Veränderung zu vermitteln. Anders bei Mindfulness, da der Ansatz nicht auf rein in der Gewinn- und Verlustrechnung messbare, also geschäftliche Verbesserungen, ausgelegt ist, sondern mehr auf die innere Gesundheit aller Mitarbeitenden.

Bei IBM hat sich das Thema durch eine Graswurzelbewegung entwickelt, also Buttom-Up. So haben sich bereits 2006 neugierige mit erfahrenen Kollegen zum Thema Achtsamkeit ausgetauscht und im kleinen Kreis Workshops in einzelnen Lokationen für Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt angeboten. Daraus entwickelte sich zunächst 2008 eine Online Community über die Kollaborationsplattform IBM Connections, mit etwa 600 Mitgliedern, die heute über 11.700 Mitglieder zählt.

Die Kolleginnen und Kollegen, die bereits überzeugt waren, dass der Ansatz von einer achtsamen Lebensweise auf vielen Ebenen Vorteile für die Mitarbeiter des Technologie Konzerns bringt, haben sich darum bemüht, 1 -2 tägige Mindfulness Workshops anzubieten. Mit groß angelegten virtuellen Austauschevents und regelmäßigen Online Meetings über Video Tools konnten sie eine breite, globale Akzeptanz erreichen.

Den Mitarbeitern die Gesprächsführung im Unternehmen überlassen

Wie können diese Ansätze fest in den Arbeitsalltag Integriert werden? Das Wichtigste ist zunächst, eine klare Linie zu ziehen zwischen der eigentlichen Bedeutung einer achtsamen Lebensweise, die mit Hilfe von Mediation, Yoga und Atemübungen entwickelt werden kann und der religiösen Auslegung, dass ausschließlich Mönche meditieren, um in eine andere Sphäre aufzusteigen. Da es sich um eine „innere“ Bewegung handelt, ist es von Vorteil, den Mitarbeitern die Gesprächsführung zu überlassen. Anders als bei anderen Veränderungsprozessen kann jeder als Innovator bei der Entwicklung und Umsetzung von Mindfulness agieren, sodass der Top-Down Ansatz weniger Relevanz hat.

Gleichzeitig ist es aber auch von Vorteil, wenn sich ein Führungsstil zum Beispiel im Sinne von „Positive Leadership“ bereits im Unternehmen etabliert hat, sodass Mindfulness zu einem unterstützenden Faktor werden kann.

Positive Leadership

Positive Leadership beschreibt Methoden und Denkansätze, mit denen die Unternehmenskultur transformiert wird. Der Ansatz bedient sich unterschiedlicher Instrumente aus der positiven Psychologie und verfolgt Ziele wie: eine Erweiterung der generellen Denkweise, Stärkung von persönlicher Widerstandsfähigkeit, effektiveres Arbeiten, Agilität und verbesserte Kommunikation durch Transparenz und gegenseitiges Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen (beruflich wie privat).

Positive Leadership verbessert nicht nur intern das Arbeits- und Führungsklima, sondern hat außerdem Umsatzsteigerung, niedrigere Fluktuation und generell verbesserte Arbeitsergebnisse zur Folge. Mit der Umsetzung von Mindfulness im Betreib, ob nun als Stütze des Positive Leadership Ansatzes oder allein, lassen sich auch langfristig Unternehmenskennzahlen verbessern. Das stützt sich darauf, dass durch ein gesundes Betriebsklima nicht nur der Krankheitsausfall verringert, sondern ebenfalls die Kommunikation mit Kunden verbessert wird und auch die Mitarbeiter-Loyalität erhöht wird.

Welche Rolle kann HR spielen?

Human Resources Manager müssen gleich an mehreren Stellen eingebunden werden. Sie sind dafür zuständig, ein befürwortendes Sprachrohr zu sein und der Belegschaft den positiven Effekt kontinuierlich zu vermitteln. Außerdem verfügt HR in der Regel über finanzielle Ressourcen, die es ganzheitlich und vorsorglich einzusetzen gilt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Personalabteilung eine enge Verzahnung zum Management der Geschäftsbereiche pflegt. Es reicht zunächst ein „Mindful Raum“, der den Mitarbeitern die Möglichkeit bietet, sich zurückzuziehen, um durchzuatmen.

Weiterhin sind regelmäßige Workshops von Vorteil, die das Thema und die vielfältigen Methoden konkret visualisieren und somit greifbarer machen. Auch hier müssen keine Riesen-Summen fließen. Die Hauptaufgabe von HR sollte sein, die „Innovatoren“ zu finden, das heißt, die Mitarbeiter, die ein besonders ernstes Interesse an der Verbreitung der Methoden haben oder vielleicht sogar privat Erfahrung mitbringen. Diese Innovatoren können für besagte Workshops eingesetzt werden, ohne großen externen Aufwand zu verursachen.

Fazit:

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es nicht schwer ist, Mindfulness in den Betriebsalltag zu integrieren und somit nicht nur das Betriebsklima, sondern auch langfristig betriebswirtschaftliche Kennzahlen zu verbessern. Kleine Veränderungen wie ein „Mindful Raum“ können bereits die Einstellung vieler Mitarbeiter beeinflussen.

Über die Autoren

Prof. Dr. Markus H. Dahm begleitet seit über 20 Jahren Organisationen in Strategie-, Transformations und Change-Prozessen. Der Fokus liegt auf Digitalisierung, KI Anwendung, Organisationsentwicklung und Change Management. Als Digital Change Consultant bei IBM Deutschlandfokussiert er auf die Menschen in Change-Prozessen. Er publiziert regelmäßig zu Management- und Leadership-Fragestellungen in wissenschaftlichen Fachmagazinen, Sammelbänden, Blogs und Online Magazinen sowie in der Wirtschaftspresse. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. An der FOM Hochschule Essen/Hamburg lehrt er in der Rolle eines Honorarprofessors.

Martina Richly ist seit 2018 Mitarbeiterin im Bereich Digital Change & Transformation bei IBM Deutschland. Als Beraterin begleitet sie Unternehmen durch unterschiedliche Veränderungsprozesse, die sich durch neue Technologien oder Umstrukturierungen im Personalbereich ergeben. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Achtsamkeit am Arbeitsplatz.

Quelle: Xing-News HR Journal

14 August 2020

Ethischer Kompass für den Einsatz von KI in der Personalarbeit

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Digitale Transformation - Interview von Inga Höltmann

Ethischer Kompass für den Einsatz von KI in der Personalarbeit

"Was wir brauchen, ist ein reflektierter Umgang mit Technologie und dem technologisch Machbaren“,

fordert Michael Kramarsch. Er ist Mit-Initiator des Ethikbeirat HR Tech, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von digitaler Technologie – wie zum Beispiel Künstlicher Intelligenz – in der Personalarbeit zu erarbeiten. Denn es fehlen heute handlungsleitende Richtlinien, meint er. Zwar gäbe es schon es eine ganze Reihe Anwendungen, die in der Personalarbeit zum Einsatz kämen: Interaktionen mit Chatbots, Sprach- oder Videoanalysen oder auch statistische Vorhersagen, wie wahrscheinlich es zum Beispiel ist, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt. Doch auch hier gilt – wie in so vielen Bereichen: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch wünschenswert.

Michael Kramarsch ist Gründer der HKP Group, einer Unternehmensberatung für Themen an der Schnittstelle von HR, Strategie und Finanzen. Den Ethikbeirat HR Tech hat er 2019 gemeinsam mit dem Bundesverband für Personalmanager (BPM) ins Leben rufen lassen. Das Gremium ist mit Menschen aus Wissenschaft, Start-ups und etablierten Unternehmen besetzt. „Im Privaten ist jeder seines Glückes Schmied was den Umgang und die Anwendung mit Technologie betrifft, doch im Kontext von Organisationen ist das ein schützenswerter Bereich, wo man viel sorgfältiger hinschauen muss“, meint er. Denn gerade im Personalbereich gäbe es viele normative Vorgaben, wie Geschlechter- oder Gehaltsgerechtigkeit, die wir im Blick behalten sollten. Es gehe immer darum, was Menschen wollten – aber auch darum, was Entscheidungen, die getroffen würden, mit Menschen machten.

Die Richtlinien seien „maximal unverbindlich und gleichzeitig höchst relevant“, sagt Kramarsch. Es ist jedoch überzeugt, dass es zukünftig ein Vorteil im „War for Talents“ sein wird, wie Unternehmen mit den Daten der Menschen umgehen und wie transparent sie damit sind. Im Interview spricht er mit Inga Höltmann darüber, wie die Richtlinien in den Unternehmen umgesetzt werden könnten und warum es eine europäische Debatte ist, die wir führen sollten.

Das Gespräch führte ​Inga Höltmann, Journalistin und Expertin für die Themen Kulturwandel, Neue Arbeit und moderne Führung, und Gründerin der Accelerate Academy, einer Plattform für Neue Arbeit und neues Lernen, um Unternehmen bundesweit in ihrer Transformation zu unterstützen. Sie twittert aktiv zu diesen Themen unter https://7905d1c4e12c54933a44d19fcd5f9356-gdprlock/ihoelt und freut sich über Anfragen auf LinkedIn oder per Mail auf Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

Quelle: ZukunftderArbeit

10 Juli 2020

6 Dinge, die HR von Customer Experience lernen kann

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6 Dinge, die HR von Customer Experience lernen kann

HR entwickelt sich zum Gestalter der Employee Experience. Der Erfahrungsschatz in Marketing und Vertrieb kann dabei helfen, sagt Christian Seeringer.

Die Employee Experience ist nicht nur Sache der Personalabteilung, sondern wird auch stark vom Marketing geprägt. Denn Mitarbeiter lassen auch ihre Erfahrungen als Konsumenten in ihren Arbeitsalltag einfließen und speisen darüber ihre Erwartungen an die Interaktion mit ihrem (potenziellen) Arbeitgeber.

Auf der anderen Seite wird der persönliche Servicekontakt in einem immer stärker digitalisierten und automatisierten Kundenerlebnis erfolgskritisch. Das Service-Verhalten der Mitarbeiter wird zum differenzierenden Faktor – und Mitarbeiterzufriedenheit ist im Kundenkontakt spürbar. Investitionen in die Employee Experience zahlen sich also auch in Form besserer Customer Experiences (CX) aus. Und dabei können Personaler sich durchaus von ihren Kollegen aus Marketing und Vertrieb inspirieren lassen.

Employee-Experience-Trends

Laut Forbes gibt es sechs CX-Trends, um die kein erfolgreiches Unternehmen herum kommt. Überträgt man diese Trends auf die Employee Experience, ergeben sich ganz konkrete Handlungsempfehlungen für das Personalmanagement:

1. Mitarbeiter wirklich verstehen

Eine Personalakte ist kein Netflix-Account. Sie gibt keine Auskunft über die Bedürfnisse, Motive oder Wünsche der Mitarbeiter. Aber einfach nur die Historie sowie (vermeintlichen) Kompetenzen der Mitarbeiter zu kennen, reicht heute nicht mehr aus. Mitarbeiter und Bewerber wirklich zu verstehen, bedeutet zuallererst, ihnen konsequent zuzuhören. Nur so kann ein Arbeitgeber seine Ziele und Bedürfnisse erkennen und dabei helfen, diese zu erreichen.

