28 August 2020

Chaos-Management: Was Unternehmer und Führungskräfte von Künstlern lernen können

Posted in Coaching

Wenn Unternehmer und Künstler aufeinandertreffen ...

Chaos-Management: Was Unternehmer und Führungskräfte von Künstlern lernen können

Unternehmer und Führungskräfte von heute stehen vor der Herausforderung, kreativ, innovativ und anders zu sein als der Wettbewerb. Es reicht nicht aus, einfach nur ein tolles Produkt kostengünstig herzustellen und zu vertreiben. Weil sich Unternehmer und Führungskräfte in komplexen und oft unübersichtlichen Strukturen bewegen und auf kreative Problemlösungen angewiesen sind, sind sie zur Innovation geradezu verdammt. Kann die Kunst, können Künstler dabei als Inspirationsquelle dienen?

Kreatives Denken durch Kunst

Der Kultursoziologe Theodor W. Adorno beeinflusste mit diesem Satz ganze Generationen von Künstlern:

„Die Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in Ordnung zu bringen”.

Das Management vieler Organisationen vermeidet es tunlichst, Unternehmen und Kreativwirtschaft zusammenzubringen. Manager hört man über Kreative oft sagen: „Wir haben schon genug Chaos in unserem Unternehmen.”

Diese Diskussion entspricht schon lange nicht mehr der Wirklichkeit. Auch Künstler und Kreative planen

  • ihre nächsten Arbeitsschritte,
  • die Woche,
  • den Monat,
  • das Jahr,
  • ein Ausstellungsprojekt,
  • einen Auftrag,
  • ihre Erfolgsstrategie,
  • ihre Zukunft.

Aber ihre Planung ist nicht methoden- oder zahlengetrieben, sie schließt immer ein gesundes und produktives Maß an Chaos und Improvisation mit ein. Das erfordert Mut, Flexibilität, Offenheit, Selbstvertrauen und eine hohe Identifikation mit dem eigenen Tun.

An der Schnittstelle von Kunst und Unternehmen

So arbeiteten einige Kreative schon im vergangenen Jahrhundert sehr erfolgreich an der Schnittstelle von Kunst und Unternehmen. Die Wirtschaft hat von ihren Vermarktungsfähigkeiten insbesondere in der Musikindustrie, im Fernsehen, in der Werbung, den neuen Medien, dem Design und der Architektur profitiert. Der Begründer der Medientheorie, Marshall McLuhan, dachte bereits Mitte des letzten Jahrhunderts mit seinem Diktum

„Kunst ist alles, was durchkommt”

diese Erfolge voraus.

In den 1960er-Jahren revolutionierten dann Joseph Beuys, Helmut Jahn und Andy Warhol den Kunstbegriff im Sinne Marshall McLuhans. Warhols Feststellung

„In der Wirtschaft gut und erfolgreich zu sein, ist das Faszinierendste an der Kunst“

war nicht bloß daher gesagt. Warhol jobbte in der Werbe- und Medienbranche, managte die Musikgruppe The Velvet Underground und die Sängerin Nico, produzierte Fernsehen, Zeitschriften und Filme und machte Campbell‘s Suppendosen zum Kultobjekt.

In Museen finden sich vor allem seine Siebdrucke von Marilyn Monroe, Liz Taylor und Coca Cola. Warhol war ein Unternehmer ohne jegliche Berührungsängste.

