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13 Dezember 2024

Mittleres Management: Zwischen Auslauf­modell und Transformations­beschleuniger

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Mittleres Management: Zwischen Auslauf­modell und Transformations­beschleuniger

Das mittlere Management ist oft Ziel von Kritik. New Work bringt nicht nur neue Arbeitsmethoden, sondern zugleich eine Identitätskrise für die ohnehin zwischen oben und unten schwer gelittenen mittleren Manager. Erste Konzerne beginnen, die Zahl ihrer Führungskräfte drastisch zu reduzieren. Warum die Rechnung nicht so einfach ist und es in der Transformation eine neue Definition des mittleren Managements braucht.

Die fetten Jahre sind vorbei. Alle reden davon, wie viel sich für Unternehmen in den letzten Jahren geändert hat und welche Herausforderungen heute bewältigt werden müssen: Bewährte Geschäftsmodelle werden von heute auf morgen obsolet. Neue Wettbewerber aus der ganzen Welt sind nur einen Klick entfernt und erhöhen den Druck auf langjährige Marktführer. Akronyme wie VUCA oder BANI beschreiben unsere Welt als chaotisch, brüchig, komplex – ja unbeherrschbar. Das führt vor allem zu einem: Es herrscht Unsicherheit in deutschen Unternehmen.

Diese Unsicherheit lähmt – und sorgt manchmal dafür, dass weniger Entscheidungen getroffen werden. Von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg. Von der Unternehmensspitze bis zum Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz. Irgendwo dazwischen: das mittlere Management. Diese Führungskräfte versuchen aus der Mitte heraus für ihre Abteilungen Antworten auf Fragen der Transformation zu finden und Entscheidungslücken zu schließen. Manchmal auf erfinderische Art und Weise, wenn Stakeholder für Vorhaben mühsam begeistert und inspiriert werden müssen. Doch gelingt das? Erschwerend kommt hinzu, dass den Männern und Frauen des mittleren Managements der Ruf als Bewahrer, Bedenkenträger und Verhinderer vorauseilt – und ihre Rolle zunehmend infrage gestellt wird.

Agilität ist nicht alles

Die Methoden von New Work befeuern diese Diskussion. Teams beginnen sich mehr und mehr selbst zu organisieren. Die Erwartungen nach Mitbestimmung sind gestiegen – und müssen erfüllt werden, will man bestehende und potenzielle Mitarbeiter nicht verlieren. Product Owner verantworten Ergebnisse, der Scrum Master den Prozess und agile Coachs unterstützen die Veränderung und dabei, sich an neue Methoden zu gewöhnen. Wer braucht da noch eine Führungskraft? Hierarchien machen ohnehin behäbig, so die weitläufige Meinung. Dabei ist die Mehrheit der meisten Unternehmen noch immer genau so aufgestellt: hierarchisch. Und dieser Widerspruch ist das Problem: Agile Teams – so effizient sie auch sein mögen – treffen vielerorts auf klassische, manchmal dysfunktional gewordene Grundstrukturen und Umfelder. Und so gibt es viele Unternehmen, in denen zwar erfolgreich auf Projektebene pilotiert wird, der echte Anschluss zwischen Agilität und der DNA des Unternehmens aber ausbleibt. Komplexität und Widersprüchlichkeit in Unternehmen nehmen damit weiter zu. Und wer vermittelt dann zwischen diesen beiden Welten? Genau: die Frauen und Männer der mittleren Führungsebene. Die, die es eigentlich nicht mehr brauchen sollte.

Schlüsselrolle in der Transformation

Klar ist: Wenn Führungskräfte sich kein klares Profil geben und sie ihren Mehrwert zum Bewältigen der vor den Unternehmen liegenden Herausforderungen nicht herausstellen können, sind sie auf dem besten Weg, sich selbst abzuschaffen. Zu verführerisch scheint es bei steigendem Kostendruck, hier den Rotstift anzusetzen. Dabei können mittlere Manager und Managerinnen insbesondere für die schweren Aufgaben der Transformation eine Schlüsselrolle übernehmen – und langfristig ein gutes Investment sein. Es gibt viele Gründe, die dafürsprechen. Mittlere Führungskräfte sind sehr nah an den schmerzenden Stellen in den Bereichen und können erkennen, was es für die Behandlung dieser braucht. Legt man das Wissen aller mittleren Führungskräfte zusammen, würde man einen sehr präzisen – einen unverfälschten – Blick auf ein Unternehmen und seinen Transformationsbedarf erhalten. Damit steckt im mittleren Management die Chance, ein Unternehmen aus sich selbst zu verändern. So wie ein Frühwarnsystem.