Hier sind vor allem die Führungskräfte gefragt, mit aufrichtigem Interesse den Menschen hinter der Personalnummer kennenzulernen und gemeinsam mit HR individuell zu fördern.

2. Aktiv Mehrwert für Mitarbeiter und Bewerber stiften

Marken mit einer starken Customer Experience schaffen es, Kundenerwartungen zu übertreffen. Ein Beispiel: Airbnb erstattet seinen Nutzern im Falle einer kurzfristigen Stornierung durch den Anbieter nicht nur die Kosten für die Unterkunft, sondern unterstützt auch bei der Organisation einer Alternative.

Für eine starke Employee Experience heißt das: Attraktive Arbeitgeber machen aktiv Angebote, die über den ergonomischen Bürostuhl hinausgehen. Das naheliegendste Suchfeld ist dabei die eigene Produktpalette: Autohersteller bieten ihren Mitarbeitern vergünstigte Inhouse-Carsharing-Lösungen, Krankenkassen attraktive Gesundheitsprogramme. Noch größere Potenziale tun sich auf, wenn Unternehmen (regional) ihre Stärken bündeln und gegenseitig ihren Mitarbeitern daraus entstehende Vorteile anbieten – inspiriert durch Markenkooperationen im Konsumgütermarketing.

3. Mitarbeiter- und Bewerberbedürfnisse antizipieren

Unternehmen, die die Konsummuster ihrer Kunden über einen längeren Zeitraum analysieren, können zukünftiges Kaufverhalten relativ gut antizipieren und entsprechend gezielte Service- und Vertriebsmaßnahmen durchführen.

Gleiches gilt für die Personalabteilung: Erfahrungswissen hilft, die zukünftigen Bedürfnisse von Mitarbeitern vorausschauend zu adressieren – gleich ob erste Führungsrolle, Mutterschutz oder Altersteilzeit. Der Arbeitgeber kennt aus vergleichbaren Fällen die zu erwartenden Bedürfnisse der Kollegen häufig besser als sie selbst und kann proaktiv darauf eingehen. Hier liegt echtes Begeisterungspotenzial für die Employee Experience.

4. Situativ und kontextabhängig auf Mitarbeiter und Bewerber eingehen

Spotify macht es vor: Die Playlists, die den Nutzern vorgeschlagen werden, orientieren sich nicht nur am generellen Hörverhalten, sondern auch am Kontext. Wer seinen Kindern am Abend etwa Kinderlieder vorspielt, möchte in der Jogging-Playlist am Morgen vermutlich gerne davon verschont bleiben.

Für HR heißt das: Mitarbeiter passen nicht in Schubladen. Wenn es etwa darum geht, Beruf und Familie zu verbinden, können sich die Bedürfnisse von Eltern deutlich zwischen Schul- und Ferienzeiten unterscheiden. Hier bieten flexible Arbeitszeitmodelle oder Remote Work-Regelungen eine Möglichkeit, kontextbezogen passende Angebote zu machen.

5. Die Experience physisch greifbar machen

Teslas Showrooms, Beyoncés Liveauftritte oder das gute alte Disneyland: Physische Präsenz macht Marken für die KundInnen greifbar, schafft Identifikationsfläche und emotionale Bindung.

Arbeitsorte sind für Mitarbeiter in der Regel physisch erlebbar. Aber was ist mit Aspekten wie Haltung und Kultur? Eine kreative (Um-)Gestaltung von Arbeitsräumen schafft alleine noch keine Innovationskultur, kann aber ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass neue Organisationsformen aktiv gefördert werden sollen.

6. Verbindung von digitaler und analoger Welt

Wichtige Trends im Customer Experience-Bereich sind Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Media-Ansätze. In Sachen Candidate Experience ist die Euphorie virtueller 3D-Touren zum zukünftigen Arbeitsplatz vorerst der ernüchternden Erkenntnis gewichen, dass kaum ein Bewerber eine VR-Brille zuhause hat. Umso relevanter ist eine nahtlose Integration von analoger und virtueller Arbeitswelt für die bestehenden Mitarbeiter. Gerade in der aktuellen Zeit sind die Arbeitgeber klar im Vorteil, die ihrer Belegschaft eine möglichst breite Palette digitaler Arbeits- und Kollaborationstools bieten können.

HR entwickelt sich vom Ressourcenverwalter zum Experience-Gestalter

Die Marketing-Abteilungen haben es in den letzten Jahren vorgemacht: Ihr Motto hat sich gewandelt von „make people want things“ zu „make things people want“. Personalabteilungen stehen vor einem vergleichbaren Paradigmenwechsel in Bezug auf ihre Rolle und ihr Selbstverständnis. Sie sollten sich weniger als Verwalter von Arbeitskraft, sondern viel mehr Gestalter der Candidate- und Employee-Experience sehen. Dabei kann HR auf einen großen Erfahrungsschatz in Marketing und Vertrieb zurückgreifen und sich für die eigene Experience-Strategie inspirieren lassen.

Über den Autor

Christian Seeringer ist Executive Director bei Diffferent. Er berät seine Kunden schwerpunktmäßig in den Bereichen Enablement, Transformation und Employer Branding.

Quelle: Human Ressource Manager

24 Januar 2020

Weshalb Unternehmen 2020 um New Work nicht herumkommen

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Weshalb Unternehmen 2020 um New Work nicht herumkommen

Gerade im IT-Bereich ist der Fachkräftemangel groß. HRler müssen deshalb beim Recruiting von IT-Spezialisten neue Wege gehen – zum Beispiel mit New Work.

Bereits zwischen 1976 und 1979 wurde durch den österreichisch-amerikanischen Philosophen und Sozialwissenschaftler Frithjof H. Bergmann der Begriff „New Work“ als klarer Gegenentwurf zum Kapitalismus definiert. In seiner modernen Ausprägung beschreibt das Konzept „Neue Arbeit“ vornehmlich eine neue Freiheit bei der Wahl und der Ausübung bezahlter Arbeit. Diese wird insbesondere von IT-Experten eingefordert, die aufgrund ihrer ausschließlich digital erbrachten Tätigkeiten bereits jetzt vollkommen orts- und zeitunabhängig arbeiten – und sich angesichts der hohen Nachfrage auch den Umfang ihres jeweiligen „Workload“ aussuchen können.

Die Zeit drängt

Berücksichtigen HR-Verantwortliche und Recruiter bei ihrer Recherche diese Erwartungen nur vordergründig oder überhaupt nicht, werden sie – und das gesamte Unternehmen – über kurz oder lang ins Hintertreffen geraten. Für deutsche Unternehmen sieht es bereits ziemlich kritisch aus: Laut dem Statistischen Bundesamt gaben 2018 rund 64 Prozent aller Firmen an, Schwierigkeiten zu haben, offene Positionen mit IT-Fachkräften zu besetzen. Die Folge daraus ist, dass die betroffenen Arbeitgeber einen enormen Nachteil in der Wettbewerbsfähigkeit erfahren. Insgesamt waren das 82.000 offene Stellen, ein enormer Anstieg zum Vorjahr, als bereits 55.00 Arbeitsplätze unbesetzt waren. Dementsprechend sollten sich nicht nur Personaler, sondern auch IT-Führungskräfte auf allen Ebenen mit dem Begriff „New Work“ und den abzuleitenden Maßnahmen beschäftigen.

„New Work“ umfasst mehr als einen Kickertisch, freie Getränke und eine Obstschale

Tatsächlich ging Professor Bergmann in seiner ursprünglichen Betrachtung davon aus, dass das „Job-System“ am Ende sei und definierte Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft als zentrale Werte des „New Work“-Paradigmas. Markus Väth fügte in seiner „New Work Charta“ noch Sinn und Entwicklung hinzu. Dieser höchst anspruchsvollen Erwartungshaltung lässt sich nicht mehr mit kosmetischen Korrekturen und einfachen Goodies begegnen, hier ist echtes Umdenken gefragt. Mittlerweile arbeiten überdurchschnittlich viele IT-Spezialisten als Freelancer, suchen sich als „digitale Nomaden“ ihren jeweiligen Arbeitsort, passende Projekte und die präferierte Arbeitszeit selbst aus. Damit sich diese Zielgruppe wieder längerfristig in einen Unternehmenskontext – angestellt oder freiberuflich – einfügt, müssen ungemein attraktive Vorteile winken. Wir müssen bei der Suche dieser Aspekte nun aber nicht das Rad neu erfinden – gehen wir einfach die einzelnen Punkte der „New Work Charta“ durch und finden IT-spezifische Anknüpfungspunkte für HR-Verantwortliche:

Freiheit

Diese bezieht sich sowohl auf Experimentier- als auch auf Angstfreiheit. Spielerisches Ausprobieren ohne Druck fördert gerade im IT-Kontext überraschend simple Lösungen für komplexe Probleme zutage. Schaffen Sie entsprechende Freiräume – sowohl zeitlich als auch buchstäblich räumlich. Zudem sollten Sie die Vernetzung mit anderen Experten und Abteilungen aktiv fördern.

Selbstverantwortung

Insbesondere IT-Spezialisten beschäftigen sich täglich mit Strukturen und Prozessen – ermöglichen Sie ihnen also, sich selbst zu organisieren, Budget-Verantwortung zu übernehmen und auch am Erfolg beteiligt zu werden. Zusätzlich sollte eine konstruktive Fehlerkultur im Unternehmen etabliert werden, die auch wirklich ihren Namen verdient.

Sinn

Zugegeben: Die Programmierung einer Schnittstelle oder das Anbinden von Warenwirtschaftssystemen an E-Commerce-Applikationen taugen noch nicht als erschöpfende Sinn-Stifter für Digital Natives. Um neben der operativen Tagesarbeit aber auch einen gesellschaftlichen Sinn vor Augen zu haben, beziehen Sie Ihre IT-Experten – und natürlich auch den „Rest“ der Belegschaft – in die Kreation der Unternehmensidentität mit ein. Im IT-Kontext bietet sich direkt das vorteilhafte Verlagern von ressourcenintensiven analogen Prozessen in die virtuelle Welt an. Aufgaben- und Abteilungsübergreifend geben sich New-Work-Organisationen auch soziale, ökologische Ziele und Visionen, die durch einen Teil des erwirtschafteten Umsatzes gefördert oder überhaupt ermöglicht werden.

Entwicklung

Reichte es bisher, Experten und Führungsnachwuchs mehr Geld und/oder mehr Verantwortung in Aussicht zu stellen, fordern digitale Wertschöpfer explizit Weiterentwicklungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten auf hohem Niveau ein. Hier müssen Sie sich von der Furcht lösen, dass gerade IT-Mitarbeiter Weiterbildungen, Seminare und Zertifizierungen nur absolvieren, um ihren Marktwert zu erhöhen und dann schnellstmöglich das Weite zu suchen. Vielmehr wirken regelmäßige Know-how-Updates einerseits als Wertschätzung der jeweiligen Person, andererseits als lohnende Investition in Richtung des unternehmensinternen Wissens-Pools. Gleichfalls bezieht sich der Punkt Entwicklung auf das kollektive Hinterfragen und Optimieren der Organisationsstruktur und der Kommunikations- und Entscheidungswege.