Kunst ermöglicht neue Perspektiven

Die Folge: Längst arbeiten Kunst und Unternehmen zusammen – denn Kunst kann als Inspiration von Kreativität und Innovation im Unternehmen fungieren. Manager und Führungskräfte erlernen so den Perspektivenwechsel und den neuen Blick auf alte Strukturen. Dazu nun einige Beispiele:

  • Der Kunstunternehmer Yadegar Agassi, der in Berlin riesige Rundbilder (Panoramen) für Millionen Besucher aufbaut, tritt immer als Investor auf.
  • In Führungskräftetrainings zur Verbesserung der Präsentationen von Managern werden sehr häufig Schauspieler eingesetzt, die mit den Führungskräften an Stimme, Mimik und Wirkung arbeiten.
  • Der DM-Chef Götz Werner besuchte mit seinen Top-Managern die Uffizien in Florenz. Dort sollten die Führungskräfte ihre Sichtweisen beim Betrachten von Bildern schärfen. Die Manager mussten teilweise eine Stunde vor einem Bild stehen. Dadurch sahen sie von Minute zu Minute mehr in den Kunstwerken.
  • In der Würth AG werden regelmäßig Vernissagen durchgeführt, die oftmals in der Belegschaft kontrovers diskutiert werden. Darüber hinaus gründete die Familie Würth mehrere Ausstellungshäuser, unter anderem in Künzelsau und Schwäbisch Hall. Der Eintritt ist frei. Somit unterstützt der Schraubenkonzern seine Mitarbeiter dabei, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, und wirkt darüber hinaus in die Gesellschaft hinein.
  • Der SAP-Gründer Hasso Plattner gründete mit 200 Millionen € das Hasso-Plattner-Institut (HPI) für Softwaresystemtechnik an der Potsdamer Universität. Dort etablierte er die School of Design Thinking, die Wissenschaft und Kunst mit den Interessen der Wirtschaft verbindet.

Kunst als Inspirationsquelle

Die Firma FSB (Franz Schneider Brakel), die Türklinken herstellt, geriet in den 1980er-Jahren in Schwierigkeiten. Die Bauwirtschaft befand sich damals in einer großen Krise. Es war an der Zeit, grundsätzlich über das Produkt nachzudenken. Daher besuchte der Geschäftsführer Jürgen Braun den Grafikdesigner Otl Aicher.

Dieser hatte schon anderen Unternehmen von der Braun AG bis zur Lufthansa zu einem überzeugenden Marketingauftritt verholfen. Der entscheidende Impuls kam für ihn jedoch durch den Besuch eines Buchladens.

Dort fand er ein Buch über Handlesekunst, wodurch ihm bewusst wurde, dass sich ein Türklinkenproduzent mit der physischen Seite des Greifens beschäftigen musste. Die Türklinke war demnach kein x-beliebiger Zubehörartikel einer Tür, sondern hatte eine kulturhistorische Bedeutung. Die Anthropometrie des Greifens konnte in vier Basiselemente zerlegt werden:

  1. die Gebote der Daumenbremse,
  2. der Zeigefingerkuhle,
  3. der Ballenstütze und
  4. des Greifvolumens.

Diese vier Gebote sind bis heute in der gesamten Branche akzeptiert.

Übrigens: Eines der ambitioniertesten Projekte eines Künstlers zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist „Southern Extension“ oder „Hirstville“, wie es Journalisten gerne nennen. Damien Hirst plant mit Architekten in England gleich eine neue Stadt. Mit seinen Kunstwerken hat er geschätzte 1 MRD US-$ verdient. Damit sind Künstler als Investoren auf dem Markt und endgültig im Big Business angekommen.

Kunst und Wirtschaft passen zusammen

Vor allem die authentischen Beispiele zeigen, dass Kunst und Wirtschaft durchaus kompatibel sind. Unternehmer sollten prüfen, inwiefern sie Kunst als Inspirationsquelle nutzen und in ihr unternehmerisches Denken und Handeln integrieren können.

Über den Autor

Dr. Roland Geschwill ist Mitgründer und Geschäftsführer der „Denkwerkstatt für Manager“, die über Expertise sowohl in der angloamerikanischen als auch in der deutschen Managementkultur verfügt. Bereits seit 1986 berät der Diplom-Psychologe Führungskräfte. Darüber hinaus engagiert sich Roland Geschwill ehrenamtlich als Vorstandssprecher des Fördervereins „Friends“ beim renommierten Festival „Enjoy Jazz“.

Quelle: unternehmer.de

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