Diese Führungskräfte sind an mehr neuralgischen Stellen präsent, als es das Topmanagement direkt oder indirekt sein kann, und sie haben gemeinsam die Kraft, Teams mitzunehmen und Botschaften plausibel zu machen. Das kann aber auch zum Problem werden: Die mittleren Führungskräfte nehmen in ihrem Arbeitsalltag viele unterschiedliche Rollen ein. Damit droht Überforderung. Vom Koordinator zum Motivator, vom strategischen Entwickler ihrer Abteilung bis hin zur Sicherstellung des operativen Geschäfts. Sie sollen Moderator, Trainer, Innovator, Controller sein – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Alles anspruchsvolle Aufgaben, die für den Erfolg einer Transformation entscheidend sind und Beidhändigkeit zwischen Operative und Strategie erfordern. Aber eben auch konkrete Skills sowie Mut und Durchhaltvermögen.

Symbiose zwischen Top- und mittlerem ­Management

Insbesondere das strategische Gewicht gilt es in der Rolle der mittleren Manager fester zu verankern – in der Wahrnehmung, aber eben auch in den Prozessen und Strukturen. Zumindest für die, die mit der beschriebenen Beidhändigkeit umzugehen wissen. In der Praxis könnte das wie folgt aussehen: Ausgewählte mittlere Manager werden zum Capcoach. Sie sind also Captain und Coach zugleich – und tragen konkrete Verantwortung für die Definition und Umsetzung von Transformationsaufgaben. Captain, weil sie den Weg zu einem konkreten Ziel definieren. Coach, weil sie das eng mit ihrem Team tun und dieses befähigen, wann immer notwendig.

Damit werden sie unmittelbarer Counterpart zur obersten Unternehmensleitung, weil sie strategische Verantwortung erhalten. Das Ergebnis: eine institutionalisierte Symbiose zwischen Top- und mittlerem Management. Wir haben hierzu das 3C-Modell entwickelt: Die Capcoaches sind eines der drei Cs. Sie agieren zusammen mit dem Vorstand – also den Chief Officers und damit dem zweiten C im Modell –auf Augenhöhe. Damit gibt der Vorstand primär den Rahmen für die weitere Entwicklung vor. Das „Wie“ wird durch die Capcoaches erarbeitet, um gemeinsame Ziele und Werte in Form einer klaren Haltung zu einen. Das dritte C steht für Core (Kern) und für die Mitarbeitenden, denen Capcoaches und Chief Officers Handlungssicherheit in unseren unsicheren Zeiten geben.

Goodbye, Hierarchie-Pyramide!

Damit kippen wir die Hierarchie-Pyramide, die bislang noch immer die bestimmende Form in deutschen Unternehmen ist. Stattdessen denken wir Unternehmen vom Kern aus – von den Mitarbeitenden. Streng genommen gibt es dann kein oben und unten mehr – und damit auch kein „Die da oben“ oder „Die da unten“. Es macht klar: Jeder leistet im und um den Nukleus des Unternehmens seinen Beitrag zur Transformation. Gleichzeitig ist innerhalb des Kerns Raum für Agilität und Teams, die themen- und projektbezogen – ähnlich wie Moleküle – immer wieder neu zusammenkommen.

Damit sind wir schon bei einem wichtigen Mehrwert des Modells: Es stärkt Menschen, die Einflüsse ausbalancieren und Strategie und Umsetzbarkeit zusammenbringen. Es verteilt die Last auf mehr Schultern, die tragen können. Und auf mehr Köpfe, die entscheiden können. Es ist ja Irrsinn, immer auf wenige Heilsbringer und Erkenntnisse von oben zu hoffen. Ebenso der Glaube, die gesamte Last nur auf die Arbeitsebene verlagern zu können. Wenn ein mittlerer Manager das Verbindende leisten kann, macht es Organisationen in jedem Fall leistungsfähiger – und damit transformationsstärker.