Soziale Verantwortung

Bereits unter „Sinn“ grundsätzlich angerissen, geht der Punkt „Soziale Verantwortung“ noch weiter. Hier dreht sich alles um eine Unternehmens- und Wertschöpfungsform, die sich an nachhaltigen, sozialen und ökologischen Standards orientiert, sich regional verankert und freiwillig gesellschaftliche Aufgaben übernimmt. Dazu gehört übrigens auch, die Steuern dort zu zahlen, wo Mehrwert geschaffen wird. Insbesondere die regionale Einbindung und Verwurzelung liefert überzeugten ortsunabhängigen digitalen Nomaden schlagkräftige Argumente, sich vielleicht doch für eine längere Zeit am Unternehmensstandort niederzulassen. Markus Väth geht in seiner Charta auch explizit auf das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns ein. Dieses gewinnt ebenfalls im IT-Kontext besondere Bedeutung, da nicht nur unter ehemaligen Hackern ein ausgeprägter Gerechtigkeits-Ethos herrscht, der entsprechend gewürdigt werden will.

Fazit

Das „New Work“-Paradigma bezieht sich – auch unter Berücksichtigung der ursprünglichen Version – natürlich nicht ausschließlich auf die mittlerweile dringend benötigten IT-Experten. Nichtsdestotrotz legen diese besonders viel Wert auf die aufgeführten Aspekte. Zudem bietet die fast vollständig digital ablaufende Wertschöpfung im IT-Bereich vielseitige Möglichkeiten, Pilotprojekte anzustoßen und auszuwerten – und die Resultate dann im größeren Unternehmens- oder Konzernrahmen zu verwerten.

Über den Autor

Alexander Schlomberg ist Managing Director Co-Founder bei Expertlead. Schlomberg hat einen Doppel-Abschluss in BWL und VWL von der Stockholm School of Economics. Nach der Uni hat er zunächst für drei Jahre als Unternehmensberater bei McKinsey gearbeitet, inbesondere an Projekten zu digitalen Transformationen.

Quelle: Human Ressources Manager

08 November 2019

New Work und gesundes Leben

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Wenn Arbeit und Gesundheit ein Team sind

New Work und gesundes Leben

Unsere Arbeitswelt ändert sich schleichend, aber fundamental. Unternehmen, wie auch die hier arbeitenden Kollegen, haben es mit disruptiven Prozessen zu tun, die die altvertrauten Bedingungen und Muster gründlich durcheinanderbringen und teils brachial nach neuen Strukturen, Regelungen und Methoden verlangen. Wir stehen gleichzeitig demographischen Entwicklungen gegenüber, die landesweit neue, passendere strukturelle Lösungen erfordern.

Denn: Die Generation der jüngeren – gebildeteren und selbstbewussteren – Arbeitnehmer, tritt mit gänzlich anderen Erwartungen und Ansprüchen an die Unternehmen heran, als bislang die Generation ihrer Eltern. Für sie sind ein sich positiv entwickelndes Einkommen und akzeptable äußere Arbeitsbedingungen (Lärm, Schmutz) weniger wichtig als beispielsweise Selbstverwirklichung, Eigenverantwortlichkeit und die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Arbeit dient für sie nicht mehr (nur)
der Sicherung der materiellen Existenz, sondern sie soll einen zusätzlichen ideellen Nutzen haben: ein durch Sinn erfülltes Berufsleben und darüber Glück und Zufriedenheit.

Work-Life-Balance auf Lebenszeit

Die heute 30-jährigen Kollegen wünschen sich die Work-Life-Balance auf Lebenszeit mindestens genauso sehr wie Anerkennung und Wertschätzung am Arbeitsplatz und sie hinterfragen außerdem das Ob und das Wie des gesellschaftlich verantwortungsvollen Handelns eines (ihres) Unternehmens.

Dieser Struktur- und Wertewandel führt in vielen Unternehmen zwangsläufig zu einer Anpassung des sozialen Gefüges und zu der Schaffung und Förderung von neuen Arbeitsformen und -bedingungen: weg von starrer Ordnung, Befehl und Gehorsam, hin zu kleinen, dezentralen Organisationsstrukturen, maximaler Flexibilität, Mitspracherechten und Selbstbestimmung.

Vor allem über die Schaffung flexibler Arbeitsmodelle versuchen Unternehmen zunehmend, dem Wunsch der Beschäftigten nach individuellen Gestaltungsspielräumen und Autonomie nachzukommen und sie sind bestens beraten, diesem Wunsch nachzukommen und künftig auf Augenhöhe mit ihren Beschäftigten zu agieren.

Arbeit, wann und wo man möchte

Im Bereich der Arbeitsorganisation sind bei den Beschäftigten vor allem die Freiräume gefragt: zeitliche und örtliche Flexibilität, die mobile, multilokale Arbeit, flexible, der jeweiligen Lebenssituation angepasste Arbeitszeitmodelle – also Arbeit, wann und wo man möchte, bei Bedarf auch in Urlaubszeiten. Teamübergreifendes, vernetztes Arbeiten und Interdisziplinarität begleiten uns dabei ohnehin. Dem Einsatz und Vorhandensein digitaler Kommunikationstools verdanken wir es, dass wir bei weitgehender Hierarchiefreiheit, präzise beschriebenen Prozessen und gelebtem Rundumfeedback kurze Entscheidungswege haben, Anpassungen schnell vornehmen und kurzfristig alle am Kreations-, Entwicklungs- oder Produktionsprozess Beteiligten mit den jeweils aktuellsten Informationen versorgen können und eine physische Anwesenheit im Büro dabei nicht mehr erforderlich ist.

Unabhängig von Ort und Zeit passen wir die Prozesse und -logiken dem sich stetig wandelnden Produkt an. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jeder jederzeit den vollständigen Produktionsprozess nachvollziehen kann bzw. können sollte und sich aktiv an dessen Gestaltung beteiligt. Erreichbarkeit, Kommunikationsbereitschaft und die Nutzung moderner Kommunikations- und Collaborationstools versetzen uns jederzeit in die Lage, reagieren und agieren zu können. Partizipation ist gewünscht und gefordert und jeder verantwortet seine Teilaufgaben selbst. Die nächste Arbeitnehmergeneration fordert Freiräume und bietet Verantwortung und Liefertreue.

Entgrenzte Formen des Arbeitens bleiben nicht wirkungslos

(Betriebs-)Ärzte sehen immer häufiger Fälle von Überlastung, Überreizung und Erschöpfung und sie müssen Beschäftigte dabei auch zunehmend öfter „vor sich selbst schützen“. Die Statistiken verschiedener Krankenkassen weisen psychische arbeitsbedingte Erkrankungen als die am schnellsten steigende (berufsbedingte) Krankheitsart aus.

Die neuen Möglichkeiten des flexiblen, mobilen Arbeitens sind chancenreich und verlockend: Außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit, also in der Freizeit – Wochentage spielen dabei häufig keine Rolle – können E-Mails und Texte geschrieben, Angebote berechnet, Kontaktaufnahmen beantwortet und Kollegen angechattet werden.

SocialMedia-Aktivitäten lassen sich abends auf der Couch mit mehr Ruhe erledigen und bei der Verabredung zum Frühstückspausenkaffee in der Cafeteria wird nicht pausiert, sondern – dank WLAN und Notebook – natürlich auch über die Arbeit gesprochen. Keine echte Erholungspause also. Wer den Skypestatus nicht auf „rot“ oder
besser auf „offline“ setzt, scheint ansprechbar zu sein – oder es sein zu wollen.

Wie wirkt die neue Arbeit auf uns Menschen?

Flexibilität, Selbstorganisation und Wandlungsfähigkeit werden zu wichtigen Kriterien in der aktuellen Personalentwicklungspraxis und in Bewerbungsprozessen, in denen immer häufiger der Bewerber den Arbeitgeber auswählt. Unternehmen müssen mit Anforderungen wie BYOD (Bring Your Own Device; Nutzung privater Geräte im beruflichen Kontext) umgehen, müssen Regelungen finden, wer überhaupt entgrenzt arbeiten darf bzw. soll und wenn ja, wie die konkrete Arbeitszeit der Beschäftigten bei mobilem Arbeiten nachgehalten werden kann. Sie müssen dem Bedürfnis nach mehr Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben nachkommen und möglichst flexible Regelungen für „alles Mögliche“ anbieten, ohne dabei zu kompliziert zu werden. – Das schreckt ab.

Leichtfüßig und vertrauensbasiert soll der Umgang miteinander sein und auf jeden Fall ohne zu viel störende Kontrolle und Einflussnahme. Mehr Freiraum, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Partizipation bei weniger Steuerung, Führung und Kontrolle. Was für die einen völlig selbstverständlich ist, sorgt bei den anderen jedoch für Unbehagen.

Die Anforderung, jederzeit mit dem Tempo der Gesamtorganisation mithalten zu müssen, mehr Themenbereiche als nur den eigenen nachvollziehen und bedienen zu können und sich in ständigen Kommunikationsschleifen wiederzufinden, kann Fluch und Segen zugleich sein. Es gibt zunehmend mehr Menschen, die diesen schnelleren, anderen Gang nicht mitgehen können oder wollen und denen die Arbeit buchstäblich – vor allem auf die psychische Gesundheit schlägt. Insgesamt nimmt der Anteil der psychischen Belastungen im Arbeitskontext zu: Es sind das schnellere Arbeitstempo, die wachsende Komplexität der Aufgaben, die Frequenz der unterschiedlichen Kommunikationsanlässe und -arten, der eigene Anspruch an Qualität und Leistung, das Wissen um die eigene Verantwortlichkeit im Gesamtsystem und leider in manchen Fällen auch die fehlende Identifikation mit den mehr oder weniger klaren Unternehmenszielen, die die Menschen dazu bringt, ihre Grenzen nicht mehr definieren zu können.

  • Wie weit kann ich gehen?
  • Was bin ich bereit einzubringen?
  • Wofür stehe ich ein?
  • Nehme ich mir ausreichend Zeit zur Regeneration?
  • Kenne ich meine Alarmzeichen?
  • Ab wann wird Arbeit zur Belastung?

Es heißt, dass uns Menschen – gerade im Zeitalter der digitalen Transformation – die Möglichkeit verloren ginge, die Verschränkung von Job und Freizeit für uns selbst zu klären, und dass wir aus den oben genannten Gründen zugunsten der Arbeit auf ausreichend Erholungspausen, den teaminternen, helfenden kollegialen Austausch und die gegenseitige Unterstützung verzichten. Termin- und Leistungsdruck, geschlossene Zielvereinbarungen, Konkurrenzdruck und gerade auch die sich bietende Möglichkeit, jederzeit reagieren zu können oder zu müssen, lassen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und nicht selten gewinnt die Arbeit den Kampf um das knappe Gut Zeit. Das Bewusstsein um diese Knappheit der uns zur Verfügung stehenden Zeit und die sich uns bietenden Möglichkeiten zu arbeiten sind Stressoren, die uns unterschiedlich beeinflussen und lenken.