Neue Standards für die Führungskräfte­entwicklung

Es geht darum, die Fähigkeiten und die Rolle mittlerer Manager zu stärken, weil sie an einer wichtigen Sollbruchstelle sitzen – und die letzten Jahre zu wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Und genau hier kommen die HR-Verantwortlichen ins Spiel. Nachwuchs-Führungskräfte-Programme gelten als Standard, doch was ist mit Angeboten für „alte Hasen“?
Gleichzeitig ist auch klar: Nicht jeder mittlere Manager ist für die Rolle des Capcoaches – den man auch Transformations-Multiplikator nennen könnte – geeignet. Es geht darum zu verstehen: Wer hat das Unternehmen aus der Mitte heraus die letzten Jahre bereits nach vorne gebracht?

Und wer hat den Mut und die Skills, auch zukünftige Transformationsaufgaben zu erkennen und anzugehen? Und zuletzt geht es auch darum, vorhandene Strukturen zu hinterfragen und neue zu Ende zu denken. Wir treten mit dem 3C-Modell also nicht in Konkurrenz mit agilen Methoden. Im Gegenteil: Wir versuchen die Anbindung agiler Konstrukte zur Unternehmensleitung, vorhandenen Hierarchie-Formen und übergeordneten Zielen zu konkretisieren. Eine bislang ungelöste Frage. Die Rolle der Capcoaches kann helfen, agile Streams zu synchronisieren, und verdient es, ausprobiert zu werden. Lasst uns die mutigen und willigen mittleren Manager als Transformationsbeschleuniger nutzen und ihre Rolle feinjustieren – anstelle sie abzuschaffen. Wir werden sie noch brauchen.

Über die Autoren

Dr. Karoline Haderer hat in Wien und Buenos Aires Betriebswirtschaft studiert und 2004 an der Karl-Franzens-Universität Graz in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften promoviert. Nach Stationen bei KPMG und Energie Baden-Württemberg war sie Marketingleiterin bei der Südhessische Energie. Seit 2015 verantwortet sie die (Marken-)Transformation der Nürnberger Versicherung. Sie ist Co-Autorin von Transformation durch das mittlere Management. Raus der Underdog-Rolle: Praxiserprobte Strategien für schnelle und dauerhafte Transformationserfolge (Haufe, 2023).

Philipp Hilse hat an der Hamburger Texterschmiede das Handwerk des Werbetexters gelernt. Nach Stationen in Agenturen in Hamburg und der Metropolregion Nürnberg als Texter und Projektmanager wechselte er 2012 zur Nürnberger Versicherung und hat den Wandel des Unternehmens aus verschiedenen Positionen heraus begleitet – insbesondere als Leiter der internen Kreativagentur. 2021 absolvierte er den MBA in Management & Communication an der Münchner Marketing Akademie und der FH Wien. Er ist Co-Autor von Transformation durch das mittlere Management. Raus der Underdog-Rolle: Praxiserprobte Strategien für schnelle und dauerhafte Transformationserfolge (Haufe, 2023).

Quelle: humanressourcesmanager.de

19 Januar 2024

Gefangen im Sandwich: Sind mittlere Manager unterschätzte Führungskräfte oder eine unproduktive Lehmschicht?

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Gefangen im Sandwich: Sind mittlere Manager unterschätzte Führungskräfte oder eine unproduktive Lehmschicht?

Der Führungskraft in der mittleren Hierarchiestufe haftet ein miserables Image an. Zu Unrecht. Warum die meisten Firmen den zentralen Stellenwert des mittleren Managers verkennen.

Es hat einen schlechten Ruf, und bereits sein Name impliziert Mittelmässigkeit: das mittlere Management. Gefangen in der Sandwich-Position, scheint seine Hauptaufgabe darin zu bestehen, Anweisungen der obersten Führungsriege weiterzugeben, grössere Veränderungen aber wenn immer möglich abzublocken sowie Widerstand und Eigeninitiative in der Belegschaft im Keim zu ersticken.

Vom ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher wurden Manager der mittleren Führungsstufe deshalb auch schon als «Lehmschicht» bezeichnet. Sie sind verantwortlich dafür, wenn erfolgversprechende Strategien des Topmanagements nicht richtig umgesetzt werden, sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb nicht wertgeschätzt fühlen und die Bürokratie innerhalb des Betriebes überhandnimmt.

Sie halten sich und ihre Mitarbeiter beschäftigt

Die Kunst der Selbstbeschäftigung hat das Middle Management offenbar perfektioniert. Mit Kulturworkshops, Gruppenmeetings, Team-Events, Diversity-and-inclusion-Schulungen oder Compliance-Fragebögen hält es die Angestellten auf Trab. Im Gegensatz zur übrigen Belegschaft sind die Kaderkräfte stets am Wachsen. «Es ist, als würden die Konzerne endlos das Fett von der untersten Ebene der Werkstätten abschneiden und die so erzielten Einsparungen dazu verwenden, einige Etagen höher immer mehr unnötige Arbeitskräfte einzustellen», so hielt der verstorbene amerikanische Anthropologe David Graeber in seinem Bestseller «Bullshit Jobs» fest.

Tatsächlich bestätigt sich das Parkinsonsche Gesetz – des sich verselbständigenden Bürokratiewachstums – auch in den Schweizer Führungsetagen: Während die Erwerbsbevölkerung in den letzten zehn Jahren um 8,3 Prozent gewachsen und die Zahl der Bürokräfte gar um 7 Prozent geschrumpft ist, verzeichnen Führungskräfte einen eindrücklichen Anstieg von 38 Prozent. Jede 12. Erwerbsperson ist heute eine Führungskraft. Vor zehn Jahren war es noch jede 15. Und dies, obwohl die meisten Firmen sich dafür rühmen, ihre Hierarchien verflacht zu haben.

So hat Novartis im Herbst 2022 in der Schweiz den Abbau von 700 Stellen im Management bekanntgegeben. Ein etwas kleineres Entschlackungsprogramm hatte Roche bereits ein Jahr früher lanciert. Betroffen waren auch hier zu einem grossen Teil Kaderstellen wie Projektleitungen. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Begründung von Roche: Mit dem Kaderabbau sollten Budgetprozesse und damit die Medikamentenentwicklung beschleunigt werden. So sollen sich Entscheidungen über die Kostenzusprache bei der Pharmaentwicklung im Konzern monatelang hingezogen haben, weil sie alle Hierarchiestufen durchlaufen mussten.

Für Facebook offenbar ein Kostenblock

Auch in Facebooks Mutterkonzern Meta ist die Situation des mittleren Managements ungemütlich: Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg sollen viele Kaderkräfte im Zuge der jüngsten Restrukturierung vor die Wahl gestellt worden sein, das Unternehmen entweder zu verlassen – oder sich wieder als einfache Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter operativen Aufgaben zu widmen.

Gleichwohl wäre es verkehrt, das Ende des mittleren Managements zu propagieren. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Bei der Erkenntnis von Parkinson, wonach jeder Angestellte danach strebt, die Zahl seiner Untergebenen zu vergrössern, handelt es sich offenbar um ein Naturgesetz.

«Es geht nicht ohne sie»

«Es geht nicht ohne sie», sagt hingegen Matthias Fifka, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Führungskräfte der mittleren Hierarchiestufe hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf, davon ist der Wissenschafter, der seit vielen Jahren die Rolle und die Befindlichkeit des mittleren Managements analysiert, überzeugt.

Das Topmanagement könne relevante Entscheidungen nur dann treffen, wenn es gute Informationen von unten habe. Das Middle Management sei nahe am Kunden, an Lieferanten oder an der Forschung dran, erläutert Fifka. Und es müsse schliesslich die grossen Entscheide umsetzen. «Wir wissen aus der Forschung, dass die meisten Strategien nicht scheitern, weil sie etwa schlecht wären. Strategien scheitern, weil sie nicht richtig umgesetzt und missverstanden werden», sagt der Wirtschaftsprofessor.