Ist es denn für viele von uns nicht gerade auch die Arbeit, die uns die Kraft und die Inspiration gibt…

…weiter-, weiter- und immer weiterzumachen und dabei nicht zu bemerken, dass man dabei längst schon die Schallgrenze der eigenen Belastbarkeit durchbrochen hat und eigentlich längst schon zurück zu sich selbst und einem ausgewogenen Zeitmanagement hätte kommen sollen?

Ausgehend davon, dass dieses ungesunde und ungünstige Verhältnis von Belastung und Entspannung gesundheitsgefährdend wirkt, wäre es an dieser Stelle unzureichend, wenn nicht auch auf die positiven Seiten von „Stress“ verwiesen würde. Denn: Für viele Menschen ist Stress nichts per se Schlechtes. Die Verhaltensforschung kennt zweierlei Arten von Stress: Eustress und Distress. Ersterer beflügelt, motiviert und pusht, Letzterer wirkt negativ auf den Menschen und ist nachweislich krankmachend. Für den überwiegenden Teil der – vor allem jüngeren – Menschen bergen die Möglichkeiten des zeit- und ortsunabhängigen Arbeitens mehr Vorals Nachteile, denn sie zahlen auf das Konto der besseren Vereinbarkeit von Job und Privatleben ein.

Und die neuen, vorher oft hart und umständlich erkämpften – oder unerreichbaren – Freiräume sind nunmehr ohne besondere Mühen in das eigene Leben integrierbar und die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben gelingt leichter. Das verschafft vielen die nötige Leichtigkeit, die es braucht, um nicht darüber nachzudenken, wann, wie lange oder wo wir eigentlich arbeiten. Die Bereitschaft, entgrenzt zu arbeiten, wird für viele Beschäftigte zur Normalität. Diese Arbeitsweise entlastet uns und wirkt dazu auch noch produktivitätsfördernd. Die besten Ideen entstehen in der Regel nicht, wenn Arbeitszeitrichtlinien oder örtliche Gegebenheiten bremsen, sondern vor allem dann, wenn wir uns in einer Arbeitsatmosphäre befinden, die für den jeweiligen Kontext passend ist und kreativitätsförderlich wirkt.

Pest oder Cholera?

Für diejenigen jedoch, die von den Stressoren des entgrenzten Arbeitens negativ beeinflusst werden und die sich nicht in der Lage sehen, mit diesen Umständen klarzukommen, bleibt es häufig bei der Wahl „zwischen Pest und Cholera“. Weiter, weiter, immer weiter. Entgrenzte Arbeit bietet Schlupflöcher: Wer merkt schon, dass ich eigentlich „ausgelaugt“, erschöpft oder schon krank bin, wo ich doch gar nicht wahrgenommen oder gehört werde, weil ich tagelang z.B. im Homeoffice abtauchen kann. Manche erkennen keinen Sinn in der neuen Art des Arbeitens und auch nicht die Mehrwerte, die sich ihnen zur Verbesserung der von ihnen als ungünstig empfundenen Situation bieten.

Sie arbeiten trotz Erschöpfung und Krankheit weiter und verzichten zugunsten der Arbeit auf die dringend notwenige Regeneration. Ihre Arbeitsergebnisse leiden darunter, ebenso ihre physische und psychische Gesundheit. Dem zunehmenden Online-Präsentismus kann
auf unterschiedliche Weisen begegnet werden: Zum einen sind Führungskräfte gefordert, ihre digitalen Kompetenzen auf- und ausbauen, um auch dann noch ein Gefühl für den körperlichen und seelischen Zustand ihrer Teammitglieder zu haben, wenn man sich nicht persönlich sieht, sich nicht die Hand reicht und sich nicht in die Augen schauen kann.

Sie müssen Warnsignale deuten lernen, zum Beispiel fehlende Interaktion mit dem Rest des Teams, schlechte Arbeitsergebnisse, hohe Zeitaufwände für die Erledigung der Aufgaben, vermehrter Konsum von stimulierenden oder entspannenden Substanzen, regelmäßiges Umgehen von Sicherheits- und Schutzstandards oder auch die auffällig häufige Bereitschaft, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen oder Projektstände zu beschönigen, um vom eigenen Befinden abzulenken. Hier sind Führungskräfte zunehmend in der Verantwortung, dem Phänomen des Online-Präsentismus entgegenzusteuern. Nicht zuletzt ist ihr Vorbildverhalten ein wesentlicher Faktor mit Signalwirkung für all jene, die sich selbst nicht immer sicher sind, ob sie gerade ihre Belastungsgrenzen überschreiten oder doch noch Reserven haben.

Mindestens genauso wichtig ist es aber, sich an die eigene Nase zu fassen

und an seiner persönlichen Einstellung zu arbeiten, zum Beispiel um zu erkennen, wann es Zeit ist, im eigenen Interesse rechtzeitig „die Reißleine zu ziehen“ und die virtuelle Nabelschnur zu kappen. Denn die Verantwortung für die eigene Gesundheit kann letztlich nur jeder selbst tragen. Und gerade in Zeiten entgrenzten Arbeitens ist es unmöglich, diese Verantwortung vollständig auf nicht anwesende Dritte abwälzen.

Arbeit 4.0 beruht im Wesentlichen auf der Maxime der Selbstverantwortung und es sind vor allem die Beschäftigten, die lernen müssen, sich selbst und ihre Grenzen zu kennen und zu wissen, wann der Kraftspeicher leer ist und wie er wieder befüllt werden kann.

Es ist ein vollkommen logischer und wichtiger Schritt, dass Unternehmen die Verantwortung für einen gesunden Umgang mit sich selbst und der eigenen Arbeitskraft und -fähigkeit zunehmend mehr in die Hände derer legen, die autonom und selbstverantwortlich arbeiten wollen. Wenn Unternehmen das nicht tun, laufen sie Gefahr, „den schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen“ und schuldig zu sein für jeden einzelnen Fall von Burnout und anderen erschöpfungsbedingten Erkrankungen. Was Unternehmen jedoch noch zu oft vergessen ist, dass vor allem die älteren Kollegen diesen gesunden Umgang mit der neu gewonnenen Freiheit genauso erst erlernen müssen wie sie selbst.

Ein paar Zahlen …

Die Häufigkeit der psychischen Erkrankungen und die damit verbundenen Zeiten von Arbeitsunfähigkeit wachsen stetig und zunehmend schneller. Trotz insgesamt rückläufiger Krankenstände in den letzten Jahren wuchs der relative Anteil psychischer Erkrankungen am Arbeitsunfähigkeitsgeschehen bislang stetig. Er stieg auf 15,1 Prozent und die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen liegt bei 264 Tagen je 100 Personen.

Während psychische Erkrankungen vor 15 Jahren noch nahezu bedeutungslos waren,sind sie heute die dritthäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibung bzw. Arbeitsunfähigkeit (Knieps und Pfaff 2016: 59). Betroffen sind Berufsanfänger ebenso wie aufstrebende Mitarbeiter und Beschäftigte in Spitzenpositionen.

Besondere Bedeutung und Brisanz erhalten psychische Erkrankungen vor allem dadurch, dass die Krankheitsdauer stärker ins Gewicht fällt: Die durchschnittliche Dauer psychisch bedingter Krankheitsfälle ist mit 36 Tagen dreimal so hoch wie bei anderen Erkrankungen (z.B. des Bewegungsapparates oder des Immunsystems) mit zwölf Tagen.

Das dabei häufig auftretende Burnoutsyndrom beschreibt jenen Zustand, bei dem Menschen so erschöpft oder „ausgebrannt“ sind, dass sie zu einem normalen Leben kaum mehr fähig sind. Noch handelt es sich bei dem vergleichsweise jungen Phänomen um keine anerkannte Krankheit. Da Mediziner feststellten, dass die Symptome denen der Depression sehr ähnlich sind, tun sie sich schwer, Burnout als eigenständige Erkrankung zu definieren.

Psychische Erkrankungen sind außerdem die häufigste Ursache für krankheitsbedingte Frühberentungen. Zwischen 1993 und 2015 stieg der Anteil von Personen, die aufgrund seelischer Leiden frühzeitig in Rente gingen, von 15,4 auf 42,9 Prozent (Deutsche Rentenversicherung Bund 2016: 111). Gegenüber dem Jahr 2000 entspricht dies einer Steigerung der Fallzahlen um mehr als 40 Prozent. Im Vergleich zu anderen Diagnosegruppen treten Berentungsfälle wegen „psychischer Störungen und Verhaltensstörungen“ zudem auch noch deutlich früher ein; das Durchschnittsalter liegt bei 48,1 Jahren (Deutsche Rentenversicherung 2014: 24).

Die volkswirtschaftlichen Folgen all dieser genannten Aspekte sind natürlich immens, Tendenz steigend.

Der klassische Arbeitsschutz stellte bislang zwar die den Körper gefährdenden Aspekte von Arbeit in den Vordergrund, aber im Jahr 2013 wurde § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) endlich dahingehend präzisiert, dass auch die auf die Psyche wirkenden Belastungen der Arbeit zu ermitteln und zu beheben sind. Die Verantwortung der Einhaltung und Umsetzung liegt dabei hier klar aufseiten der Arbeitgeber.

Natürlich gibt es aber auch diejenigen Fälle, wo es gerade die Möglichkeit des flexiblen, vernetzten Arbeitens ist, die die Ausübung des Jobs attraktiv oder auch überhaupt erst möglich macht. Wenn Vereinbarkeitsthemen mitschwingen, helfen diese Angebote und die Beschäftigten, denen dies ermöglicht wird, nutzen sie gern. Der aktuelle D21 Digital Index 2018/2019 (Initiative D21 2019) kommt zu dem Ergebnis, dass 37 Prozent (und sogar 71 Prozent der in Bürojobs tätigen Menschen) meinen, dass digitales Arbeiten die Chance bietet, Arbeitsund Privatleben besser miteinander in Einklang bringen zu können. Nach getaner Familienarbeit wird zu Ende gebracht, was auf dem Schreibtisch liegen blieb, oder nachgeholt, wozu man im hektischen Büro nicht kam. Ruhepausen oder Zeiten ohne direkte Zusammenarbeit verwaschen so zu weniger arbeitsintensiver Zeit und der Feierabend wird – nach einem Ortswechsel – nur verschoben.

Dennoch geben 49 Prozent der Befragten (und nicht nur diejenigen, die sagen, dass sie bereits mobil arbeiten) an, dass zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten auch zur Steigerung ihrer Arbeitsqualität beiträgt.

Entgrenzte Arbeit = grenzenlose Arbeit?