Das mittlere Management trägt damit eine grosse Verantwortung. Lange Zeit dominierte in den BWL-Lehrbüchern und in der Unternehmensberatung jedoch das Mantra des Lean Management. Das Konzept des schlanken Unternehmens propagierte unter anderem auch drastische Einschnitte im Management, um Verschwendung zu reduzieren und den Wert für den Kunden zu maximieren.

Das wichtigste Kapital überhaupt

In den vergangenen Jahren hat der Wind leicht gedreht: Jüngst wird in der Management-Literatur wieder vermehrt die zentrale Rolle des mittleren Kaders hervorgehoben: «Don’t Eliminate Your Middle Managers», so lautet beispielsweise der Titel eines kürzlich im Fachmagazin «Harvard Business Review» publizierten Artikels, der sich dezidiert für die unterschätzten Führungskräfte starkmacht.

Das mittlere Management, das Mitarbeitende einer Organisation rekrutiere sowie entwickle, sei das wichtigste Kapital überhaupt, um einen schnellen, komplexen Wandel zu bewältigen, davon sind die drei Autoren, allesamt McKinsey-Partner, überzeugt. Es liege an ihm, die Arbeit sinnvoller, interessanter und produktiver zu gestalten. Deshalb sei das mittlere Management für einen echten organisatorischen Wandel von entscheidender Bedeutung.

Selbstredend untermauern die McKinsey-Partner ihre These mit harten Fakten, nämlich Personaldaten von 1700 internationalen Unternehmen: Managerinnen und Manager, die bei der Entwicklung und Förderung ihrer Mitarbeitenden herausragende Leistungen erbrächten, erzielten eine hohe Rendite auf das investierte Kapital, bessere langfristige Finanzleistung als die Konkurrenz und ein nachhaltigeres Umsatzwachstum, so lautet ihr Fazit.

Versuche einer Rehabilitierung

Ähnliche Vorstösse zur Rehabilitierung des Middle Management finden sich auch im «Economist» («Das Potenzial und die Notlage des mittleren Managers») oder in der «Financial Times» («Was eine gute mittlere Führungskraft ausmacht»). Ein Grund für das erwachte Interesse dürfte mit der Corona-Krise zusammenhängen: Es war schliesslich das mittlere Management, das den Übergang der Belegschaft ins Home-Office koordinieren und sie auf digitale Arbeitsformen und Kommunikationskanäle einschwören musste. Auch bei den jüngsten Lieferkettenproblemen und Energieengpässen war sein Einsatz gefragt. Im Gegensatz zum Topmanagement kennt es das operative Geschäft, die Lieferanten und die firmeninternen Prozesse aus nächster Nähe.

Dies hat dem mittleren Management zu mehr Ansehen verholfen. Doch um einen grundlegenden Wandel handelt es sich nicht, wie Forschungsergebnisse von Fifka zeigen. Seine zum dritten Mal mit Unterstützung der Dr.-Jürgen-Meyer-Stiftung durchgeführte Erhebung vermittelt einen trüben Einblick, was deren Stellenwert, Rolle und Selbstbild anbelangt. Befragt wurden 300 Mitarbeitende des mittleren Kaders in international tätigen deutschen Unternehmen.

Die Bereichsleiterinnen und Teamleiter sehen sich zwischen den Hierarchieebenen gefangen, häufig zum Sündenbock gestempelt und vom Topmanagement unter Druck gesetzt. Rund 60 Prozent klagen über eine hohe oder sehr hohe Arbeitsbelastung. Diese Selbsteinschätzung, die grösstenteils auch auf das mittlere Management von Schweizer Konzernen zutreffen dürfte, hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert.

Im Konflikt mit den eigenen Wertvorstellungen

Bemerkenswert ist, dass 55 Prozent der befragten Führungskräfte laut eigenen Aussagen im beruflichen Kontext schon gegen ihre moralischen Wertvorstellungen handeln mussten. Als Hauptursache moralischer Konflikte nennen die Managerinnen und Manager den Umgang mit ihren Angestellten. Laut Fifka handelt es sich häufig um Arbeitszeit-Aspekte: Um die Vorgaben des obersten Kaders zu erfüllen, belastet das Middle Management beispielsweise seine Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die über das übliche Arbeitspensum hinausgehen. Ein Drittel der Befragten nennt allerdings auch Skandale und Regelverstösse als grosse Herausforderung, was darauf schliessen lässt, dass solche Verfehlungen in vielen Unternehmen nach wie vor üblich sind.

Rollenkonflikte, Leistungsdruck und moralische Dilemmata wirken sich auch auf den Gesundheitszustand aus. Studien zeigen, dass Personen im mittleren Management häufiger an Depressionen und Angstzuständen leiden als Personen an der Spitze oder am unteren Ende der Hierarchiestufe.

Soll das mittlere Management seine wichtige Funktion entfalten, braucht es mehr als ein Rebranding. In einer immer dynamischeren und komplexeren Umwelt dürfte seine Bedeutung weiter zunehmen. In Firmen und ihren Führungsetagen ist ein Umdenken beim Stellenwert des Middle Management angesagt.

Massnahmen zur Aufwertung des mittleren Managements

  • Stärkere Professionalisierung: Eines der grössten Probleme ist laut Fifka, dass das mittlere Management nicht auf seine Aufgabe vorbereitet wird. Bereits in universitären Lehrbüchern ist meist nur vom Topmanagement die Rede. Dabei ist offensichtlich, dass die wenigsten Absolventinnen und Absolventen es auf die höchste Führungsstufe schaffen werden. Aufgrund der sich verengenden Pyramide landen die meisten Kaderkräfte im mittleren Management. Umso wichtiger wäre es, zu vermitteln, dass es sich hierbei um ein erstrebenswertes Ziel handelt und dass es keine Schande ist, seine Karriere im mittleren Management zu beenden. Gerade bei der jüngeren Generation zeichnet sich hierbei ein deutlicher Wandel ab. Viele junge Manager wollen gar nicht mehr ins Topmanagement vorstossen.
  • Mehr Autonomie: Firmen sollten auch den Handlungs- und Entscheidungsspielraum ihres mittleren Managements deutlich vergrössern. Erst damit können die Führungskräfte eigenständig und innovativ tätig sein, was dem Unternehmen zugutekommt und die Motivation fördert. «Wenn ich als Topmanager versuche, alles hierarchisch zu steuern, verlängern sich nicht nur die Entscheidungswege», sagt Fifka. «Ich bin dann auch heillos überfordert.» Erweiterte Handlungskompetenzen sind ausserdem wirkungsvoll, um die (durch die Sandwich-Position verursachten) Rollenkonflikte zu reduzieren, da nicht mehr alle Entscheidungen von oben kommen.
  • Institutionalisierte Weiterbildungen, die den Führungskräften das nötige Rüstzeug vermitteln. Dabei sollte vor allem auch die Kompetenz, Menschen zu motivieren und zu führen, gestärkt werden. Noch immer werden viele Mitarbeiter aufgrund ihrer fachlichen Leistung in eine Führungsposition befördert. Führungskompetenzen sind hierbei oftmals zweitrangig.
  • Klare Aufgaben- und Verantwortungsbereiche helfen, den Leistungsdruck des mittleren Managements zu begrenzen. Es ermöglicht Führungskräften, ihre Kapazitäten und Ressourcen entsprechend einzusetzen, und zwingt sie nicht, Aufgaben zu erledigen, die möglicherweise von den eigentlichen Kernaufgaben ablenken.
  • Unternehmenskodex: Darin sind die wichtigsten Wertvorstellungen verankert. Das mittlere Management sollte massgeblich an seiner Ausgestaltung beteiligt sein, um sich damit zu identifizieren. Ebenso grundlegend ist, dass das Topmanagement seine Vorbildfunktion wahrnimmt und die Unternehmenswerte vorlebt. Ein offener Dialog über Hierarchiestufen hinweg ermöglicht, dass Bedenken der Mitarbeiter bis zum Topmanagement durchdringen.

Quelle: NZZ - Neue Zürcher Zeitung