Wer sollte die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen tragen? Wem können wir – ganz´in vertrauter Manier – „die Schuld in die Schuhe schieben“? Den Führungskräften, die nicht bemerken, dass Arbeit heute komplexer, schneller und voraussetzungsvoller ist? Den (endlich) flexibel, selbstbestimmt und gefühlt ständig arbeitenden Beschäftigten, die wissen, dass sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mehr an den bis 17 Uhr zur Verfügung stehenden Rechner gebunden sind? Den schweigsamen und geduldigen Betriebsärzten? Oder womöglich den besonders Arbeitswütigen, die das Gesamtbild verzerren? Muss überhaupt irgendjemand die Verantwortung übernehmen?

Ich vertrete die Auffassung, dass wir ein gesundes Verhältnis von neuer Arbeit und Gesundheit genauso erlernen und verinnerlichen müssen, wie auch die Unternehmen lernen müssen, dass das Angebot, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten, eine Möglichkeit darstellt, aber keine Verpflichtung. Wir selbst müssen in der Lage und willens sein, den Ausknopf zu drücken und die Arbeit zu beenden und uns die Pausen zu nehmen, die wir zuvor auch zur Regeneration benötigt haben. Diese werden in Zeiten ständiger Erreichbarkeit sowie steigender Geschwindigkeit und Komplexität nämlich nicht kürzer.

Faktisch fallen die tatsächlich arbeitsfreien Zeiten bei den meisten digital Arbeitenden kürzer aus. Sie schauen außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeit in die E-Mails, sie verfassen auch abends noch Tweets und Posts, sie bearbeiten gerade noch die eine Sache zu Ende, die sie im Büro nicht geschafft haben. Dazu hat man doch das Notebook schließlich dabei …

Wir lassen uns treiben und werden zu Getriebenen.

Einen bewussten, gesunden Umgang mit unserer neuen Freiheit zu pflegen, ist Aufgabe eines jeden Einzelnen und alle Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Gesetzgebung sind wertlos, wenn wir uns nicht selbst regulieren wollen, bewusst das Arbeitsende festlegen und uns auch daran halten.

Führungskräfte und Chefs bemerken das Ausmaß der digitalen Erschöpfung oft erst dann, wenn Mitarbeiter sich mit längeren Ausfallzeiten krankmelden und bei ihrer Mitarbeitervertretung oder dem Betriebsarzt nach BGMMaßnahmen wie Resilienz und Stressbewältigung fragen. Oder wenn der Bedarf an Maßnahmen der betrieblichen Wiedereingliederung steigt und es dabei nicht mit der Neuanschaffung eines ergonomischen Schreibtischstuhls oder eines höhenverstellbaren Schreibtisches getan ist. Maßnahmen der modernen betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung sollten auf den Abbau übermäßiger psychosozialer Belastungen fokussiert sein und beispielsweise dabei unterstützen, chronischen Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen und Überforderung abzubauen.

In einer Arbeitswelt, in der die Berufswahl vor allem durch Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Leidenschaft bestimmt ist, liegt ein enormes positives Potenzial für unsere Gesundheit: Wer in eigener Verantwortung selbstbestimmt und achtsam Energie und Ressourcen einteilt, der reduziert das Risiko des eigenen Ausbrennens erheblich. Wenn es gelingt, die persönlichen Grenzen richtig zu setzen, wird nicht nur die Möglichkeit des „Ausbrennens“ reduziert, sondern dann können erst recht alle Vorteile und Potenziale mobiler, flexibler, selbstbestimmter Arbeit voll ausgeschöpft werden, ohne dass Nachteile entstehen.

Denn es bleibt dabei: Arbeit bestimmt unser Leben und unseren psychischen Zustand wesentlich. Und nach wie vor sind – trotz aller Kritik an den Belastungen der Arbeitswelt – arbeitende Menschen in der Regel zufriedener und gesünder als Menschen ohne Arbeit. Arbeit wird immer Teil des Lebens bleiben, nicht das Gegenteil davon, denn sie stiftet Selbstbestätigung und Anerkennung.

Fazit

Es kommt also nicht von ungefähr, dass sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit der Beschäftigten in der modernen Arbeitswelt zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt und dass eine gesundheitsorientierte Betriebsführung Einzug in die Denkweisen der Unternehmen hält: Gesundheit wird zu einer der wichtigsten Unternehmensressourcen und die Erhaltung von Arbeitsfähigkeit zu einer der Hauptaufgaben von Human Resources, Führung und Beschäftigten.

Die alternde Belegschaft und der sich abzeichnende Fach- und Führungskräftemangel wird dazu führen, dass Unternehmen die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit von Beschäftigten gezielt fördern und den respektvollen und achtsamen Umgang mit ihrer Gesundheit erlernen und sicherstellen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass damit jegliche Verantwortung abgegeben ist, im Gegenteil. Das Gesundheitsinteresse ist (vor allem) aufseiten der (jüngeren) Beschäftigten mindestens genauso angesiedelt wie auch erwünscht und die Gesundheitsfürsorge ist nicht mehr nur primär eine unternehmerische Aufgabe, sondern ein individuelles Anliegen, für das jeder eigenverantwortlich Sorge zu tragen hat.

Wir stehen auf der Schwelle zur Industriegesellschaft 4.0. und alle Beteiligten sind aufgefordert, mit vereinten Kräften diesen Wandel zu gestalten. Es braucht Gesundheit, Wissen, Qualifikation Kompetenz und Motivation und vieles hängt davon ab, kreative Potenziale freizusetzen, Innovationen zu ermöglichen und so mehr Effizienz und Exzellenz zu erreichen. Wenn uns das gelingt, kann Arbeit wieder die Aufgabe übernehmen, die ihr aus gesellschaftlicher Perspektive zukommt: Sinn stiften, Anerkennung geben, Zugehörigkeit vermitteln,
Existenz sichern.

Quellen und Links:
➥ Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.) (2016).
Rentenversicherung in Zeitreihen. Ausgabe 2016. Berlin.
➥ Deutsche Rentenversicherung (2014). „Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung zur Bedeutung
psychischer Erkrankungen bei der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung“. (Download 1.3.2019).
➥ Initiative D21 (Hrsg.) (2019). D21 Digital Index 2018/2019. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft.
➥ Knieps, Franz, und Holger Pfaff (Hrsg.) (2016). Gesundheit und Arbeit. Zahlen, Daten, Fakten. BKKGesundheitsreport 2016. Berlin.

Über die Autorin

Anke Hoffmann ist für die Bertelsmann Stiftung im Programm Unternehmen in der Gesellschaft als Project Managerin im Team „Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung“ tätig. Im Anschluss an das Projekt „INQA-Audit Zukunftsfähige Unternehmenskultur“ liegt ihr Schwerpunkt nun auf der #ZukunftderArbeit und der digitalen Transformation, sowie deren Auswirkungen auf betriebliche Arbeitskontexte. Sie vertritt ebenfalls den Bereich der Vereinbarkeit eines gesunden Lebens mit den neuen Formen der Arbeit 4.0. Sie studierte in Rostock und Bielefeld Soziologie und Sozialpsychologie sowie jüngst Angewandte Gesundheitswissenschaften.

Quelle: ZukunftderArbeit

01 November 2019

Morning Star – Manage yourself

Posted in Führung, Leadership, Mind

Weder Management noch Hierarchie - funktioniert das?

Morning Star – Manage yourself

Wer hätte sich jemals vorstellen können, dass Kutschen ohne Pferde fahren können? Oder dass Smartphones den Wecker, den Kalender, die Wettervorhersage, den Plattenspieler und den Taschenrechner überflüssig machen würden? Oder dass Algorithmen Gedichte, Romane und Drehbücher schreiben sowie E-Mails beantworten und die Bewerbungen in Unternehmen filtern?

Morning Star Company – Weder Management noch Hierarchie

Es gibt Unternehmen, die machen Dinge, von denen niemals jemand geglaubt hätte, dass sie funktionieren könnten – bis sie tatsächlich realisiert wurden. Ein Tomatenverarbeiter in Kalifornien beispielsweise, der Tomatenpaste für Pizza & Co. herstellt, schaffte kurzerhand das Management ab. In dem Unternehmen gibt es keine Hierarchie und keine Chefs.

Im Umkehrschluss: Niemand nimmt einem Mitarbeiter die Verantwortung ab oder trifft für ihn die Entscheidungen.

Die Mitarbeiter handeln mit ihren Kollegen selbst Verträge aus. Was sie für ihre Arbeit an Maschinen oder Material benötigen, bestellen sie selbst – und nicht eine Einkaufsabteilung. Das Unternehmen besteht auf diese Weise aus lauter Mini-Unternehmen, jeder Mitarbeiter ist völlig autonom in seinen Handlungen: Er bestimmt, was er genau tun will, wie er mit seinen Kollegen kommunizieren und sich koordinieren will, was er mit den Lieferanten oder Kunden aushandeln will. Die Mitarbeiter haben kurzerhand auch alle Managementaufgaben übernommen.

Es gibt keine Stellenbeschreibungen, keine Anweisungshandbücher und Organisationsrichtlinien keine von oben verordneten Zielvorgaben. Alle Zuständigkeiten und die komplette Arbeitsteilung werden zwischen den Mitarbeitern direkt ausgehandelt.

Soziale Kontrolle ersetzt hierarchische Kontrolle

Das heißt aber nicht, dass einfach jeder macht, was ihm in den Kram passt. Die Kollegen haben ja selbst auch Bedürfnisse, Ziele, Wünsche und Gepflogenheiten. Wenn da einer wie die Axt im Walde auf die eigene Rechnung holzen würde, würde er sich ruckzuck in der freien Wildnis wiederfinden. Die soziale Kontrolle ersetzt die hierarchische Kontrolle von Vorgesetzten. Und das ziemlich effektiv.

Diese Art der Organisation ohne jegliche Hierarchie widerspricht völlig dem, was wir aus der Erfahrung der letzten hundert Jahre als „normal“ empfinden. Aber wer weiß, vielleicht ist das die Organisationsform der Zukunft. Sie hat nämlich einige spürbare Vorteile:

  • Keine politischen Spielchen nach dem Stromberg-Muster.
  • Mehr Selbstbestimmung und damit weniger Stress.
  • Mehr Initiative und intrinsische Motivation.
  • Hohe Loyalität und Mitarbeiterbindung.
  • Mehr Interesse an Weiterbildung und damit mehr Kompetenz.
  • Kurze Wege und schnelle Entscheidungen.
  • Große Flexibilität und Veränderungsbereitschaft.

Na, klar es gibt auch Nachteile. Nicht jedem liegt es beispielsweise, so viel Verantwortung zu tragen. Und neue Mitarbeiter brauchen lange, bis sie sich eingewöhnt haben.

Kleine Klitsche? Weit gefehlt …

Aber es gibt ein verblüffendes Faktum, das uns alle zum Nachdenken bringen sollte, ob es nicht an der Zeit ist, die „alte“ Art ein Unternehmen zu führen zumindest zu überdenken und zu modifizieren: Bei dem Unternehmen handelt es sich nicht etwa um eine kleine experimentelle Klitsche, sondern um die Morning Star Company – und das ist der größte Tomatenverarbeiter der Welt, der mit 400 Mitarbeitern über 1000 Tonnen Tomaten pro Stunde (!) verarbeitet, einen Umsatz von über 700 Millionen US-Dollar pro Jahr macht und jedes Jahr zweistellig wächst.

Über die Autorin

Anja Förster ist Autorin, Unternehmerin, Vortragsrednerin und Gründerin der Initiative Rebels at Work. Sie stiftet Menschen dazu an, sich dem Konformismus, Festklammern und Stehenbleiben zu widersetzen. Denn unsere Gesellschaft und Wirtschaft brauchen mehr mutige Gestalter, die sich etwas trauen. Menschen, die voranschreiten, Neues ausprobieren, anstatt auf Erlaubnis warten.

Ihre Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden und auf den Bestsellerlisten von Spiegel, Manager Magazin und Handelsblatt zu finden. Ihr Newsletter erreicht alle zwei Wochen 32.000 Leser.

Quelle: Xing-Insider

11 Oktober 2019

Digital Fitness – mit dem Menschen im Mittelpunkt

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Beitrag von Yvonne Benkert in "Zukunft der Arbeit"

Digital Fitness – mit dem Menschen im Mittelpunkt

Digital Upskilling heißt das Zauberwort: Bei PricewaterhouseCoopers (PwC) trägt die digitale Qualifizierung der Belegschaft unmittelbar zum Geschäftserfolg bei. Das berichtet Yvonne Benkert,Director Human Capital, Change Transformation, Assurance der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Für uns beschreibt sie Strategie, Methoden und vier essenzielle Learnings.

Zentrale Zukunftskompetenz ist die Lernagilität

Bei uns hat die digitale Qualifizierung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oberste Priorität. Mit unserer Digital Fitness App setzen wir auf Gamification und individuelles Lernen. Überall in unserer Gesellschaft ringen wir darum, den Wert von Daten zu erschließen, Geschäftsprozesse zu verbessern und für Bürger, Kunden und Mitarbeiter sowohl auf Menschen zentrierte als auch digitale Erfahrungen und Erlebnisse zu kreieren. Für diesen digitalen Wandel braucht es eine neue Art zu denken. Denn Arbeit wird zunehmend agil und flexibel. Lernagilität ist die vielzitierte Zukunftskompetenz. Sie zeichnet Menschen aus, die sich Neuem gegenüber öffnen, Veränderungen mittragen und mitgestalten, neue Fähigkeiten eigenverantwortlich lernen und sich im Kopf flexibel zeigen.

Digitales Denken in der Belegschaft etablieren

Damit neue Geschäftsmodelle und Innovationen entstehen, braucht es etabliertes digitales Denken in der Belegschaft. In jedem Unternehmen muss dabei individuell überlegt werden, welche Bereiche in welchem Maße weitergebildet werden sollen.

Entscheidend für die digitale Ausbildungsstrategie sind zwei Faktoren: die angestrebten Entwicklungsziele und der Grad der digitalen Transformation, den das Unternehmen bereits erreicht hat. Sind die Organisationen digitale Anfänger, die gerade erst beginnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen? Sind sie bereits Follower oder Innovatoren, die das eigene Geschäftsmodell bereits hinterfragen? Oder sogar digitale Champions, die disruptiv den Markt verändern?

Persönlicher Austausch bleibt ein wichtiger Baustein

Zur Verfügung stehen unterschiedliche Lerninhalte auf vielen verschiedenen Kanälen – gedruckte Unterlagen, E-Learning, Tutorials. TED-Talks, etc. Das Spektrum ist groß. Auch hier gilt es, Inhalte und Kanäle abgestimmt auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuwählen. Auch zwischenmenschliche Beziehungen sind ein sehr wichtiger Baustein in Lernprozessen.

Teams erarbeiten Einsatzgebiete gemeinsam

Eine gute Herangehensweise für digitale Fortbildung ist ein erstes persönliches Treffen von Interessierten und Experten zu einem spezifischen digitalen Thema wie zum Beispiel künstliche Intelligenz oder Drohnen. In Teams können mögliche Einsatzgebiete gemeinsam erarbeitet und erste Prototypen erstellt werden. Sie entwickeln etwa Ideen, wie der Einsatz von Chatbots die Kundenbetreuung im Unternehmen verbessern kann. Lerninhalte und erste Anwendungen können den Teams oder anderen Interessierten in der Organisation anschließend per Telefon- oder Videokonferenz, Chat oder in einer Internet-Community zur Verfügung gestellt werden.

Experimentieren erlaubt

Wichtig ist jedoch, dass weiterhin in regelmäßigen Abständen persönliche Sessions stattfinden. Wenn Mitarbeiter eine neue Technologie oder Methode wie Scrum oder Design Thinking erlernt haben, müssen sie sich anschließend austauschen und experimentieren dürfen.

Bereit sein zu lernen – ein Leben lang

Zur Wahrung der Employability ist es die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich bewusst für ihre digitale Weiterbildung zu entscheiden und natürlich Zeit und Mühe in neues Wissen und neue Fähigkeiten zu investieren. Lebenslanges Lernen ist hier das Stichwort.

Als Unternehmen und Führungskräfte ist es unsere Aufgabe, Investitionen hierfür anzustoßen und idealerweise alle Menschen in der Organisation auf die digitale Reise mitzunehmen.

Das Ziel: digitale Fitness durch breit angelegtes Wissen

Bei PwC haben wir eine umfassende Strategie zur Weiterbildung all unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt. Damit stärken wir ihre „digitale Fitness“. Wir zielen auf breites Wissen auf zahlreichen Gebieten ab, wie etwa Datenanalyse, künstliche Intelligenz, Automatisierung, Blockchain oder Design Thinking. Digitale Fitness bauen wir durch technologiegestütztes Lernen auf. Wir nutzen Podcasts, Gamification, virtuelle Realität, Multimediainhalte und Quiz, die über mobile Plattformen laufen und nicht durch einen Seminaraum begrenzt werden.

App bietet individuellen Lernpfad und Spaß

Zudem haben wir eine Digital Fitness App entwickelt, die den digitalen Sachstand jedes Mitarbeiters über einen Score erhebt. Basierend auf dem individuellen Score erhält der User Lernempfehlungen und Lernressourcen, um sein Wissen zu erweitern und sich selbst zu verbessern. Die App bietet einen individuell zugeschnittenen Lernpfad, der auf den eigenen Lernpräferenzen beruht: bin ich eher ein visueller Lerntyp, erhalte ich Videovorschläge, Mindmaps und Grafiken? Lernen ist damit jederzeit und überall möglich und macht Spaß!

Beschleuniger für das Team: der Digital Accelerator

Aktuell arbeiten wir daran, fortgeschrittene Digitalkenntnisse über alle Teams hinweg bei PwC zu verankern. Eine wichtige Rolle spielen dabei unsere sogenannten Digital Accelerators. Diese digitalen Beschleuniger sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Fähigkeiten in Fachgebieten wie Datenanalyse, digitales Storytelling oder Automatisierung schnell vertiefen und ihr Wissen an die Teams weitergeben. Ziel ist es dabei, Prozesse und Abläufe zu vereinfachen, aber auch neue Ideen für unsere Kunden zu testen. Zeit zum Lernen, zur Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen und zur Anwendung des Erlernten freizuhalten, ist dabei besonders wichtig und muss in der Entwicklung dieses Programms berücksichtigt werden.

Summer Cup: Die besten Ideen aus dem Unternehmen prämieren und umsetzen

Apropos neue Ideen: im Rahmen des jährlichen Summer Cups rufen wir unsere Belegschaft auf, über den Sommer kreativ zu werden und digitale Ideen zu „Simplify the business“ zu erarbeiten: vom simplen Einzeiler bis hin zum ausgearbeiten Konzept sind alle Ideen bei uns herzlich willkommen. Nachdem die Vorschläge auf unserer Online Plattform eingegangen sind, können alle Mitarbeiter ihre Favoriten wählen und die Top 10 Ideen werden prämiert und natürlich auch umgesetzt.

Learnings auf der digitalen Reise

Auch wir sind noch lange nicht am Ende der digitalen Reise angekommen, aber einige Learnings wollen wir zum Digital Upskilling bereits teilen:

  • Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt, wenn es um die Entwicklung von Programmen und Angeboten zur digitalen Weiterbildung geht. Denn jeder ist verschieden und hat unterschiedliche Bedürfnisse.
  • Nutzen Sie Lernressourcen, die attraktiv sind und Lernen flexibel macht.
  • Belohnen Sie neue Fähigkeiten: let’s party.
  • Schaffen Sie Freiräume, damit Lernen überhaupt möglich ist.


Digital Upskilling wirkt sofort positiv

Bei PwC trägt das Digital Upskilling unmittelbar zum Geschäftserfolg bei. Und sie liefern bereits erste Ergebnisse: effizienteres Arbeiten, aber auch veränderte Erfahrungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Über die Autorin

Yvonne Benkert, MBA und Diplom-Psychologin, ist verantwortlich für Human Capital, Change & Transformation im Prüfungsbereich (Assurance) der PricewaterhouseCoopers GmbH.

Quelle: ZukunftderArbeit

04 Oktober 2019

Warum uns die Digitalisierung menschlicher macht

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Artikel von Rosa Riera in "ZukunftderArbeit"

Warum uns die Digitalisierung menschlicher macht

„Wandel war noch nie so schnell und er wird nie wieder so langsam sein.“ So der Journalist Graeme Wood. Und er liegt richtig. Denn bedingt durch die Digitalisierung, finden weltweit in Politik, Gesellschaft und in der Wirtschaft weitreichende und komplexe Veränderungen statt. Ein Ende der Beschleunigung ist nicht zu erwarten.

Was haben die einen, was den anderen fehlt?

Ich beschäftige mich oft mit der Frage, ob und wie wir mit dieser Beschleunigung Schritt halten können. Manche Menschen haben scheinbar kein Problem mit dieser Beschleunigung, während andere deutlich darunter leiden oder resignieren.

Auf der Suche nach möglichen Antworten bin ich auf eine vor kurzem veröffentlichte Liste des WEF gestoßen, die die zehn wichtigsten Fähigkeiten benennt, die benötigt werden, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft erfolgreich zu sein. Laut WEF sind die top drei der wichtigsten Kompetenzen das „lösen komplexer Probleme“, „ kritisches Denken“ und „Kreativität“.

Mit dem „lösen komplexer Probleme“ können sich sicherlich viele, vor allem in der Ingenieursnation Deutschland, identifizieren. Kritisches Denken und Kreativität erfordern jedoch oft, bewährtes in Frage zu stellen und sich somit auf unsicheres Terrain zu begeben. Das fällt nach wie vor vielen eher schwer, bietet jedoch auch eine enorme Chance.

Welche Formen der Beschäftigung werden wir zukünftig als Arbeit bezeichnen und wie werden wir diese entlohnen?

Denn die Digitalisierung verkürzt die Halbwertszeit unseres Wissens, unserer Kompetenzen, unserer Prozesse und unserer Organisationsmodelle radikal. Das bedeutet, dass kontinuierliches Lernen und Umgestalten nicht mehr nur eine Option, sondern ein Muss sind. Was sich zunächst anstrengend anhört bedeutet jedoch, dass wir deutlich mehr Chancen auf Weiterentwicklung oder sogar auf einen kompletten Neuanfang haben. Und so zwingt uns die digitale Transformation dazu, über Fragen nachzudenken, die heute zutiefst relevant sind.

Welche Funktion hat Arbeit in der Gesellschaft? Warum wird eine gute Unternehmenskultur immer stärker zum Erfolgsfaktor? Wie können wir Kompetenzen, die für die Zukunft relevant sind, vermitteln? Wie können wir Bildung skalieren und sie dennoch personalisieren? Welche Rahmenbedingungen machen uns zukunftsfähig und welche bewahren Konzepte, Prozesse und Systeme, deren Zeit bereits abgelaufen ist? Und welche Formen der Beschäftigung werden wir zukünftig als Arbeit bezeichnen und wie werden wir diese entlohnen?

Es geht im digitalen Zeitalter nicht primär um die Technologie, sondern vor allem darum wie wir eine digitale Welt für uns gestalten wollen.

Diese Fragen drehen sich sehr stark um menschliche Bedürfnisse nach einer guten Gemeinschaft, nach persönlicher Weiterentwicklung, nach Sinnhaftigkeit und nach Respekt.

Für diese Fragen gibt es keine fertigen Antworten. Und sie werden auch nicht nur von einer kleinen Gruppe von Menschen hinter verschlossenen Türen beantwortet werden können, denn durch die Digitalisierung entsteht ein immer größeres Bedürfnis nach nachvollziehbaren Prozessen und Partizipation. Wir alle müssen also gemeinsam zu Antworten auf diese Fragen kommen und zwar in einem Prozess der Co-Creation. Wir werden beim Versuchen und Ausprobieren den ein oder anderen Fehler machen und dabei viel lernen und auf Ideen kommen, die heute undenkbar sind. Wichtig ist, dass wir für diesen Prozess offen sind, den Dialog am Leben erhalten und uns trotz der Anstrengungen, die dieser Prozess von allen erfordert, die Lust auf Zukunft nicht nehmen lassen.

Die heutigen Berufsanfänger haben dies begriffen und integrieren dies bereits in ihre Lebensplanung: Die wichtigsten Faktoren, nach denen Kandidaten ideale Arbeitgeber auswählen, sind u.a., ob das Unternehmen an relevanten Themen arbeitet und kulturell zu einem passt, ob es ansprechende Möglichkeiten bietet, um sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, und ob es einem ermöglicht, sein Privatleben mit dem Berufsleben in Einklang zu bringen.

Auch wenn diese Forderungen und Ideen für Unternehmen zunächst einmal als herausfordernd gesehen werden und sich einige schwer tun diese umzusetzen, bin ich davon überzeugt, dass es höchst relevante Fragestellungen sind und dass diese Generation nicht nur sich selbst, sondern uns allen einen großen Gefallen getan hat, in dem sie diese Themen adressiert hat.

Es geht also im digitalen Zeitalter nicht primär um Technologie, sondern darum, wie wir diese digitale Welt für uns gestalten wollen. Wir sind ohnehin nicht mehr in der Lage, mit Maschinen zu konkurrieren. Es wird daher Zeit, dass wir uns auf unsere „Kernkompetenz“ als Mensch besinnen und uns in Zukunft darauf spezialisieren.

Über die Autorin

Rosa Riera ist bei Siemens AG zuständig für Employer Branding und Social Innovation

Quelle: ZukunftderArbeit

16 August 2019

Selbst aktiv werden für den Digitalen Wandel

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Artikel von Thomas Haskamp, Muriel Boukaz in "Zukunft der Arbeit"

Selbst aktiv werden für den Digitalen Wandel

Diesmal stehen nicht die Führungskräfte im Fokus, sondern Kolleginnen und Kollegen. Zum Thema Digitaler Wandel vertreten unsere Autoren nämlich die These: „Oft scheitert die angestrebte Transformation in den großen KMU oder Konzernen nicht an den Chefs, sondern an Mitarbeitern.“ Notwendig sei ein Wechsel vom Reaktions- in den Aktionsmodus.

Liegt es wirklich immer an den Anderen?

Kennen Sie das? Der Kollege*, der sich dauernd beklagt? Irgendetwas ist immer unpassend beziehungsweise es gibt immer einen Grund, sich aufzuregen. Die Kaffeemaschine läuft mal wieder nicht, das Kantinenessen ist ungenießbar und aufgrund des Missmanagements Anderer sind die daraus resultierenden Überstunden auch eine Frechheit. Gleichzeitig kriegt die Geschäftsleitung die Transformation – natürlich – nicht hin und steuert das Unternehmen ohne Plan. Und die eigenen Projekte? – Entwickeln sich aufgrund der mangelnden Offenheit des Projektpartners einer anderen Abteilung auch negativ.

Wir alle kennen diese Kollegen, und falls wir sie nicht kennen: Sind wir es vielleicht selbst? Immer sind es die Anderen und einem selbst sind die Hände gebunden. Ist dem wirklich so?

Die Argumente

Wir denken: nein! Oftmals scheitert die angestrebte Transformation in den großen KMU oder Konzernen nicht an den Chefs, sondern an Mitarbeitern. Das kommt jetzt vielleicht etwas überraschend, aber wir führen unsere Argumentation gern aus:

Den Angestellten geht es zu gut!

#1: Wohlfühloase: Den Angestellten geht es zu gut! Gut dotierte Tarifverträge führen in der Regel dazu, wenig Risiko einzugehen für den Fall, dass Projekte doch nicht so erfolgreich verlaufen. Viele Mitarbeiter und Unternehmen kommen aus sehr erfolgreichen Zeiten, die sich auch in dem Wohlstand der Mitarbeiter ausdrücken. Unternehmerisches Denken ist dabei bei vielen leider unter die Räder gekommen.

Komplexe Strukturen erleichtern ein Versteckspiel

#2: Träge Unternehmenskultur: Die Unternehmenskultur wurde in den letzten 30 Jahren träge. Die Strukturen sind teilweise so komplex, dass es für gewisse Mitarbeiter einfach geworden ist, sich dahinter zu verstecken. Viele fragen sich, was die ganzen Leute eigentlich machen und was ihr Beitrag zur Wertschöpfung ist. Darüber hinaus haben viele von “wegdelegierten” Mitarbeitern gehört, die eigentlich keine Aufgabe mehr haben und auf die Rente warten.

Veränderung war tendenziell von Nachteil

#3: Bildungssystem: Die Menschen, die aktuell/derzeit in den Organisationen arbeiten, haben vielfach nicht die Förderung bekommen, die man heute über die Bildungsorganisationen erfährt. Kritisches Denken wurde bestraft, Veränderung war tendenziell nachteilig. Am Ende des Bildungs- beziehungsweise Ausbildungssystems war man froh, einen Job bekommen zu haben.

Wie umgehen mit den neuen Möglichkeiten?

#4: Neue Freiheit: Viele Menschen sitzen in ihrem Job, weil sie in diesen hineingewachsen sind. Nach der Schule hat man die Ausbildung im Betrieb nebenan gemacht und von da aus ist man mit dem Unternehmen gewachsen. Reflektierte Berufswahl war da ein Luxus. Dies ist in der heutigen Gesellschaft, in der einem scheinbar alle Optionen offen stehen, anders.

Wenige stehen für eine Sache ein

#5: Aufwand: Die Unternehmenskultur wurde in den letzten 30 Jahren träge. Risiko wird gescheut. Nur wenige stehen für eine Sache ein, weil alle wissen: Wer sich exponiert, hat grundsätzlich mehr zu tun, und das möchte keiner. Wenn es schief geht, ist man auch noch der Dumme!

Gegen den „Wahnsinn“: Weshalb ein Paradigmenwechsel nötig ist

Der beschriebene „Wahnsinn“ liefert vielleicht den einen oder anderen Erklärungsansatz für die Probleme von großen Mittelständlern oder Konzernen. Aus unserer Sicht legitimieren die Erklärungen das Verhalten vieler Angestellter jedoch nicht. Deshalb fordern wir einen Paradigmenwechsel vom Reaktionsmodus in den Aktionsmodus. Warum sich das lohnt?

Von Teilhabe bis Selbstverwirklichung

#1:Arbeit kann glücklich machen: Arbeit und Glück? Was für einige vielleicht zynisch klingt, kann sehr sinnstiftend sein, denn Arbeitszeit ist auch Lebenszeit. So lassen sich mit Arbeit neben dem bloßen Broterwerb längst auch ganz andere Ziele erreichen/verwirklichen! Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Anerkennung für das eigene Tun, sozialer Austausch und eben für viele auch Selbstverwirklichung! Und darin sehen wir eine große Chance!

Die Komfortzone verlassen

#2: Persönliche Weiterentwicklung: Ungewissheit, wie beispielsweise der Beginn eines neuen Projekts, bedeutet vielleicht erst einmal Aufwand und macht Angst. Wie reagieren die Kollegen auf meine Idee? Was meint der Chef? Alles Fragen, die zum Nachdenken anregen. Gleichzeitig sind solche Fragen mit der Chance verbunden, etwas Neues zu lernen. So beginnt persönliche Entwicklung außerhalb der eigenen Komfortzone. Dabei muss es nicht immer gleich die Weltreise sein. Man kann auch im Unternehmensalltag ohne teure Weiterbildungsseminare den eigenen Horizont erweitern.

Ein neuer Typ Mensch ist gefragt

#3: Andere Wirtschaft – andere Menschen: Die Wirtschaft wandelt sich. Alles wird digitaler, schneller – anders! Das braucht auch einen neuen Typ „Mensch“. Dieser Mensch muss lernen, mit den Veränderungen umzugehen. Das heißt nicht nur, sich mit diesen Veränderungen auseinanderzusetzen, sondern diese aktiv in die Hand zu nehmen und zu gestalten.

Unternehmen mit hoher Autonomie sind erfolgreicher

#4: Money, Money, Money: Unternehmen mit engagierten Mitarbeitern outperformen andere Unternehmen. Unternehmen mit einer hohen Autonomie sind nicht nur finanziell erfolgreicher; die Mitarbeiterzufriedenheit ist auch deutlich höher und die Unternehmen gelten als attraktive Arbeitgeber. Es lohnt sich also auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive, engagiert zu sein.

Am größten Stellhebel ansetzen – den Mitarbeitern

Viel wurde schon über “die da oben” geschrieben, über die unfähigen Führungskräfte, die endlich etwas bewegen oder verändern sollen. Das Thema bestreiten wir auch nicht, fragen uns aber: Was ist eigentlich mit der großen Masse? Schließlich sind die Mitarbeiter doch in vielen Unternehmen die wichtigste Ressource! Wenn dem so ist, bilden sie gleichzeitig den größten Stellhebel. Und so ist auch das Anliegen dieses Beitrags, einen Perspektivenwechsel zu schaffen.

Wie Führungskräfte reagieren

Die Annahme, dass dieses von vielen Führungskräften nicht erwünscht ist, möchten wir an dieser Stelle bewusst herausfordern. Aus unserer Sicht beruht diese Annahme häufig eher auf einer verstörenden Einzelerfahrung und muss überwunden werden. Vielfach ist die Reaktion auf eine neue Idee/Arbeitsweise/Projekt sogar positiver als gedacht und es finden sich direkt Unterstützer.

Selbst aktiv werden

Es ist also an der Zeit für einen Wandel. Statt immer nur zu warten, bis andere aktiv werden: Nehmt das Heft des Handelns in die eigene Hand!

Über die Autoren:

Thomas Haskamp studiert aktuell im Master of Arts in Business Innovation an der Universität St. Gallen (HSG). Er absolviert diesen als Double Degree in Kombination mit einem Master of Organisational Change & Consulting an der Rotterdam School of Management (RSM) . Vor diesem machte er seinen Bachelor in BWL/E-Business an der Leuphana Universität Lüneburg. Er sammelte Praxiserfahrungen im Mittelstand, Konzernen und der Beratung. In seiner Freizeit engagiert er sich für Fragen der Bildungsgerechtigkeit und reist sehr gerne.

Muriel Boukaz studiert momentan an der Universität St.Gallen (HSG) im Masterstudiengang Business Innovation. Zusätzlich arbeitet Sie in einem Schweizer KMU im Bereich Raumgestaltung und befasst sich dabei mit den Lern- und Arbeitswelten der Zukunft.

Voraus geht ein Bachelorstudium in Betriebswirtschaft, welches ebenfalls an der HSG absolviert wurde. Auslandaufenthalte in Brasilien, Frankreich und auf Weltreise bereichern Ihre multikulturelle Erfahrung. Beruflich hat Muriel Erfahrung bei einer Schweizer Grossbank und in der Unternehmensberatung gesammelt. In Ihrer Freizeit engagiert Sie sich in einem studentischen Verein, moderiert Veranstaltungen (u.a. Hannover Messe) und macht viel Sport.

Quelle: ZukunftderArbeit

05 Juli 2019

Mindfulness erobert die Unternehmen

Posted in Trends, Mind

Interview mit Jan Eßwein, dem Experten für Achtsamkeit im Business

Mindfulness erobert die Unternehmen

Bei großen und bekannten Unternehmen wie Google und McKinsey ist es schon passiert: Mindfulness hat sie erobert. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Begriff, wie können Unternehmen davon profitieren und womit kann man starten?

Um diese Fragen zu beantworten, durfte ich Jan Eßwein interviewen. Jan ist Speaker, Führungskräfte-Coach und Deutschlands meistgelesener Autor zum Thema Achtsamkeit. Seine frühen Veröffentlichungen und Trainings machen ihn außerdem zu einem Wegbereiter der Achtsamkeitsbewegung in Deutschland.

Viel Spaß beim Lesen!

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Mindfulness?

Mindfulness ist der englische Begriff für das Wort Achtsamkeit. Ich nutze am liebsten das deutsche Wort, denn das ist den meisten Menschen geläufiger.

Achtsam zu sein bedeutet mit der Aufmerksamkeit voll und ganz bei dem zu sein was Du tust oder erlebst. Achtsamkeit ist wie ein Scheinwerfer. Du kannst ihn auf Dich selbst richten, auf Dein Gegenüber oder auf Deine Umgebung, die Situation in der Du Dich befindest. Wenn Du achtsam bist, ist es als würdest Du innerlich einen kleinen Schritt zurücktreten. Aus diesem Abstand ist es leichter die Dinge klar zu sehen und Gelassenheit zu entwickeln.

Wie erklärst du Mindfulness einem Personaler der noch nie davon gehört hat?

Einerseits ist Achtsamkeit, also die Fähigkeit präsent zu sein und sich differenziert wahrzunehmen, eine Basiskompetenz. Sie bildet die Voraussetzung für eine gesunde Selbstführung und ist eine tragende Säule der Resilienz.

Andererseits ist es eine Haltung der Akzeptanz, des Respektes und der Wertschätzung.

Wenn Führungskräfte diese Haltung in ihrer Kommunikation zum Ausdruck bringen, stärken sie eine positive Beziehung zu ihren Mitarbeitern. Das senkt das Stresslevel der Mitarbeiter und damit die Krankenstände, führt zu stärkerer Mitarbeiter-Bindung und höherer Mitarbeiter-Zufriedenheit.

Wie bist du persönlich zu dem Thema gekommen?

Als ich achtzehn Jahre alt war starb ein enger Freund bei einem Unfall. Das hat mich stark ins Nachdenken darüber gebracht was ein gut gelebtes Leben ausmacht. Die Antwort war: „So bewusst wie möglich leben“. Den Weg dazu fand ich in verschiedenen Meditationstechniken. 1995, im Alter von zwanzig Jahren ging ich in mein erstes zehntägiges Schweige-Retreat in Indien. Diese Erfahrung veränderte grundlegend meine Sicht auf mich selbst. Der Weg der Achtsamkeit lies mich seitdem nicht mehr los.

Welche Rolle spielt Mindfulness in der heutigen Arbeitswelt?

Da sehe ich zwei thematische Achsen: Die erste spannt sich zwischen den Herausforderungen und den Potentialen der eigenen Tätigkeit.

Zu den Herausforderungen: Achtsamkeit hat, das ist wissenschaftlich nachgewiesen, eine stark stressreduzierende Wirkung. Das ist in der heutigen Arbeitswelt mit ihrer hohen Umdrehungszahl sowie der Informationsdichte ein wichtiger Aspekt und eine Fähigkeit die den meisten Führungskräften und Mitarbeitern von großem Nutzen ist.

Im Hinblick auf die Potentiale: Je genauer ich mich wahrnehme desto klarer spüre ich wo es mich hinzieht, wo ich aufblühe, was mein Herz zum schlagen bringt.

Ich kann dann Fragen besser beantworten wie: „Wo ist mein Sweet Spot? Wo bin ich am Besten? Wo erfahre ich den größten Sinn und kann gleichzeitig den bestmöglichen Beitrag innerhalb meiner Organisation liefern?“ Wer seinen Sweet Spot findet, der ist intrinsisch motiviert bis in die Haarspitzen, den muss man nicht mehr pushen, höchstens manchmal bremsen.

Die zweite Achse spannt sich zwischen den Polen von Kommunikation und Konzentration. Wann brauche ich einen anregenden Austausch mit einem Kollegen? Wann brauche ich fokussiertes, unterbrechungsfreies, tiefes Arbeiten an einem Thema? Wie stelle ich einen jeweils geeigneten Kontext her? Wer achtsam ist erkennt deutlicher, welche Bedingungen dafür dienlich sind.

Welche Chancen siehst du darin?

Ich sehe tatsächlich die Chance darin die Arbeit zu tun „die wir wirklich, wirklich wollen“ um mit Frithjof Bergmann, dem Begründer der New Work Bewegung zu sprechen. Zufriedener zu werden. Und zugleich produktiver.

Teile ein Beispiel aus deinem Arbeitsalltag, das andere zum Thema Mindfulness ermutigt.

Meetings mit meinen Mitarbeitern starte ich immer mit zwei Minuten Stille. Als Nächstes notiert sich jeder a, drei Dinge auf die er gerade stolz ist und b, die drei wichtigsten Dinge für die heutige Agenda. Unser Check-In startet damit, diese Punkte kurz mitzuteilen. Es hat sich bewährt, erstmal den Blick aufs Gesunde, Funktionierende, auf die Ressourcen zu lenken. Mit diesem positiven Gefühl im Rücken können wir die Aufgaben die vor uns liegen, viel leichter angehen.

Dein Tipp: Welche drei ersten Schritte sollte ein Personaler tun, um Mindfulness im Unternehmen zu etablieren?

Bevor Du einen Schritt tust ist es gut sich zu fragen: passt das Thema Achtsamkeit wirklich zu unseren gelebten Werten und unserer Kultur? Passt sie zur Suppe in der wir schwimmen? Wenn das nicht der Fall ist, kannst Du bestenfalls Einzelne unterstützen und die Implementierung wird zwangsläufig an der Oberfläche bleiben.

Falls Du die vorherige Frage mit ja beantworten kannst, ist es im ersten Schritt hilfreich Informationen mit dem Team zu teilen: Artikel, spannende Links, eigene Erfahrungsberichte um die Resonanz zu testen und Verbündete zu finden.

Mach Dir im zweiten Schritt bewusst, wen Du abholen musst. Gerade das Thema Achtsamkeit ist in manchen Köpfen noch mit einem Esoterik-Stempel versehen. In sehr kritischen oder stark kognitiv geprägten Zielgruppen ist es deshalb wichtig den Zahlen-Daten-Fakten Aspekt in der Kommunikation in den Vordergrund zu stellen und Vorbehalte von Anfang an passgenau zu adressieren.

Plane als Schritt Nummer drei Maßnahmen von Anfang an im Hinblick auf Transfer und Verankerung in der Organisation. Häufig sind dazu blended-learning Ansätze geeignet. Prüfe wo Ihr Achtsamkeit räumlich und in Ritualen wie zum Beispiel Meetings verankern könnt. Idealerweise sollten Bezugspunkte geschaffen werden durch die die Achtsamkeit immer wieder sichtbar und erlebbar wird. Fragt im Vorfeld Euer Management wie viel Achtsamkeit es in der Organisation denn sein darf. Ansonsten stoßen Eure Maßnahmen an eine Glasdecke.

Was kann jeder einzelne dafür tun?

Eine gute, weil wichtige Frage. In Asien wird für den Begriff Meditation das Wort Bhavana verwendet. Es bedeutet soviel wie „Üben, kultivieren, entwickeln“. Achtsamkeit ist eine Fähigkeit die geübt, entwickelt werden will, sonst bleibt es eine reine Formel.

Das geht auf zwei Wegen, die sich perfekt ergänzen: Zum einen die stillen Übungen der Atemmeditation oder des Bodyscans, die Du zu Hause anwenden kannst. Selbst fünf bis zehn Minuten am Tag sind wertvoll. Zum anderen die Praxis der Achtsamkeit im Alltag. Du kannst achtsam essen, Autofahren oder dem Gegenüber im Gespräch Deine volle Aufmerksamkeit schenken.

 

Über den Autor

Jurek MählerBereichsleiter Gesundheitsmanagement, B·A·D GmbH
INSIDER für New Work, Health, Performance

New Work als Chance zur Veränderung der Arbeitswelt! Welche Kompetenzen benötigen Mitarbeiter in Zukunft? Was können Unternehmen tun, um eine gesunde und leistungsfördernde Kultur zu schaffen? Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Sie werden auch von diesen Fragen angetrieben? Dann bleiben Sie hier!

Quelle: Xing Insider

 
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